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Bundesregierung verschleppt GesetzWhist­leb­lo­wer müssen warten

Die Regierung hat ein Gesetz zum Schutz von Whist­leb­lo­wer:­in­nen noch nicht umgesetzt. Nun hat die EU-Kommission ein Verfahren eingeleitet.

Die Facebook-Whistleblowerin Frances Haugen Foto: Joerg Carstensen/photothek/imago

Auf globaler Bühne hat jüngst die ehemalige Facebook-Mitarbeiterin Frances Haugen dafür gesorgt, dass problematische Geschäftspraktiken des Konzerns ans Licht kamen. Doch in Deutschland sind Whistleblowing-Fälle selten – auch weil das Gesetz Hin­weis­ge­be­r:in­nen kaum schützt. Eine EU-Richtlinie sollte das eigentlich ändern. Doch Deutschland hat die neuen Regeln mehr als zwei Jahre nach deren Verabschiedung noch nicht umgesetzt, weshalb die EU-Kommission nun ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik und mehrere weitere Mitgliedstaaten eingeleitet hat.

„Wir haben in Deutschland bis auf ganz wenige Ausnahmen noch gar keine Regeln zum Schutz von Hinweisgeber:innen“, kritisiert Sebastian Oelrich, Co-Leiter der Arbeitsgruppe Hinweisgeberschutz von Transparency Deutschland. Die Bundesrepublik hinke, was den Schutz von Hin­weis­ge­be­r:in­nen angeht, im internationalen Vergleich hinterher.

Die europäische Whistleblowing-Richtlinie wurde 2019 beschlossen. Vergangenen Dezember trat sie in Kraft, dann hätten eigentlich sämtliche Mitgliedstaaten sie in nationales Recht umsetzen müssen. Die neuen Regeln sollen Menschen, die Missstände etwa in Unternehmen oder Behörden melden, besser schützen und die Meldung selbst einfacher machen. So ist beispielsweise vorgesehen, dass Hin­weis­ge­be­r:in­nen einen Missstand nicht zunächst intern melden müssen, wie es die deutsche Rechtsprechung bisher vorgesehen hatte, sondern sich auch etwa an die Staatsanwaltschaft oder eine Behörde wenden können.

Das ist ein wichtiger Punkt, weil eine reine interne Meldung etwa dazu führen kann, dass das Unternehmen Beweise vernichtet. Darüber hinaus müssen Unternehmen und Firmen ab einer bestimmten Größe interne Kommunikationswege für Hin­weis­ge­be­r:in­nen bereitstellen und spezielle An­sprech­part­ne­r:in­nen benennen. Die Richtlinie verbietet es Unternehmen außerdem, hinweisgebende Personen mit Repressalien zu belegen.

Einige offene Fragen

Die schwarz-rote Vorgängerregierung hatte sich zwar an einem Gesetzentwurf versucht – sich jedoch nicht auf eine gemeinsame Linie einigen können. Jetzt ist also die neue Koalition am Zug. Im Koalitionsvertrag ist das Thema erwähnt, doch ergeben sich aus dem Absatz einige offene Fragen. So bemängelte etwa das Whistleblower-Netzwerk, es bleibe unklar, „in welchem Ausmaß die Vorgaben der Richtlinie auf nationales Recht ausgedehnt werden“. Denn die EU-Richtlinie bezieht sich erst einmal nur auf EU-Recht. Die Mitgliedstaaten können den Schutz jedoch ausdehnen, etwa auf das jeweilige nationale Strafrecht und unternehmensrechtliche Bußgeldtatbestände.

Oelrich nennt ein Beispiel für die Unterschiede, die sich in der Praxis ergeben könnten. Fall 1: Eine Hinweisgeberin meldet der zuständigen Aufsichtsbehörde einen schwerwiegenden Datenschutzverstoß bei dem Unternehmen, in dem sie arbeitet. Dabei sei sie auch dann geschützt, wenn die Bundesregierung die EU-Richtlinie nur 1:1 umsetzen würde. Denn die Datenschutz-Grundverordnung ist EU-Recht.

„Möglichst schnell“ geplant

Fall 2: Ein Hinweisgeber meldet schwerwiegende Fälle von sexueller Gewalt am Arbeitsplatz. Hier sei der Hinweisgeber nur dann geschützt, wenn die Bundesregierung die EU-Richtlinie entsprechend auf nationales Strafrecht ausdehne. Aktuell bestehe in diesem Fall gar kein Schutz. Im Gegenteil: Der Arbeitgeber könne den Hinweisgeber sogar verklagen. Das musste etwa die Altenpflegerin Brigitte Heinisch feststellen, die Missstände in dem Pflegeheim angeprangerte, gekündigt wurde – und erst bei ihrer Klage vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) Recht bekam.

„Wir hoffen, dass die Koalition mit ihrem Gestzentwurf einen möglichst breiten Anwendungbereich abdeckt“, sagt daher Transparency-Experte Oelrich. Schließlich könnten potenzielle Hin­weis­ge­be­r:in­nen in den allermeisten Fällen überhaupt nicht absehen, welche Rechtsgebiete von ihrer Meldung betroffen sein könnten. Das federführende Bundesjustizministerium sagte dazu auf taz-Anfrage, man plane mehr, als die Richtlinie lediglich 1:1 umzusetzen. Wie weit das gehen soll, dazu könne man aber noch keine Aussage treffen. Was den Gesetzgebungsprozess angehe, sei geplant, den Schutz für Whist­leb­lo­wer:­in­nen nun „möglichst schnell“ auf den Weg zu bringen.

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5 Kommentare

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  • "... dass Hin­weis­ge­be­r:in­nen einen Missstand nicht zunächst intern melden müssen, wie es die deutsche Rechtsprechung bisher vorgesehen hatte, sondern sich auch etwa an die Staatsanwaltschaft oder eine Behörde wenden können."

    Das ist, mit Verlaub, vollkommender Unsinn.



    Jeder kann sich jederzeit an Behörden und auch an die Staatsanwaltschaft wenden um Missstände aufzudecken, insbesondere bei Straftaten. Da sieht auch die Rechtsprechung nix anderes vor.



    Und auch der Fall von Frau Heinisch ist etwas sehr anders, als hier mit ein paar Zeilen der Eindruck erweckt wird. Lest als Recherche doch wenigstens eure eigenen Artikel liebe tazzis - Artikel von Dritten, die vom Thema auch etwas verstehen, wäre noch besser...

  • Die Whistleblower der anderen sind gut. Die anderen sind unbeliebt und sollten keine Rechte haben.

    Gut, dass die EU noch ein Verfahren gegen DE einleitet.

  • Mir stellt sich allmählich die Frage, wie lange wir hierzulande noch auf das Gesetz warten müssen. So viele Hoffnungen richten sich auf entschlossenes Formulieren im Entwurf der neuen Regierung. Zögert nur der rote Arm wegen der GroKo-Vorbelastung im lahmen Gesetzgebungsverfahren, sich den Ärmel hochzukrempeln, oder ist sich jetzt die gesamte Ampel ebenfalls nicht einig? Wenn ja, warum?

  • Gut und schön und vor allem drängend, dass Bundesregierung, Bundestag, Whistleblower EU Richtlinien 2019, Dezember 2021 rechtsgültig geworden, umsetzen. Aber was nützt es, wenn da durch bisher ausbleibende Abschaffung politischen Weisungsrechts von Minister*nnen in Bund, Ländern gegenüber Staatsanwaltschaften, BKA, Generalbundesanwalt, wie es Europol, Interpol seit Jahren, zuletzt 2018 vergeblich forderten, Hintertürchen offenlässt, von Whistleblower*nnen gegebene Hinweise, von Staatsanwaltschaften zwar aufgenommen aber deren Ermitlungen ministeriell ausgesetzt, in Verjährung verschleppt werden, Klageerhebungen ganz legal wenn auch nicht legitim verhindert werden können. Dazu seit Juli 2019 vorliegende Gesetzesvorlage damaliger SPD Bundesjustizministerin Christine Lambrecht zur Einführung Unternehmensstrafrechts in Deutschland bis heute nicht einmal 1. Bundestagslesung erreicht hat, weil es dazu an poltischem Willen aller im Bundestag durch Fraktionen vertretenden Parteien bisher fehlt. Im Ampel Koalitionsvertrag 2021 heißt es lapidar, man wolle politisches Weisungsrecht EU Standards anpassen, was immer das heißt. Abschaffen klingt anders

    www.spiegel.de/pol...-8a4d-4797a4ecf089

  • Wie üblich - was man in Berlin nicht will, wird auf die lange Bank geschoben.



    Und wenn man dann mal nachfragt schwurbeln und murkeln die Damen und Herren dass sich die Balken biegen.

    Ein weiteres, schönes Beispiel ist die von der Wissenschaft unisono geforderte Impfpflicht - auch dafür ist auf der langen Bank noch ein Plätzchen frei ...