Bündnis von Fridays for Future und Verdi: Fahren und gefahren werden
Fridays for Future unterstützt den Warnstreik im ÖPNV: Für eine Verkehrswende braucht es mehr Personal – und das bessere Arbeitsbedingungen.
N och steht Darya Sotoodeh am Rand des Streikpostens, der sich vor dem hohen Tor des Busdepots im Berliner Stadtteil Wedding aufgestellt hat. Um die 70 Personen sind da. Die 26-jährige Klimaaktivistin ist um 3 Uhr aufgestanden, um sich an die Seite der Verkehrsbeschäftigten zu stellen. Es ist halb sechs, der 2. Februar, noch ist es dunkel. Was für die einen mitten in der Nacht ist, ist für Busfahrer*innen ganz normaler Betriebsbeginn. Nur nicht an diesem Morgen. Flutlicht erhellt den Betriebshof, auf dem die gelben Busse der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) parken. Gefahren werden sollen sie nicht. Zumindest bis 10 Uhr, denn bis dahin bestreiken die Beschäftigten die BVG, im Kampf um bessere Arbeitsbedingungen.
Für Darya Sotoodeh ist es der erste Warnstreik. Sie ist keine Gewerkschafterin. Aber die Probleme im Verkehrssektor und der Austausch mit den Beschäftigten sind ihr vertraut. Lange war die Klimaaktivistin Sprecherin für Fridays for Future Deutschland. Seit über einem halben Jahr engagiert sie sich aber vermehrt in der Öffentlichkeitsarbeit eines neuen Bündnisses. „Wir fahren zusammen“ heißt die Kampagne, die die Klimabewegung gemeinsam mit Verdi und Beschäftigten gegründet hat. Sie ist Teil einer neuen Strategie der Klimabewegung, um das Dilemma zu lösen, dass das eine – die Verkehrswende – nicht ohne das andere – die Beschäftigten – gelingen kann.
Am Streikposten wollen die Verbündeten ihre Solidarität in der Praxis ausdrücken. „Wir zeigen heute: Wir sind laut. Wir sind ein breites Bündnis mit gemeinsamen Interessen“, sagt Sotoodeh. Es gehe darum, dass die Beschäftigten „bessere Arbeitsbedingungen bekommen und unser Nahverkehr eine Zukunft“. Der Tag war einer der bisherigen Höhepunkte des Bündnisses in der Tarifrunde im öffentlichen Nahverkehr 2024, die in den meisten Bundesländern gerade läuft. Nicht nur in Berlin, sondern bundesweit hat die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi zur Arbeitsniederlegung aufgerufen. Mit Ausnahme von Bayern, wo der aktuelle Tarifvertrag noch läuft.
Auch am 29. Februar und am 1. März hat Verdi zu einem Warnstreik bei den Verkehrsbetrieben aufgerufen. Am Freitag fällt der Arbeitskampf zusammen mit einem Klimaaktionstag – unter dem Motto des neuen Bündnisses „Wir fahren zusammen“.
Darya Sotoodeh, Klimaaktivistin
Globaler Klimastreik ist in diesem Jahr am 19. April. Nach antisemitischen Postings auf Instagram im November hatte sich Fridays for Future Deutschland von den internationalen Gruppen distanziert. Deshalb beteiligt sich die deutsche Sektion auch nicht am globalen Aktionstag, sondern organisiert einen nationalen – zusammen mit Verdi.
Auch auf die Gefahr hin, dass womöglich weniger Menschen auf die Straßen gehen, weil der Streik im Verkehr ein zusätzliches Hindernis auf dem Weg zur Demo sein könnte. Aber der Tag könne auch zeigen, welche Folgen der Fachkräftemangel im Nahverkehr hätte und wie es künftig aussähe, wenn sich die Situation für die Beschäftigten nicht verbessere, sagt Sotoodeh. Und auf das Thema will das Bündnis aufmerksam machen.
Die Klimabewegung befindet sich im Wandel. Ihre Strategien der vergangenen Jahre funktionieren nicht mehr. Das, was die Fridays am besten konnten – große Massen auf die Straße bringen –, gelingt ihnen seit der Coronapandemie nicht mehr. Lange schon protestiert die Klimabewegung nur noch unregelmäßig freitags.
Immerhin im Kampf um das Dorf Lützerath beim Tagebau Garzweiler II konnte sie zeigen, dass sie immer noch Tausende versammeln kann. Retten konnte sie das Dorf dennoch nicht. Und auch die Letzte Generation als radikalere Gruppe sieht sich gezwungen, ihre bisherige Protestform aufzugeben und sich nicht mehr auf Straßen zu kleben. Die Kampagne „Wir fahren zusammen“ ist für die Fridays einer der Wege, sich weiterzuentwickeln.
Die Gruppen am Streikposten am 2. Februar sind sichtbar unterschiedlich. Da sind die Beschäftigten nahe dem Eingang, viele von ihnen ältere Männer in Jacken des Verkehrsbetriebs, darüber gelbe Warnwesten. Konträr dazu stehen viele junge Klimaaktivist*innen und Studierende wie Sotoodeh. Aber auch Pflegekräfte und Mitglieder der Kampagne „Deutsche Wohnen und Co enteignen“ unterstützen den Streik. Ohne all die Unterstützer*innen wären hier lediglich halb so viele Menschen. Nur gemächlich mischen sich die Gruppen.
Eine der Unterstützenden legt selbstgebackene Schokomuffins auf einen kleinen Tisch, jemand anderes stellt Kekse dazu. Aus dem Inneren des Hofes schleppt einer der streikenden Busfahrer einen großen silbernen Kaffeespender, dazu kommen Pappbecher und H-Milch. Gemeinsam greifen sie zu, kalte Finger klammern sich um die warmen Becher.
Etwas später steht auch der Ton. Neben dem kleinen Tisch haben zwei der Aktivist*innen einen Lautsprecher aufgebaut, der hoch über die Umstehenden ragt. Und die jungen Aktivist*innen tun das, was sie durch ihre Arbeit bei Fridays for Future schon früh gelernt haben: vor großen Gruppen sprechen. „Heute ist kein Arbeitstag – heute ist Streiktag“, rufen Aktivist*innen und Beschäftigte. Ihre Stimmen hallen über den Hof und die breite Straße. Dann sind die Beschäftigten eingeladen: „Greift zum Mikro und erzählt von euren Erfahrungen“. Anfangs traut sich niemand.
Neue Strategie gibt Hoffnung
Nicht erst bei diesen Tarifverhandlungen arbeiten Fridays for Future und Verdi miteinander. Bereits zu den Nahverkehrs-Tarifverhandlungen 2020 hatten die Klimaaktivist*innen die Beschäftigten im Protest unterstützt. Mit der neuen Kampagne, die sich voriges Jahr gegründet hat, entsteht erstmals ein festeres Bündnis.
Viele in der Bewegung sagen, die neue Strategie, für linke Ziele außerhalb der eigenen Blase zu werben, gebe ihnen seit Langem wieder Hoffnung, die Klimakrise wieder stärker in den Fokus zu rücken. Mit dem Versuch, soziale und klimapolitische Kämpfe zu verbinden, sollen Menschen außerhalb der Klimablase gewonnen werden. Angefangen bei den Beschäftigten im Nahverkehr. Dafür gilt es, Gemeinsamkeiten zu finden und einander zuzuhören.
Seit Herbst wird auf die Streiks hingearbeitet. Unter anderem hat das Bündnis „Wir fahren zusammen“ eine Petition verfasst, mit der es sowohl die Mitarbeitenden des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) als auch Fahrgäst*innen ansprechen will. Die Forderungen: bessere Arbeitsbedingungen und mehr Personal im Nahverkehr sowie massive Investitionen in die Verkehrswende. Wollen Bund und Länder ihr Ziel erreichen, den ÖPNV auszubauen und die Fahrgastzahlen bundesweit bis 2030 zu verdoppeln, müssten 16 Milliarden Euro jährlich investiert werden, argumentieren die Aktivist*innen.
An einem bundesweiten Sammelaktionstag am 1. Dezember vergangenen Jahres war auch George Rainov auf Unterschriftenjagd im Leipziger öffentlichen Nahverkehr. Seine Argumente kennt er auswendig. Der 28-Jährige hat schon hunderte Überzeugungsgespräche geführt. Mit der Schulter an die Haltestange gelehnt, beugt sich Rainov seiner Gesprächspartnerin entgegen.
Es ist eisig kalt im verschneiten Leipzig an diesem Freitag Anfang Dezember. Dementsprechend voll ist die Straßenbahn auf dem Weg in den Leipziger Westen. Sie schwankt leicht beim Fahren. Rainovs Blick bleibt auf die Frau vor ihm gerichtet. „Wenn so ein Wetter ist, was würden Sie dann ohne Bahn machen?“, fragt er. Weil Fahrer*innen fehlen, haben viele Verkehrsbetriebe schon jetzt die Taktungen reduziert. Wenn die Verkehrswende kommen soll, braucht es weit mehr Personal. Deshalb müssten die Mitarbeitenden des öffentlichen Personennahverkehrs in ihren Tarifverhandlungen unterstützt werden, versucht Rainov die Frau zu überzeugen. Unterschreiben will sie nicht. Nur einen Flyer nimmt sie mit.
George Rainov, Klimaaktivist
George Rainov hat die Leipziger Ortsgruppe von „Wir fahren zusammen“ seit Januar 2023 mit aufgebaut. Über 20 Stunden die Woche steckt er in die Kampagne. Schon früh sah der gebürtige Hallenser die Notwendigkeit, Klimaschutz und Sozialpolitik gemeinsam zu denken. „Bei Klimapolitik wird Soziales oft nicht mitgedacht“, sagt Rainov.
Klimaschutz finanzieren, ohne bei Sozialem zu kürzen
Genauso sieht es Darya Sotoodeh. Sie beschreibt es wie folgt: Bei jeglicher Forderung, ob nach einer menschenrechtskonformen Asyl- und Migrationspolitik, nach konsequenten Klimaschutzmaßnahmen oder nach mehr Investitionen in Bildung oder Soziales, sei die politische Antwort die gleiche: Es fehle an Geld. Gebe man mehr für das eine, müsse man mehr am anderen sparen. „Und so wird Klima gegen Soziales ausgespielt und Soziales gegen Geflüchtete.“ Sotoodeh findet: „Es gibt Lösungen und genug Geld für uns alle.“ Um die Forderungen gemeinsam durchzusetzen, müsse man „alle Menschen, die von der Politik vernachlässigt werden, zusammenbringen“..
Die Fridays-for-Future-Bewegung, die Greta Thunberg 2018 startete, hatte immerhin einen Erfolg: Sie machte die Klimakrise allen begreifbar. Aber sie konnte nur wenig in politische Ergebnisse übersetzen, stellt Felix Anderl, Protestforscher an der Uni Marburg, fest. „Für die Aktivistis selbst ist es natürlich enttäuschend, wenn man jahrelang auf die Straße geht, alle einem gut zureden, aber am Ende trotzdem weiter Kohle verbrannt wird.“
Fünf Jahre nach ihrer Gründung geht es der Bewegung nun mehr darum, wie Klimaschutz umgesetzt wird, und darum, alle mitzunehmen. Die Politik müsse Klimaschutz finanzieren, ohne bei sozialen Themen zu kürzen, fordern Fridays for Future.
Der Protestforscher Anderl sieht in dem neuen Bündnis eine Weiterentwicklung. Wer für Klimagerechtigkeit werbe, müsse auch glaubwürdig sein. Wie auch die Grünen hätten Fridays for Future in der Hinsicht ein Problem. Das akademische Milieu, das die Klimabewegung größtenteils repräsentiere, sei auch eine Schwäche. Denn der Bewegung fehle der Zugang zu anderen sozialen Gruppen. „Ich glaube, sie sind gut beraten, sich Allianzpartner hinzuzuholen“, sagt Anderl. Gerade die Verbindung mit den Gewerkschaften sei spannend, da diese ganz automatisch andere Bedürfnisse und Themen auf dem Schirm haben.
Themen wie die Rolle der Fahrer*innen in der Verkehrswende. Der Leipziger George Rainov sagt: „Vielen Fahrgästen fehlt der Zugang zur Lebensrealität der Fahrer*innen, sie wissen nicht, wie der Arbeitsalltag des Fahrpersonals aussieht.“
„Wir brauchen Bus und Bahn“
Das zu vermitteln, darin sieht Darya Sotoodeh ihre Aufgabe. Die Wollmütze über die Stirn gezogen und die schwarze Winterjacke bis zum Hals geschlossen, spricht sie in eine Handykamera. Auf ihrer neongelben Warnweste prangen das Verdi-Logo und ein lila Sticker mit Bus und Bahn, auf dem „Wir fahren zusammen“ steht. „Egal, ob wir zur Arbeit, Schule, zum Arzt oder zu einer Party wollen. Dafür brauchen wir Bus und Bahn, die regelmäßig und zuverlässig kommen“, sagt sie. In den vergangenen Monaten haben Mitglieder des Bündnisses eine Vielzahl von professionellen Kampagnen-Videos gedreht, in denen Beschäftigte von ihrer Arbeit erzählen und erklären, was aus ihrer Sicht das große Problem ist.
Im öffentlichen Nahverkehr ist der Fachkräftemangel längst angekommen. 2022 hatte mindestens die Hälfte der Unternehmen ihren Verkehr mangels Personals zeitweise eingeschränkt. Zu dem Ergebnis kam eine Branchenumfrage des Verbands Deutscher Verkehrsunternehmen. Die Busbranche prognostizierte im Februar 2023 einen Fahrer*innenmangel bis 2030 von 87.000 Menschen.
Der Generationenwechsel, die Babyboomer, die in Rente gehen, aber auch schlechte Arbeitsbedingungen verschärfen die Lage. Vielerorts sind laut Verdi die Probleme im ÖPNV vergleichbar: Personalmangel, überlange Schichten, zu kurze Pausen, zahllose Überstunden.
Das sind die Kernthemen, um die es in der aktuellen Tarifrunde geht, die laut Ver.di mehr als 130 kommunale Verkehrsunternehmen in Städten und Landkreisen mit insgesamt 90.000 Beschäftigten betrifft. Auch wenn sich die Forderungen von Land zu Land unterscheiden. In Brandenburg, dem Saarland, Sachsen-Anhalt und Thüringen verhandeln die Beschäftigten auch über Löhne und Gehälter.
Wieder in der Leipziger Straßenbahn Anfang Dezember. George Rainov wendet sich der nächsten Fahrgästin zu, und plötzlich flutscht es. Die Schülerin hat einen Teil seines vorigen Gesprächs mitgehört. Der Stift hakt, aber sie unterschreibt. Als sie Richtung Tür geht, kommt ein weiterer junger Mann auf Rainov zu. Rainov will ihn vorbeilassen. Doch er will unterschreiben. „In der Schule habe ich ein Praktikum im Verkehrsbetrieb in Freiburg im Breisgau gemacht“, sagt er. In dem eng getakteten Zeitplan zu arbeiten, könne er sich nicht vorstellen. George Rainovs Anliegen spricht sich herum. Eine weitere Frau will unterschreiben. Und ihr Sitznachbar auch.
Lauter kleine Erfolgserlebnisse. „Zehn gute Gespräche sind besser als 100 Unterschriften“, glaubt Rainov. Nur so könnten sie Mitstreiter*innen gewinnen, die im Frühjahr mit ihnen auf die Straße gehen. Mittlerweile haben „Wir fahren zusammen“ nach eigenen Angaben in ganz Deutschland Stand Mittwoch über 121.000 Unterschriften gesammelt. Mindestens 70.000 stammten aus Gesprächen, andere kamen auch online hinzu, nachdem es die Petition mittlerweile auch auf Campact gibt.
Ihre Petition haben die Aktivist*innen auch am Streikposten Anfang Februar in Berlin dabei. In den Händen und am Rand liegen Klemmbretter. Mittlerweile ist es hell geworden. Die Stimmung hat sich gelöst. Es läuft Musik, Klassiker. „Money, Money, Money“ von Abba und „Under Pressure“ von Queen spielen die Aktivist*innen auf Wunsch eines Beschäftigten.
Eine Busfahrerin hat sich mittlerweile getraut eine Rede zu halten. Die 34-Jährige fährt seit über zehn Jahren Bus. Sie erzählt, wie viel Spaß ihr der Job mache, von Fahrgästen, die sich für ihren ruhigen Fahrstil bedanken, und ihr nettes „Hallo“.
Aber auch von den Problemen: „Wir können nicht auf Toilette gehen an ’ner Endhaltestelle.“ Zeitlich sei das oft nicht drin. Sie erzählt von Fahrgästen, die sie beschimpfen, wenn sie wenige Minuten zu spät kommt. Von Radfahrer*innen, die sie ausbremsen, weil Busspuren fehlten. All das führe zu extremem Stress, der krank mache. „Wir brauchen Zeiten, um uns zu regenerieren. Zeit, in der wir mit unserer Familie Kraft sammeln können.“
Mit ihren Worten berührt sie viele, auch die drei Politiker*innen, die am Streikposten dabei sind, darunter Katharina Dröge, Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag. Allein dass Bundespolitiker*innen kommen, kann die Bewegung als Erfolg verbuchen. Denn so gibt es mehr Aufmerksamkeit für die Anliegen der Beschäftigten. „Ich war am Anfang skeptisch, aber bin mittlerweile hellauf begeistert. Dass die jungen Leute sich da so engagieren und mit uns streiken, finde ich toll“, sagt Streikleiter Stefan Sievert am Morgen. „Dieses Mal war einfach eine andere Atmosphäre mit Musik und Reden. „Das habe Spaß gemacht.
„Wir fahren zusammen“ als Imagekampagne
Die Beteiligung von Fridays for Future hat auch einen weiteren positiven Effekt: Vielen Gewerkschaften fällt es schwer, Nachwuchs zu gewinnen. Deshalb könnte sich das Bündnis schon allein als Image- und Mitgliederkampagne lohnen.
Aber würden die Beschäftigten der Verkehrsbetriebe sich umgekehrt auch an Klimaprotesten von Fridays for Future beteiligen? Schaut man sich Bündnisse aus der Vergangenheit an, ging es oft punktuell um konkrete Kampagnen. Nicht immer ist es leicht, eine gemeinsame Linie zu finden. „Die großen Gewerkschaften haben oft Angst, dass es zu radikal werden könnte“, sagt Protestforscher Anderl. Dann könnten womöglich Mitglieder austreten. Eine radikalere Haltung könnte ihnen bei kommenden Tarifverhandlungen auch vor die Füße fallen. „Deswegen sind sie sehr darauf bedacht, seriös rüberzukommen.“
Aber auch Fridays for Future sei ein seriöses Image wichtig, wie man in den vergangenen Jahren immer wieder gesehen habe, sagt Anderl. Das könnte Konflikte zwischen den Bündnispartnern schmälern.
In der Gewerkschaft ist vielen sicherlich auch bewusst, dass die Jobs der Zukunft – auch im Dienstleistungsgewerbe – von einer ordentlichen Transformation abhängen. Andreas Schackert, Bundesfachgruppenleiter Busse und Bahnen bei Verdi, sagt, im Bündnis „Wir fahren zusammen“ gehe es auch um eine große politische Idee von Mobilität und Verkehrswende.
Schon heute belaste der Fachkräftemangel enorm. Doch man brauche noch mehr Menschen, um den ÖPNV weiterzuentwickeln. Das mache den Konflikt um Arbeitsbedingungen zu einem hochpolitischen. „Wir können in Tarifrunden gut streiken und verhandeln. Aber das ist nur wirksam, wenn nachhaltig Geld ins System kommt“, sagt er der taz. Denn wolle man die Beschäftigten entlasten, bräuchte man mehr Personal – und das müsse finanziert werden.
Es brauche eine bundesweite Lösung, wie der ÖPNV künftig geregelt wird. Die müssten Bund und Länder gemeinsam finden. „Es geht nicht, dass die Kommunen alleine zuständig sind und der Bund sich alleine um den Schienennahverkehr kümmert.“ Bisher gebe der Bund an die Städte sogenannte Regionalisierungsmittel. Die reichten nicht aus. Hätten die Städte mehr Geld, könnten sie auch mehr in ihre Verkehrsinfrastruktur und die Arbeitsbedingungen investieren.
Deshalb will das Bündnis „Wir fahren zusammen“ seine gesammelten Unterschriften am Freitag auch an die Bundespolitik überreichen. An Kommunalpolitiker*innen wurden die Unterschriftensammlungen bereits übergeben.
Mit dem Warnstreik in dieser Woche will Verdi Druck auf die Arbeitgeberverbände ausüben, auf die Forderungen der Gewerkschaft einzugehen. Gleichzeitig will Verdi zeigen, dass es die Klimakrise im Blick hat.
In Deutschland sind politische Streiks verboten
Die Verknüpfung der beiden Themen ist nicht ganz einfach. Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände hatte im vergangenen Jahr kritisiert, wenn Verdi Arbeitskämpfe und allgemeinpolitische Ziele miteinander vermische, gerate die Gewerkschaft schnell auf ein Spielfeld jenseits der deutschen Tarifautonomie. Grundsätzlich sind in Deutschland politische Streiks verboten. Ganz trivial sei der Vorwurf nicht, befanden auch Arbeitsrechtler.
Verdi-Fachgruppenleiter Schackert sieht das anders. Auf einer Pressekonferenz zum Klimastreik vergangene Woche stellte er klar: „Die Streiks sind für uns kein Mittel zur politischen Demonstration, sondern Arbeitskampfmittel, die wir sehr gezielt und wohldosiert einsetzen.“ Was bleibt, ist ein möglicher Widerspruch zwischen aktuellen Interessen von Arbeitnehmer*innen und Notwendigkeiten für eine gute Zukunft für alle – typisch für Transformationsprozesse.
Und wie geht es nach dem Nahverkehrsstreik vom 29. Febuar und 1. März weiter? „Wir fahren zusammen“ will weiterhin die Beschäftigten in ihren Tarifverhandlungen unterstützen. Wenn Verdi am Ende mit besseren Arbeitsbedingungen aus den Verhandlungen gehe, sei das allein schon ein Gewinn, sagt Rainov. Auch wenn damit noch nicht die große Verkehrswende eingeläutet wäre. Die Klimakämpfer*innen sind sich bewusst, dass sie vermutlich noch häufiger Druck auf die Straße bringen müssen.
Die Klimaaktivistin Sotoodeh macht einen Erfolg des Bündnisses von mehr abhängig als nur von den Forderungen an die Politik. Nämlich davon, dass Menschen auf der Straße erkennen, dass die Lösung für all die Krisen sei, sich zusammenzutun, um gemeinsam Druck auf die Politik auszuüben, ihrer Verantwortung für eine gute Daseinsfürsorge gerecht zu werden. Wenn alle Menschen erkennen würden, dass Klimagerechtigkeit möglich und gut für alle sei. „Ein Stück weit haben wir das schon geschafft“, glaubt Sotoodeh, „durch die vielen Kontakte mit Beschäftigten und Fahrgästen.“
In der Theorie stimmen viele sicherlich zu, dass es notwendig ist, eine klimaneutrale Wirtschaftspolitik zu formulieren, die gleichzeitig auch sozial ist, glaubt der Protestforscher Anderl. Die Umsetzung sei aber eine ganz andere Frage. Die Forschung unterscheide zwischen notwendigen und ausreichenden Bedingungen für Veränderung. „Breite Allianzen sind notwendige Bedingungen für eine sozialökologische Transformation.“ Wenn sie auch nicht ausreichend seien.
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