Brot für die Welt kritisiert G7-Staaten: Verständnis für Weizen-Exportverbot

Indiens Regierung verhindere mit ihrem Ausfuhrstopp Hunger im eigenen Land, so Brot für die Welt. Das Hilfswerk weist Kritik der G7-Länder zurück.

Eine Hand hält geernteten Weizen

Begehrtes Lebensmittel: Bauer trägt Weizen nach der Ernte im indischen Bundesstaat Uttar Pradesh Foto: Rajesh Kumar Singh/ap

BERLIN taz | Die Hilfsorganisation Brot für die Welt hat die Kritik der G7-Staaten an Indiens Exportverbot für Weizen zurückgewiesen. „Es ist nur gerechtfertigt, wenn die indische Regierung Hunger im eigenen Land durch einen Ausfuhrstopp verhindern will“, sagte Francisco Marí, Welternährungsreferent des evangelischen Hilfswerks, am Sonntag der taz. Sonst würde der Staat Bauern zu wenig Getreide abkaufen können, um 500 Millionen arme Inder mit subventioniertem Weizen zu versorgen. Denn Exporteure zahlten den Landwirten wegen der drastisch gestiegenen Weltmarktpreise derzeit viel mehr als die Regierung.

„Das gefährdet das sehr sensible System, das Indien in den letzten 10, 15 Jahren aufgebaut hat, um sich nicht abhängig zu machen vom Weltmarkt“, ergänzte Marí. Ohne die Festpreise würden viele indische Bauern den Weizenanbau aufgeben, weil Importe in der Regel günstiger seien.

Indien hatte am Samstag ein sofortiges Ausfuhrverbot für Weizen verhängt. Damit sollten Preissteigerungen im eigenen Land eingedämmt werden, teilte die Regierung des weltweit zweitgrößten Weizenproduzenten mit 1,4 Milliarden Einwohnern mit. Eigentlich wollte Indien in diesem Jahr eine Rekordmenge von rund 10 Millionen Tonnen Weizen auf dem Weltmarkt verkaufen und so dazu beitragen, ausbleibende Lieferungen aus der Ukraine zu ersetzen. Eine ungewöhnlich frühe Hitzewelle mit Temperaturen von weit über 40 Grad in Indien hatte zuletzt aber die Sorge vor einer Missernte geschürt.

Am Weltmarkt dürfte der Exportstopp die Preise nun weiter in die Höhe treiben, sodass die Zahl der Hungernden in Entwicklungsländern steigen könnte. Indien erklärte zwar, bereits bestehende Lieferverträge würden erfüllt und auch Länder, die ansonsten um ihre Ernährungssicherheit fürchten müssten, würden beliefert. Die Ausfuhr weiterer Mengen werde aber gestoppt.

Die G7 sollten lieber ihren eigenen Weizenverbrauch für Sprit oder Futter reduzieren, fordern AktivistInnen

Durch den Krieg in der Ukraine können den Vereinten Nationen zufolge derzeit knapp 25 Millionen Tonnen bereits geerntetes Getreide nicht aus dem Land gebracht werden. Zudem wird sich die kommende Ernte nicht auf dem bisherigen Niveau halten lassen. Das treibt weltweit die Preise.

Die G7-Mitgliedstaaten – Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Japan, Kanada und USA – hätten sich gegen Exportstopps ausgesprochen, sagte Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir am Samstag zum Abschluss eines Treffens mit seinen RessortkollegInnen der Ländergruppe in Stuttgart. „Wir rufen dazu auf, die Märkte offen zu halten“, so der Grünen-Politiker. Konkret an Neu Delhi gewandt, appellierten die G7 an Indien, seiner „Verantwortung als G20-Mitglied gerecht zu werden“.

„Da muss ich schon mit dem Kopf schütteln, wie Herr Özdemir dazu kommt, gerade Indien anzugreifen, obwohl die G7 selber Millionen Tonnen an Weizen zusätzlich zur Verfügung stellen könnten, indem sie zum Beispiel weniger Getreide als Kraftstoff verheizen oder verfüttern würden“, sagte Entwicklungsexperte Marí. Zurzeit würden etwa 60 Prozent des in Deutschland verbrauchten Weizens nicht auf dem Teller, sondern in Tank oder Trog landen. Vieh benötigt auch Kalorien aus dem Futter für den Eigenverbrauch, die deshalb für die menschliche Ernährung verlorengehen.

„Die Bundesregierung sollte gucken, wie Deutschland seinen Weizenverbrauch reduzieren kann, statt nun Indien zu kritisieren, das wegen einer vom Klimawandel verursachten Hitzewelle in Bedrängnis gerät“, so Marí. Eine von Özdemir unterstützte Initiative für weniger Agro­sprit wird bisher etwa von Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) blockiert.

Zudem verlangte Marí: „Die G7 sollten noch einmal darauf hinweisen, dass Russland trotz der Sanktionen weiter Getreide exportieren darf – und dass das auch so bleibt.“ Solche Signale an die Märkte könnten die Preise senken, da eigentlich genug Getreide auf den Markt komme. Russland erwartet nach eigenen Angaben eine Rekordernte und exportierte schon vor dem Krieg mehr Weizen als die Ukraine.

„Außerdem muss der Westen Druck auf Russland ausüben, dass es die Ausfahrt von Weizenschiffen aus den ukrainischen Häfen erlaubt“, ergänzte Marí. Die G7-AgrarministerInnen verlangten das bereits.

Marí rief dazu auf, Staaten wie Tunesien und Ägypten schnell und unbürokratisch zu helfen, wenn diese das wünschen. Tunesien decke 45 Prozent, Ägypten 35 Prozent seines Kalorienbedarfs durch größtenteils importierten Weizen. „Fatal ist es, wenn in dieser Situation der Internationale Währungsfonds zur Bedingung macht, dass die betroffenen Staaten Subventionen für Grundnahrungsmittel zurückfahren“, ergänzte Marí. Solchen Forderungen des IWF solle die Bundesregierung entgegentreten. (mit rtr/dpa)

Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version hieß es, dass etwa 80 Prozent des Weizens in Tank oder Trog landeten. Brot für die Welt hat diese Zahl inzwischen korrigiert: Laut dem Hilfswerk sind es etwa 60 Prozent.

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