Bundesdelegiertenkonferenz der Grünen: Ab jetzt ist das Motto: Habeck oder Barbarei
Die Grünen hoffen, vom Flirt der CDU mit der AfD zu profitieren. Rote Linien oder eine Absage an Schwarz-Grün gibt es auf ihrem Parteitag aber nicht.
„Was ihr uns hier geboten habt, hat zumindest bei uns an den Wahlkampfständen einiges an Unruhe verursacht“, sagt Hilbrecht über den Aufruhr, der danach durchs Land ging.
Aber viele Zuhörer*innen hat sie in diesem Moment nicht: Die Rede von Kanzlerkandidat Robert Habeck ist schon zwei Stunden her, bis zu der von Annalena Baerbock ist es noch eine Weile hin. Viele Delegierte des eintägigen Grünen-Parteitags holen sich gerade einen Kaffee oder tratschen in den Gängen. Die Debatte über die Kapitalerträge, die Affäre um den geschassten Bundestagsabgeordneten Stefan Gelbhaar und die Tatsache, dass die Umfragewerte der Grünen im Moment wieder leicht zurückgehen: Zur Prime Time ist davon keine Rede.
Im Gegenteil: „Was in den letzten Wochen, in den letzten zweieinhalb Monaten passiert ist, übertrifft alle Erwartungen“, sagt am Vormittag Robert Habeck zu Beginn seiner Rede. Der Grünen-Wahlkampf, meint er, läuft super.
Stunde Null dank Merz
Wozu soll er die Pannen auch erwähnen? Wenn nicht alles so ernst wäre, könnten die Grünen am Montag einen Präsentkorb ins Büro von CDU-Chef Friedrich Merz schicken lassen. Nachdem der Unions-Kandidat als Reaktion auf den Messer-Angriff von Aschaffenburg radikale Verschärfungen des Asylrechts forderte und sich dabei auch in Richtung AfD öffnete, fragt von den Journalist*innen auf dem Grünen-Parteitag kaum noch jemand nach den Geschichten der letzten beiden Wochen. Die Agenda hat sich geändert. Und die Grünen – bei aller ehrlichen Bestürzung über Merz’ neuen Kurs – wittern ihrerseits eine neue Chance für ihren Wahlkampf.
Knapp 25 Minuten spricht Habeck vor den Delegierten und den größten Teil seiner Rede widmet er der Gefahr, dass die Konservativen in Zukunft wirklich mit der AfD zusammenarbeiten könnten. „Wir sehen in Europa, dass die Dinge ins Rutschen geraten“, sagt er. Für ihn gelte weiter, dass „die Gemeinsamkeiten der demokratischen Parteien der Mitte immer stärker sein müssen als die Nähe zu den rechtsradikalen Populisten“. Ob es dabei in Deutschland und der EU bleibt, sei eine „entscheidende Weiche in diesen Jahren, die nicht falsch gestellt werden darf“.
Und weiter, mit Verweis auf die drohende Regierungsübernahme der FPÖ in Österreich: „Wenn es in Österreich passieren kann, kann es auch in Deutschland passieren. Die Entscheidung, ob es passiert, steht jetzt zur Wahl.“ Bei den Grünen im Saal kommt dieser Sound gut an: Wenig später gibt es Standing Ovations, als Habeck vom „besten Deutschland, dass wir jemals hatten“ redet, dass es zu verteidigen gelte. Der genaue Wortlaut geht im Beifall unter.
Schon mal gescheitert
Doch bei aller Begeisterung unter den Delegierten: Falls das ab sofort wirklich der Wahlkampfschwerpunkt der Grüne sein sollte, ist nicht gesagt, dass sie bei der Wahl auch wirklich davon profitieren. Schon bei den Landtagswahlen im Osten im vergangenen Jahr hat die Partei stark auf das Thema „Demokratie retten“ gesetzt. Das Ergebnis, wie Umfragedaten nahelegen: Ihre Anhänger*innen sind zwar zur Wahl gegangen, haben dann aber nicht für die (im Osten kleinen) Grünen gestimmt, sondern für die jeweiligen Amtsinhaber von SPD und CDU. Ziel vieler Wähler*innen war es offenbar, die AfD als stärkste Partei zu verhindern.
Jetzt ist die Konstellation freilich etwas anders. Auf welcher Seite die Union steht, ist nach den letzten Tagen ja nicht mehr ganz eindeutig. Habeck hegt die Hoffnung, CDU und CSU Wähler*innen abnehmen zu können, die von einem Rechtskurs nichts halten. In seiner Rede erinnert an die Deko früherer CDU-Parteitage. „Die Mitte“ habe auf den Kulissen gestanden. „Diese Mitte ist jetzt leer“, sagt Habeck.
Und die SPD? Anders als zuletzt bei den Ost-Wahlen hat sie in den bundesweiten Umfragen nur einen kleinen Vorsprung vor den Grünen. Für eine Zuspitzung des Wahlkampfs auf ein Duell zwischen Merz und Scholz spricht also nicht viel. Und um sicherzugehen, dass es dabei bleibt, erwähnt Habeck auf dem Parteitag den amtierenden Kanzler aus der SPD noch nicht mal.
Rückenwind oder Misstrauen?
Umso ausführlicher reden die Grünen an diesem Tag über die Demonstrationen gegen rechts, die es an diesem Wochenende gab und die an die große Protestwelle des vergangenen Winters anknüpfen könnte. „Wir sehen, dass auf einmal das Land wach wird“, sagt Habeck. Fraktionschefin Britta Haßelmann berichtet in ihrer Rede, dass sie am Samstag selbst am Brandenburger Tor demonstriert habe. „Jede und jeder Einzelne dort hat gespürt: Es kommt auf sie, auf ihn an, dort präsent zu sein.“
Allerdings: Als die Demonstrationswelle des letzten Jahres abebbte, hatte sich unter vielen Teilnehmer*innen ein Gefühl der Enttäuschung eingestellt. Eine erkennbare Resonanz in der Politik hatte der Protest damals nicht gefunden. Der Rechtsruck setzte sich nicht nur bei Wahlen fort. Die Bundesregierung, unter Beteiligung der Grünen, verschärfte die Asylgesetze. Auf ein Demokratiefördergesetz konnte sich die Ampel dagegen bis zum Schluss nicht einigen.
Unter Teilen der Wählerschaft könnte sich Misstrauen gehalten haben. Und es könnte jetzt noch mal angefacht werden. Den Grünen ist es ja weiterhin ein großes Anliegen, auch nach der Wahl zu regieren. Neben Schwarz-Grün haben sie im Moment aber keine realistische Machtoption. Und nach den letzten Tagen müssten sie dafür inhaltlich wohl noch einige Schritte mehr auf die Union zugehen, als ohnehin schon absehbar war.
Bereitschaft dazu scheint noch da zu sein: Bei aller Kritik an Merz formuliert auf dem Parteitag niemand aus der Grünen-Führung rote Linien für mögliche Koalitionsverhandlungen. Geschweige denn, eine grundsätzliche Absage an Schwarz-Grün. Stattdessen setzen die Spitzen-Grünen darauf, dass es in der Union innere Bruchlinien geben könnte und dass der weitere Kurs der Konservativen noch keine beschlossene Sache ist. Als Appell formuliert das unter anderem Haßelmann: „Ich kenne so viele engagierte Leute auch in der CDU. Aber was ist bei euch los, wo ist der Kompass?“, sagt sie.
Wolkig im Wahlprogramm
Ein Wahlprogramm beschließen die Grünen an diesem Tag nebenbei auch noch. Friedrich Merz kommen sie dabei nicht direkt entgegen. Gegenüber dem Entwurf des Parteivorstands aus dem Dezember konnte der linke Flügel einige Ergänzungen durchsetzen – auch im Kapitel zur Migration.
„Abschiebungen in Kriegs- und Krisengebiete verbieten sich“, heißt es jetzt zum Beispiel. Oder: „Die Menschenrechte sind unverhandelbar“.
Viele der Änderungsanträge wurden in Verhandlungen aber auch noch abgeschwächt. So wollen sich die Grünen nicht „gegen Verschärfungen“ im Asylrecht stellen, wie es die Grüne Jugend beantragt hatte. Sondern, wolkiger formuliert: gegen „reine Symbolpolitik und einen Kurs der Asylrechtsverschärfungen, die nur zu Lasten der Schutzsuchenden gehen“. Wieder andere Anträge scheiterten komplett, zum Beispiel einer, der die Möglichkeit des Familiennachzugs auch auf die Gruppe der subsidiär Schutzberechtigten ausweiten wollte.
Falls die Union also doch wieder zu einer Politik der Kompromisse zurückkehrt: Mit den Grünen ließe sich noch was machen.
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