Brandanschlag wegen Regenbogenflagge: „Ich bin fassungslos“
In der hannoverschen Nordstadt gab es einen queerfeindlichen Brandanschlag. Die Solidarität in der Nachbarschaft ist groß. Der Staatsschutz ermittelt.
Am Samstagmorgen vor zwei Wochen, am 13. März, wurde Lukas Schmidt (Name geändert) von einer Nachricht der Nachbar*innen geweckt. Deren Hund hatte Alarm geschlagen. Das Treppenhaus des Mehrfamilienhauses, in dem Schmidt wohnt, war voller Qualm und ein intensiver Gestank lag in der Luft. Die Fußmatte stand in Flammen. An der Haustür war ein Zettel mit queerfeindlichen Inhalten in Runenschrift geklebt.
Die Nachbar*innen löschten das Feuer und alarmierten die Polizei. Die Polizei bestätigt, dass der Fall erfasst sei und nun wegen Sachbeschädigung, Beleidigung und dem Verwenden verfassungsfeindlicher Symbole ermittelt wird.
Bislang gibt es kein*e Tatverdächtige*n. Zuständig für weitere Schritte ist der für politisch motivierte Kriminalität zuständige Staatsschutz. Von einer Pressemitteilung oder einen Zeug*innenaufruf sah die Polizei ab. Grund hierfür sei, dass Täter*innen nicht bestätigt und Nachahmer*innen nicht angestiftet werden sollten.
„Ich bin fassungslos über die Situation“, sagt Lukas Schmidt. Sie*er studiert Psychologie und arbeitet für ein großes Logistikunternehmen. Irgendein Queer-Hasser meine hier, ein Zeichen setzen zu müssen, sagt sie*er. Wie Lukas Schmidt zum Ziel wurde, ist unklar. Die einzige Idee: Eigentlich hängt in Schmidts Fenster immer eine Regenbogenflagge – die sei allerdings wegen des Wetters zum Waschen in den vergangenen Wochen eingeholt gewesen.
Die Menschen in Schmidts Umfeld, erzählt sie*er, seien weltoffen und tolerant, weswegen unbekannte Täter*innen am wahrscheinlichsten scheinen. Schmidt vermutet, es könnten Rechte hinter dem Angriff stecken. Wenige Tage vor dem Brandanschlag hatte zum ersten Mal Infomaterial der AfD vor der Tür gelegen. Das könnte Zufall sein, aber ein Zusammenhang sei auch nicht auszuschließen, sagt Schmidt.
Dass vermutlich Planung hinter der Tat stecke, verunsichere sie*ihn, gerade nach Einbruch der Dunkelheit oder spät nachts. Auf dem Heimweg von der Arbeit hat Lukas Schmidt manchmal ein mulmiges Gefühl. Telefonate mit Freund*innen und ein Pfefferspray für die Notwehr bieten ein wenig Sicherheit.
Von dem Brandanschlag will Schmidt sich trotzdem nicht einschüchtern lassen. „Ich bin nicht gewillt, darauf zu verzichten, zu zeigen, wer ich bin.“ Sich zu verstecken nach so einer Tat, führe nur dazu, dass der Hass zunehme. Es helfe nur, gemeinsam Stärke zu zeigen und Solidarität. Der Rückhalt durch die Nachbar*innschaft sei groß, die Hausgemeinschaft nehme die Ereignisse als einen Angriff auf die gesamte Gesellschaft wahr. Nach einem Post in der „Nordstadt Gruppe“ auf Facebook schrieben viele solidarische Nachrichten. An mehreren anderen Häusern hängen nun ebenfalls Regenbogenfahnen.
Sehr gefreut hat Schmidt auch eine Aktion der Gruppe „Catcalls of Hannover“. Die Aktivist*innen malten mit Kreide einen Regenbogen auf den Gehweg vor dem Tatort, schrieben daneben: „Love is Love – #stopptqueerbelästigung #dienordstadtbleibtqueer.“ Die Sichtbarkeit der LGBTIQ+-Community sei wahnsinnig wichtig, sagt Lukas Schmidt dazu. Die Gesellschaft sei viel zu verfahren im Muff der 1950er-Jahre.
Es ist nicht der erste queerfeindliche Übergriff in Hannover. Erst im vergangenen Juni besprühten Unbekannte die Fassade und Fenster des kurz zuvor eröffneten queeren Jugendzentrums Queer Unity in der Königsworther Straße. Im selben Zeitraum wurde das Haus des schwulen Kommunalpolitikers Florian Kusche (SPD) beschmiert. „Euer Hass ist unser Alltag, wir lassen uns nicht einschüchtern und auch nicht gegen andere Minderheiten ausspielen“, schrieben die Verantwortlichen von Queer Unity damals auf der Facebookseite des queeren Zentrums Andersraum.
Die Nordstadt hält zusammen
Die Abgeordnete Julia Willie Hamburg, Fraktionsvorsitzende der Grünen im niedersächsischen Landtag und Sprecherin für Queerpolitik, stellte 2019 eine Anfrage zu Bemühungen der Landesregierung, bei der Polizei Ansprechpartner*innen für queerfeindliche Übergriffe zu schaffen. Zwei Beamt*innen sind in Hannover für Fälle mit entsprechendem Hintergrund zuständig – aber nicht hauptamtlich. Nur etwa die Hälfte aller Fälle wurde in den Jahren 2011 bis 2018 aufgeklärt. Eine klare Zu- oder Abnahme der Taten ist nicht zu erkennen. In der kürzlich veröffentlichten Kriminalstatistik des vergangenen Jahres taucht das Themenfeld „Hasskriminalität – sexuelle Orientierung und/oder sexuelle Identität“, wie es im Behördendeutsch heißt, gar nicht erst gesondert auf.
Lukas Schmidt will den unbekannten Tätern mit auf den Weg geben: In der Nordstadt habe Queerfeindlichkeit keine Chance. „Wir sind ein buntes, solidarisches und starkes Viertel.“ Die Gegend hier sei der erste Ort, an dem sie*er sich wirklich zu Hause fühle, das ändere auch der Brandanschlag nicht. Schließlich habe es sie*ihn noch am besten getroffen, sagt Schmidt. „Weil ich noch lieben kann und andere nur hassen können. Und ich kann lieben, wen ich will!“
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