Bundesparteitag der AfD in Hannover: Noch weiter nach rechts gerückt
Die rund 550 Delegierten der AfD haben Jörg Meuthen und Alexander Gauland zum Parteichef gewählt. Der Abstimmung ging ein Chaos voraus.
Dabei hatte es bis zum Samstagnachmittag noch so ausgesehen, als liefe alles nach Plan. So, wie es die beiden Kandidaten, die bis dahin ihren Hut in den Ring geworfen hatten, in zahlreichen Hinterzimmerrunden in der Nacht zuvor besprochen hatten. Ganz ähnlich, wie sie es den „Altparteien“ vorwerfen, wie die AfD alle anderen abschätzig nennt. Meuthen, der einst als Wirtschaftsliberaler angetreten war, die Partei bislang mit Frauke Petry geführt hatte und sich stetig weiter nach rechts bewegt, sollte erneut Parteichef werden. Und der Berliner Landeschef Georg Pazderski, der in der AfD als liberalkonservativ gilt, sein Co-Vorsitzender – allerdings mit zahlreichen Zugeständnissen von Seiten Pazderskis.
Die AfD-Fraktionsvorsitzende im Bundestag, Alice Weidel, ist als Beisitzerin im Parteivorstand bestätigt worden. Bei der Abstimmung auf dem Parteitag in Hannover erhielt Weidel am Sonntag 69 Prozent der Stimmen. In ihrer kurzen Bewerbungsrede dankte sie den AfD-Mitgliedern für ihren Einsatz im Wahlkampf. Die AfD habe bei der Bundestagswahl im September einen „historischen Erfolg“ erzielt. (dpa)
Der sollte nicht für die Bundesgeschäftsstelle zuständig sein. Das hatte im Laufe des Tages die FAZ herausgefunden. Denn Meuthen sorgte sich, dass Pazderski sich in Berlin zum starken Mann der Partei entwickeln könne, während er selbst als frisch nachgerückter Europaabgeordneter im fernen Brüssel sitzt. Pazderski gilt, anders als Meuthen, als guter Stratege und führungsstark. Deshalb hatte Meuthen ursprünglich Gauland gebeten anzutreten – um Pazderski zu verhindern. Dann aber ließ er sich doch auf einen Deal mit Pazderski ein. Das gefiel dem Flügel um Höcke wiederum nicht.
Pazderski, muss man wissen, steht für vieles, was die Rechtsradikalen in der Partei gar nicht mögen: Der ehemalige Soldat, der auch für die Nato gearbeitet hat, gilt vielen als „Transatlantiker“, was bei der AfD durchaus als Schimpfwort verstanden werden kann. Pazderski will die AfD in die Regierung führen und sich dafür auch vom rechten Rand abgrenzen. Und er hat das Parteiausschlussverfahren gegen Höcke unterstützt. Deshalb hatte der Flügel auch Gauland gedrängt, selbst anzutreten. Nur Gauland, der vielen in der Partei als eine Art Übervater gilt, könne Pazderski noch verhindern, so die Analyse. Doch all das schien am Samstagvormittag – sehr zum Ärger des Flügels – vom Tisch.
Whatsapp-Nachrichten durch den Saal
Da tritt Höcke in der Eilenriedelhalle im Hannover Congress Centrum, wo die gut 550 Delegierten zum Bundesparteitag versammelt sind, selbst ans Saalmikrofon, sagt launig „Hallo Hannover“ und stellt den Antrag, dass der umstrittene niedersächsische Landesvorsitzende Armin-Paul Hampel ein Grußwort sprechen darf. Höcke wirft seine Autorität in die Waagschale. Und unterliegt bei der Handabstimmung.
Doch das will er nicht glauben. Er fordert eine Überprüfung mittels elektronischer Stimmenabgabe. Die blauen Balken, die kurz darauf auf den großen Bildschirmen zu sehen sind, sind eindeutig: 58 Prozent der Delegierten stimmen gegen ihn. Was sich wie die Niederlage in einer Nebensächlichkeit anhört, wird von vielen Delegierten als Probeabstimmung über die Machtverhältnisse auf dem Parteitag gewertet: Der Flügel, so scheint es, hat hier keine Mehrheit. Dieser wirkt immer weiter auf Gauland ein, er möge kandidieren. Die Wasserstandsmeldungen dazu werden per Whatsapp durch den Saal geschickt.
Es ist nach fünf Uhr am Nachmittag, der Parteitag hat zähe Satzungsdebatten und zahlreiche Abstimmungen über Verfahrensfragen bereits hinter sich, als es an die Wahlen geht. Meuthen wird nach einer lauen Rede und ohne Gegenkandidat mit gerade 72 Prozent der Delegiertenstimmen wiedergewählt. Für das schlechte Ergebnis dürfte auch gesorgt haben, dass er bei seinem Wechsel nach Brüssel erst nach massiver parteiinterner Kritik sein Mandat im Stuttgarter Landtag aufgegeben hat – und dass er mit Pazderski kungelte.
Keine Mehrheit für niemanden
Dann wird die Wahl des zweiten Vorsitzenden aufgerufen. Überraschend schickt der Flügel Doris von Sayn-Wittgenstein, Landesvorsitzende in Schleswig-Holstein, gegen Pazderski ins Rennen. „Ich bin erst seit 2016 in dieser Partei, nachdem die Partei eine mehr patriotische Richtung genommen hat“, sagt die 63-Jährige, als Lucke-Partei sei die AfD nicht vielversprechend gewesen. Da brandet Applaus im Saal auf.
„Das ist nicht unsere Gesellschaft“, führt Sayn-Wittgenstein fort, sagt, dass nur der Nationalstaat die Demokratie am Leben erhalte und sie in erster Linie deutsch fühle. Dazu scharfe Kritik an der Antifa, die Sayn-Wittgenstein im rechtsextremen Jargon „Antifanten“ nennt, und Verständnis für Russland. Am Ende schallen „Doris, Doris“-Rufe des Flügels durch den Saal. Sayn-Wittgenstein habe „die Seele der Partei“ getroffen, wird Gauland später sagen. Nach der Rede ist klar: Es könnte knapper werden, als bislang gedacht.
Pazderskis selbst erweckt keine Leidenschaft, sachlich trägt er sein Anliegen vor – und geht durchaus auf die andere Seite zu. „Alle Strömungen müssen eingebunden sein“, sagt er,, ich möchte keine willkürliche Ausgrenzung“. Das kann man als Zugeständnis an den Flügel deuten. Doch es nützt ihm nichts.
Bei der Wahl liegt Sayn-Wittgenstein mit 285 Stimmen vorn, das sind 49,39 Prozent. Für Pazderski votieren 273 Delegierte, 47,31 Prozent. Was für eine Überraschung! Der Flügel jubelt schon. Doch es ist zu früh. Fast wäre Sayn-Wittgenstein Parteivorsitzende, doch der Vorsprung reicht nicht. Also noch ein Wahlgang. Gespannt starren alle auf die großen Bildschirme. Diesmal liegt Pazderskis blauer Balken knapp vorn. Doch auch er hat keine ausreichende Mehrheit.
Spaltung verhindert?
Klar ist jetzt: Die Partei ist in zwei Hälften gespalten. Eine Mehrheit gibt es nicht. Und der Flügel ist weit einflussreicher, als bislang gedacht. Auf dem Parteitag bricht Chaos aus. Schließlich ergreift Gauland das Mikrofon und beantragt eine Unterbrechung. Dass sei eine „gefährliche Situation“ für die Partei gewesen, wird er später sagen. Was er damit genau meint, sagt er nicht.
In der Pause wird hinter der Bühne verhandelt und gezerrt, am Ende ziehen Sayn-Wittgenstein und Pazderski zurück und kandidieren als Vizes. Und Gauland tritt an. Der alte, mächtige Mann der AfD wird am Abend mit knapp 68 Prozent gewählt. Das ist noch weniger, als Meuthen bekommen hat. „Der Flügel hat mit dem heutigen Tag die Spitze des Bundesvorstands übernommen“, schreibt die „Alternative Mitte“ in ihrem Liveticker vom Parteitag.
Die Strömung hat sich organisiert, um in der AfD ein Gegengewicht zum Flügel zu bilden. „Einzelne Mitglieder“, so heißt es weiter, würden gerade in Interviews darüber sprechen, dass dies die Spaltung verhindere. Die Alternative Mitte sieht das anders: „Genau damit muss man jetzt allerdings rechnen.“
Am späteren Abend werden Pazderski, der Kandidat für den Bundestagsvizepräsidenten Albrecht Glaser und Kay Gottschalk, der früher zum Petry-Lager gehörte, als Parteivizes gewählt. Flügelmann André Poggenburg, Landes- und Fraktionschef in Sachsen-Anhalt, fällt durch. Am Sonntag geht die Wahl für den Bundesvorstand weiter. Eines aber kann man schon sagen: Die AfD ist noch weiter nach rechts gerückt. Wieder einmal.
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