piwik no script img

Bremer Bürgerschaftswahl 2023Wutbürger mit Wahlerfolg

Die Rechtsaußen von „Bürger in Wut“ erreichen bei der Bremen-Wahl Fraktionsstatus - dank der AfD. Ihr Personal ist dubios.

Hatte Grund zum Jubel: Piet Leidreiter, Spitzenkandidat der „Bürger in Wut“, am Sonntag in Bremen Foto: Philip Dulian, dpa

Hamburg taz | Der Erfolg kam erwartet. Kurz nach 18 Uhr am Sonntag lagen die „Bürger in Wut“ (BiW) bei der Bürgerschaftswahl in Bremen in ersten Prognosen bei 10,5 Prozent. Die Kleinstwählervereinigung um die Spitzenkandidaten Jan Timke und Piet Leidreiter, die sich selbst als „bürgerlich-konservativ“ bezeichnet, zieht damit erstmals in Fraktionsstärke in der Bremer Bürgerschaft ein und könnte 10 Mandate erhalten.

Auf der Wahlparty mit rund 100 An­hän­ge­r*in­nen in einem Festsaal einer Sportkneipe am Bremer Stadtrand war von einem „Erdbebensieg“ die Rede. Der Jubel war euphorisch. Der Erfolg hatte sich in den vergangenen Monaten abgezeichnet. Noch bei der vergangenen Wahl 2019 hatte die BiW nur 2,4 Prozent der Stimmen erhalten. Im Oktober 2022 kam die Vereinigung dann schon knapp an die Fünf-Prozent-Hürde heran, ab Februar 2023 lagen sie bei bis zu 10 Prozent.

Im Wahlkampf hatten sich die selbsternannten Wut­bür­ge­r*in­nen erneut als Law-and-Order-Partei inszeniert, auch mit Fake News. „Bremen ist ein El Dorado für Straftäter“, erklärten die BiW. Unter dem Slogan „Klartext im Wahlkampf“ behauptete Leidreiter in einem Rundbrief, dass Bremen durch „Jugendliche und Kinder aus Marokko, Tunesien und Algerien“ zu einer „Hochburg des Verbrechens“ geworden sei. Dass die Daten des Senats dies nicht hergeben, störte ihn nicht.

Die BiW tönten zudem, „die Bremer“ sollten nicht bloß „aufwachen“, sondern sich wehren. Auf einem Wahlplakat prangte: „Bremer Autofahrer, wehrt Euch!“. Leidreiter erklärte der FAZ unumwunden: „Unsere Wahlkampfthemen sind darauf ausgerichtet: Wo sind die Menschen wütend?“ Und in der neu-rechten „Jungen Freiheit“ erklärte Timke, man profitiere davon, dass die Arbeit des rot-grün-roten Senats „stark ideologiegetrieben ist und an der Lebenswirklichkeit der Menschen vorbeigeht“. Eine klassische extrem-rechte Argumentation, nach der nur sie selbst nach dem reinen Menschenverstand und wahren Volkswunsch handeln würden, ohne jede Ideologie.

Ein AfD-Streit ermöglichte den BiW-Erfolg

Die BiW weiß aber selbst, dass ihnen nicht ihr Wahlkampf allein, sondern auch das AfD-Versagen den Wahlerfolg ermöglichte. Die AfD lag im März in Umfragen noch bei sieben Prozent. Doch durch einen parteiinternen Streit zwischen zwei konkurrierenden AfD-Landesvorständen, die beide für sich beanspruchen, die Partei nach außen zu vertreten, scheiterte die Kandidatur. Beide Vorstände hatten eigene Listen beim Wahlausschuss eingereicht – laut Wahlgesetz darf aber jede Partei nur mit einer Liste antreten.

In einer Umfrage von Radio Bremen hatten 54 Prozent der Befragten erklärt, die BiW zu wählen, weil die AfD nicht kandidierte. Timke sagte auch selbst, dass seine Vereinigung einige „gemäßigte Wähler des bürgerlichen Spektrums“ anziehe, die früher AfD gewählt hätten. Aus der AfD kamen aber auch einzelne Kandidaten direkt zur BiW. Spitzenkandidat Leidreiter selbst ist ein Ex-AfDler, genauso wie der Listenzweite Sven Schellenberg.

Kandidat musste nach taz-Bericht zurückziehen

Drei Tage vor der Wahl muss die BiW nach einem taz-Bericht einräumen, dass auf ihrer Liste auch ein Rechtsextremer plaziert war: Heiko Werner. Der nahm 2018 an einem Solidaritätsmarsch von gewaltbereiten Rechtsextremen für die inhaftierte Holocaust-Leugnerin Ursula Haverbeck teil. Die BIW legte Werner daraufhin nahe, die Wählervereinigung zu verlassen. Dort sei kein Platz für rechtsextremes Gedankengut, behauptete Timke. Werner selbst versicherte, kein Mandat anzunehmen.

Aber auch andere Kandidaten sind dubios. Auf Platz 3 der BiW-Liste trat André Minne an. Der neu gewählte Bürgerschaftsabgeordnete ist via Facebook mit der Rocker-Rotlichtgröße Stefan Ahrlich befreundet. Ahrlich ist seit Jahren an der Weser eine Größe im Milieu zwischen Rockern und Rechtsextremen. Mit einem Tattoo auf der linken Brust bekennt er sich zu „Odin statt Jesus“, mit einem T-Shirt „Endstufe-Crew“ zeigte er offen seine Nähe zu der Rechtsrockband. Über Facebook ist Minne zudem mit einem Kampfsporttrainer verbunden, der sich in der rechtsextremen Szene bewegt.

Im Wahlkampf unterstützte die Kleinstpartei „Bündnis Deutschland“ (BD) die BiW. Auf seiner Website erklärt das BD, rund 300.000 Euro in den Wahlkampf investiert zu haben. Die „Bürger in Wut“ überlegen derweil, sich von Bremen aus auch bundesweit aufzustellen. Die BiW könnten damit „den politischen Wirkungskreis für unsere Mitglieder über die Grenzen des Landes Bremen hinaus erweitern“, erklärte Timke.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

20 Kommentare

 / 
  • 8G
    80410 (Profil gelöscht)

    Das war zu erwarten ... wer hat denn ernsthaft geglaubt, dass die AfD-Wähler zuhause bleiben würden, nur weil ihre Partei nicht antritt? Die verschwinden ja nicht einfach.

  • Wut ist eine genetisch vorprogrammierte autonome Reaktion auf eine Bedrohungssituation. Insofern sollte man das subjektive Bedrohungsgefühl der Wütenden durchaus respektieren.



    Auf der anderen Seite schaltet das wütend gewordene Stammhirn das Vorderhirn aus, also den Teil des Gehirn, mit dem wir denken und begreifen, analysieren, Pläne machen, Ziele anstreben usw. - alles Dinge, die man sich bei Politikern wünscht.



    In einer psychologischen Praxis ist man angehalten, Wütenden gegenüber keine Sätze zu bilden, die grammatikalisch verschachtelt sind und mehr als 10 Worte beinhalten.



    Sie verstehen sie sonst einfach nicht. Ich drücke den Wählern einer solchen Partei viel Glück für die Zukunft, sie werden es brauchen.



    Wenn sich eine Partei den Namen "Bürger in Wut" gibt, mögen sich die Mitglieder gerne ein Post-it auf die Stirn kleben, auf dem geschrieben steht: Ich kann nicht klar denken.

    • @Stechpalme:

      👍🏻👍🏻👍🏻

  • Mich frustrieren doch die 10% für die Wutschnuten in Bremen … „Bürger in Wut“, das klingt ja schon mal so richtig programmatisch und nach konstruktiver Oppositionsarbeit.



    Na ja, meistens zerlegen sich solche Gurkentruppen im parlamentarischen Betrieb ganz von alleine, schade nur um die verschenkten Stimmen.



    Ansonsten: AfD in Bremen … zu blöde zum Eierlegen. Gottseidank.

    • @Abdurchdiemitte:

      Ich würde zustimmen, nur beweist die AfD, dass es Gurkentruppen länger machen, als man geglaubt hätte ... Leider.

  • Neun Prozent für diesen Murks .... Oh je, es wäre echt gut, wenn die demokratischen Parteien sich anstrengen und die verängstigten Bürger besser mitnehmen. Ansonsten sind die nur oberflächlich bürgerlich, im Kern rechtsextrem und fremdenfeindlich.

    • @Andreas_2020:

      Vielleicht sollte man auch in Erwägung ziehen, dass es Menschen gibt, die auf diese Reise gar nicht mitgenommen werden wollen.

  • Ich würde mir diese Partei ja mal anschauen,aber ich glaube das ist wieder so eine Partei der Kategorie "am besten garkeine Aufmerksamkeit schenken, überhaupt nicht, garnicht, nichts tun was deren Bekanntheitsgrad erhöhen könnte oder sie denken lassen könnte jemand interessiere sich für sie"

  • Der deutsche Michel ist resistent. Er will einfach nicht dazulernen. Am deutschen Wesen soll die Welt genesen.



    Es ist schon wieder hohe Zeit für Nazis und ihre Splitter. Konservativ ist deren grösste Lebenslüge.Kriminell passt schon eher.

  • Ja Glückwunsch, wenn man nur deshalb mehr Stimmen bekommt, weil die rechtsextreme AfD nicht zur Wahl stand.



    "bürgerlich" steht bei den BiW wohl für rechtskonservativ, allein wenn ich mir Wahlprogramm und Plakate anschaue. Eine Partei ohne Weitsicht, die einfach so weitermachen will, wie in den 80er Jahren.

    "Und in der neu-rechten „Jungen Freiheit“ erklärte Timke, man profitiere davon, dass die Arbeit des rot-grün-roten Senats „stark ideologiegetrieben ist und an der Lebenswirklichkeit der Menschen vorbeigeht“."

    Klar, an der verqueren Wirklichkeit von Autofahrern, die sich über Tempo 30 beschweren.

    • @Jan Berger:

      afd und biw sind was frueher rep und dvu waren.

  • Herr Leidreiter, seine Partei (BIW) und alle Wutbürger sollten, bevor sie mit falschen Entscheidungen Schaden anrichten, an das alte deutsche Sprichwort denken: "Wut ist ein schlechter Ratgeber!"

  • "... erklärt das BD, rund 300.000 Euro in den Wahlkampf investiert zu haben"

    Die scheinen, es zu haben. Mal wieder ein Schweizer Investor?

    • @tomás zerolo:

      ...hier muss echt dringend eine Aufsichtsbehörde auf die finanziellen " Hintermänner " achten - sonst hat hier bald jede finanzstarke Interessengemeinschaft aus dem In- und Ausland ihre eigene Partei...

      • @Alex_der_Wunderer:

        "sonst hat hier bald jede finanzstarke Interessengemeinschaft aus dem In- und Ausland ihre eigene Partei..."

        Haben die das schon längst ?



        Allerdings investieren solche Leute nur dort, wo eine Rendite zu erwarten ist.



        Bei Parteien also in Regierungsparteien statt Fundamentalopposition.

        • @Don Geraldo:

          ...richtig - zudem haben sie auch ihre Lobbyisten laufen....

  • und das beste kommt noch ...

    kaum wer, der/die die biw gewählt haben, wird das parteiprogramm wirklich gelesen haben.



    wieso auch ?



    plakative stimmungsmache genügt und schon das kreuz gemacht.

    der bremerhavener oberbürgermeister hat es leider rechtzeitg versäumt, dem durch gutetagesarbeit, pr und wahlkampfoffensive einen riegel vorzuschieben.



    so scheint es mir.

    dem bremer senat und dem parlament ist angeraten, die biw richtig in die arbeit mit einzuspannen.

    denn wenn die rechts-rechten irgendwas wegschieben können, dann ist es papierarbeit.



    am anfang wird es sicherlich anträge, anträge regnen.



    einfach mitspielen.



    und ihnen die spielregeln parlamentarischer arbeit beibringen.

  • vor 4 Jahren hatten BIW 2% + und die AfD 8% +



    Da sich die zerstrittene AfD selbst raus gekickt hat hatten die AfD wähler die Wahl koservativ oder rechts außen



    Jetzt sieht es das ganze Land



    für AfD Wähler sieht die Alternative für Deutschland braun aus

    • @Ramaz:

      „… für AfD Wähler sieht die Alternative für Deutschland braun aus.“



      Das könnte man schlussfolgern aus dem Abschneiden der Wutbürger-Partei in Bremen, ja. Und so wäre es auch in anderen Bundesländern wie Sachsen, Thüringen usw., würde die AfD dort wegen abgrundtiefer Dämlichkeit keine eigene Wahllisten zustandebringen. Die Alternative dazu ist für AfD-Wähler stets infantil-wutschnutig bzw. hassfratzig und … braun.