Podcast „We Care!“: Queer in Zeiten von Corona
Queere Personen sind stärker als andere von den Auswirkungen der Coronakrise betroffen. Dabei ließe sich von ihnen gesamtgesellschaftlich viel lernen.

Queere Menschen kommen in der aktuellen Debatte kaum vor Foto: Lino Mirgeler/dpa
LEIPZIG taz | Die Gefahr durch eine Ansteckung mit dem Virus. Die Ausgangssperren, Abstands- und Personenregelung. Die Kita- und Schulschließungen. Sie alle betreffen unsere gesamte Gesellschaft. „Vor dem Coronavirus sind alle Menschen gleich“, hieß es vor einigen Monaten. Aber die Auswirkungen der Coronapandemie treffen einige härter als andere. Bereits vergangenes Jahr machte die Bundesstiftung Magnus Hirschfeld (BMH) darauf aufmerksam, dass queere Menschen besonders von den Folgen der Pandemie betroffen sind und forderte dazu auf, lesbische, schwule, bisexuelle, trans-, intergeschlechtliche und queere Menschen (LSBTIQ) besonders in den Blick zu nehmen.
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Doch was bedeuten die Maßnahmen für Menschen, die nicht in Kleinfamilien oder Haushalten mit einem:r Partner:in leben? Menschen, die nicht zu ihren Eltern oder Partner:innen gehen können oder wollen, deren Bezugspersonen in anderen Wohnungen leben, die Kinder mit Menschen haben, mit denen sie sich keine Wohnung teilen? Was bedeutet die Pandemie für Menschen, für die gemeinschaftlich organisierte Lebensräume die existenzielle Grundlage bilden?
Inzwischen gehört es zum weit verbreiteten Wissen, dass wir ohne Fürsorge nicht leben können. Wir brauchen einander. Doch wer nicht ins Modell passt, vereinsamt. Denn in der Pandemie werden heteropatriarchale Gesellschaftsstrukturen wie unter einem Brennglas sichtbar. Insbesondere queere und trans Personen stellt das vor existenzielle Herausforderungen.
„Die meisten Debatten im Zusammenhang mit Covid-19 orientieren sich am Modell der weißen heterosexuellen Mittelklassefamilie, die Auswirkung der Pandemie auf LSBTIQ-Personen bleibt unsichtbar“, schreibt Francis Seeck in der kürzlich fertiggestellten Doktor:innenarbeit. Seeck ist Kulturanthropolog:in, Geschlechterforscher:in und Antidiskriminierungstrainer:in und auf feministische Care-Forschung spezialisiert. Seeck beobachtet, dass in der Debatte über die Pandemie eine Art Retraditionalisierung stattfindet, in der sich immer wieder auf die Kleinfamilie bezogen wird, während Kritik an Hetero- und Cisnormativität nur selten auftauchen. Dabei, so Seeck, gebe es viel komplexere Fürsorgebeziehungen als die der Heterobeziehung.
In der Dissertation mit dem Titel „Care trans_formieren. Eine ethnographische Studie zu trans und nicht-binärer Sorgearbeit“ hat Seeck Interviews mit Personen geführt, die von dieser Entwicklung betroffen sind. Der Fokus liegt darauf, Praktiken der Selbstsorge und kollektiven Fürsorge, die trans und nicht-binäre Personen entwerfen und füreinander leisten, in den Fokus zu nehmen. Einige der Befragten berichteten darin von existenziellen Krisen und Vereinsamung durch Corona. Denn die Pandemie führt dazu, dass queere Begegnungsräume zunehmend wegfallen. Das isoliert viele trans und queere Personen noch mehr. Auch Modelle, in denen Fürsorge gemeinschaftlich und abseits der heterosexuellen Kleinfamilie organisiert wird, sind zunehmend erschwert.

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Bereits in den 80er Jahren sind im Zuge der AIDS-Krise sogenannte „Communites of Care“ gewachsen, Gemeinschaften, in denen es darum ging, kollektive Fürsorge zu organisieren. Auch heute noch sind diese solidarischen Netzwerke und Selbsthilfestrukturen elementar für queere Communities und trans Personen.
In der neuen Folge des taz-Podcast „We Care“ spricht Francis Seeck darüber, was unsere Gesellschaft von queeren Fürsorgepraktiken lernen kann und wie sich solche „Communities of Care“ aufbauen lassen. Aber auch darüber, was der aktuelle Diskurs für queere, nichtbinäre und trans Personen eigentlich bedeutet. Außerdem gibt Seeck Tipps, wie wir queere Räume unterstützen können. Denn: Nur weil es nicht der eigene Kampf ist, heißt es nicht, dass es kein wichtiger Kampf ist. Feministisch kämpfen heißt auch, solidarisch für die Kämpfe anderer Communities einstehen.
„We Care!“ Der feministische taz-Podcast zu emotionaler Arbeit und Care. Immer monatlich auf taz.de, Spotify, Deezer und iTunes.
Leser*innenkommentare
Marixu
Ich bin etwas entsetzt, dass so viele sich offenbar angegriffen fühlen, wenn auf die Situation einer diskriminierten Gruppe hingewiesen wird. Sorry, wenn da keine Homophobie mitschwingt was sonst?
Natürlich gibt es immer bei allen, die strukturell benachteiligt sind, Gegenbeispiele, das ändert aber nichts.
Klaus Fischer
Thema verfehlt - Die von der Autorin aufgezeigten besonderen Belastungen durch Corona treffen alleinlebende Singles allgemein - ganz unabhängig von ihrer sexuellen Ausrichtung. Umgekehrt ist nicht ersichtlich, warum etwa ein zusammenlebendes Homo-Paar oder ein Trans-WG stärker unter Kontaktbeschränkungen oder Streichung von Sport-/Kultur-Events leiden sollten als hetrosexuelle cis-Paare.
Felix Meran
@Klaus Fischer Na ja, also wenn eine aufgeschlossene und differenzierte Herangehensweise erfolgt, muss schon anerkannt werden, dass der Minoritätenstress deutlicher erhöht ist als bei den Majoritäten: "Als zweites Problemfeld identifiziert die Hirschfeld-Stiftung die Zunahme häuslicher Gewalt und eingeschränkte soziale Kontakte im Zuge der Pandemie. Das betreffe insbesondere minderjährige LSBTIQ*-Personen, die bei ihren Eltern leben."
www.tagesspiegel.d...uren/26150324.html
TurboPorter
Wow, ich bin beeindruckt von dem Hass, der sich hier ausbreitet.
Ein kurzer Blick auf eine ganze Reihe von Infektionsschutzgesetzen und -verordnungen, zum Beispiel die von NRW, hätte gezeigt, wie die bürgerliche Kleinfamilie zum Massstab von alle, wurde unf queeren Menschen der Kontakt zur Wahlfamilie verunmöglicht wurde.
Der Kampf ist ganz real und zeigt, wie fragil unsere Situation nach wie vor ist.
Saile
@TurboPorter Hass?! Wirklich Hass? Wo, hier in der Kommentarspalte etwa? Wo wird Ihrer Empfindung nach hier Hass geäußert?
Ruediger
@TurboPorter Kritik ist nicht gleich Hass. Es muss möglich sein auch Publikationen zu queeren Themen zu kritisieren, ohne dass die Kritik in eine homophobe Ecke geschoben wird. Hier kam die Kritik übrigens zumindest teilweise von Menschen, die selbst schwul oder lesbisch sind.
Die Kritik bezieht sich hier darauf, dass so getan wird, als ob spezifische Probleme die generell Singles betreffen Probleme seien, die generell queere Menschen beträfen. Die hier produzierte Vorstellung, dass queere Menschen völlig marginalisiert seien, eine komplett eigene Lebenswirklichkeit hätten und einer besonderen Form von "Care" bedürften ist vielleicht noch nicht homophob, ich empfinde sie aber schon als grenzwertig klischeehaft und patronisierend.
Wie kann man eigentlich angesichts monatelang geschlossener Kindergärten, Schulen und Spielplätzen behaupten, auf die Bedürfnisse von Familien würde besonders eingegangen? Das gilt für Heterofamilien ebenso wie für Regenbogenfamilien.
Disclaimer: Ich bin schwul, Single und Vater.
Felix Meran
@Ruediger Nur weil bstimmte Sachverhalte im eigenen Leben keine Rolle spielen, heißt es nicht, dass es sie nicht gibt oder dass sie grenzwertig klischeehaft und patronisierend sind: "Als zweites Problemfeld identifiziert die Hirschfeld-Stiftung die Zunahme häuslicher Gewalt und eingeschränkte soziale Kontakte im Zuge der Pandemie. Das betreffe insbesondere minderjährige LSBTIQ*-Personen, die bei ihren Eltern leben."
www.tagesspiegel.d...uren/26150324.html
resto
@TurboPorter Allen anderen Singles geht es aber auch so; von den Problemen der isolierten Alten und Menschen mit speziellen Bedürfnissen ganz zu schweigen.
Jenny
Das Bedürfnis, etwas Spezifisches im Erleben einer bestimmten Community als besondere Benachteiligung zu lesen.... ja. Zurzeit fühlt nahezu jede/r seine/ihre eigenen Nöte - die auch vor Corona schon da waren - besonders drastisch. Also jede/r seit 1 Jahr besonders stark auf sich selbst zurückgeworfen sein - ist normal. Und leicht kommt das Gefühl auf, dass es einem besonders schlecht gehe. Ich finde dass dieses Gefühl gerade NICHT "widerlegt" oder gar bloßgestellt, sondern zunächst einfach wahrgenommen werden sollte.
Ich finde auch Kommentare (unter anderen Beiträgen) mit dem Tenor "Hört auf zu jammern..." wirklich traurig. Einen Hinweis von mir auf die taz-Reportage zu den seelischen Folgen des Lockdowns insgesamt "konterte" ein Kommentator mit dem Satz, die Wähler/innen von Parteien, die Leid in einem Flüchtlingslager mit zu verursachen hätten, sollten mal den Mund nicht so voll nehmen. Aha...
Wenn ich/Du - er - sie - es - wir fühlen, dass es uns - und vielen anderen - nicht gut geht, wenn wir das Bedürfnis nach Ausdruck und Solidarität verspüren, ist es vielleicht auch angemessen, darüber nachzudenken, ob die politischen Strategien und medialen Bilder, Zahlen & Kurven, Warnungen, Szenarien etc. etc. nicht vielleicht eher Teil der Problems sind als Teil der Lösung. Die Lockdowns & ihre mediale Begleitung erreichen nicht das Ziel, das sie vorgeben erreichen zu sollen - sie vereinzeln und verunsichern. Mehr und mehr "gemäßigte" Fachmenschen sehen und begründen das plausibel. Die politische Kommunikation von oben hat den Begriff der Solidarität verengt. Es wurde früh schon skandalisiert und moralisiert, wenn Kritiker/innen zurecht sagen, das "mit oder an Covid gestorben" so nicht geht. Dass Tote instrumentalisiert werden. Solidarität hieße, wieder die Gesellschaft als Ganze zu sehen. Das ist AUCH das Ziel vieler Leute, die mit Querdenken et al. auf die Straße gegangen sind. Diese Spaltung "das sind die Pandemietreiber" akzeptier ich nicht. Spaltung, nein danke
marusja meyer
@Jenny Letztens las ich einen Artikel, wie jemand den Lockdown nutzte um seine Suchterankung zu bekämpfen - auch soetwas gibt es. Jeder kann versuchen andere zu unterstützen, insbes. Menschen die jetzt nicht arbeiten können, könnten überlegen, denen zu helfen die unter der Last die sie zu schultern haben schier zusammenbrechen - das wäre mal solidarität.
mats
Wie hier schon mehrfach kommentiert: Die Linien zwischen den verschiedenen Graden von Betroffenheit laufen erst einmal anders, d.h. nicht zwischen queer und nicht-queer. Marginalisierung und Prekarisierung werden sich, unabhängig von jeder Ausprägung von Geschlechtlichkeit, verschärft haben unter COVID. Solidarität sollte alle einschließen, die sie brauchen.
Inwieweit Geschlechtlichkeit zusätzlich eine Rolle spielt, muss erst einmal erforscht werden. In diesem Zusammenhang dürften die großen internationalen Studien zur Auswirkung von COVID auf Gesundheit und Wohlbefinden, die die Charité gegenwärtig durchführt, Aufschluss bringen.
Woolsheep
"Nur weil es nicht der eigene Kampf ist, heißt es nicht, dass es kein wichtiger Kampf ist. Feministisch kämpfen heißt auch, solidarisch für die Kämpfe anderer Communities einstehen."
Das ist der springende Punkt, den ich als single-alleinerziehend-Vater böserweise ganz deutlich betonen muss.
Hier "kämpft" der "Feminismus"........wofür eigentlich ?
Nicht etwa für die Probleme der Singles, sondern stellvertretend für die queeren Singles.
Eine kurze Frage:
Wie vermessen muss man sein, spezielle Probleme nicht nur quasi zu erfinden, sondern sie dazu sogar noch auf die eigene "Kriegsagenda" zu setzen und damit vermeitlich etwas "gutes" zu bewirken.
Mit Kampfbegriffen, die deutlich hervorheben, worum es eigentlich geht.
Es ist Krieg.
Ausser den Feministen weiss das aber keiner, für die anderen, ist das, was die "Front" fordert, schon längst Realität.
Dann kämpfen Sie mal weiter, SIE werden schon wissen, wofür.....
Ruediger
Die Aussage, queere Menschen seien besonders betroffen, lässt sich ja seriöserweise nur treffen, wenn man parallel auch eine Vergleichsgruppe nicht queerer Menschen befragt und dabei nicht nur das Gesamtbild betrachtet, sondern queere Singles mit Singles vergleicht die nicht queer sind, Familuen mit Familien, Jugendliche mit Jugendlichen vergleicht etc.
Ich nehme an, dass man dann feststellen wird, dass die Pandemie zu spezifischen Problemen bei Singles, Familien, Jugendlichen etc. führt, dass die statistischen Anteile dieser Gruppen zwar bei queeren Menschen ein bisschen anders verteilt sind, aber die Ursache der Probleme gar nichts mit der sexuellen Orientierung oder der Geschlechtsidentität zu tun haben.
Wir Schwulen und Lesben leben nämlich in Wirklichkeit gar nicht komplett anders als Heteros, haben im wesentlichen die gleichen Wünsche, Bedürfnisse, haben Freunde, Familie, manchmal Partner, manchmal Kinder. Es ärgert mich, wenn solche Untersuchungen so tun, als wäre man ein komplett anderer Mensch weil man queer ist (wobei queer selbst auch noch ein so weit gefasster Begriff ist, dass es keine grundsätzliche Gemeinsamkeiten zwischen den Menschen gibt, die damit beschrieben werden). Und es ärgert mich noch mehr, wenn aus Studien, die nicht mal ansatzweise repräsentativ sind, Forderungen abgeleitet werden.
Running Man
@Ruediger "Wir Schwulen und Lesben leben nämlich in Wirklichkeit gar nicht komplett anders als Heteros, haben im wesentlichen die gleichen Wünsche, Bedürfnisse, haben Freunde, Familie, manchmal Partner, manchmal Kinder."
Da kann ich Ihnen als "alter weißer cis-Mann" und Single nur zustimmen! Es ist an der Zeit, wieder die Gemeinsamkeiten zu betonen. In erster Linie sind wir alle Menschen mit ähnlichen Sorgen, Problemen und Bedürfnissen. Ich halte Identitätspolitik deshalb für einen Irrweg, der zu künstlich aufgebauschten Gegensätzen und manchmal leider sogar zu neuen Formen des Rasissmus führt. Danke für Ihren Beitrag!
mats
@Running Man Dass wir heute an der Stelle sind, sagen zu können "Lasst uns die Gemeinsamkeiten betonen" haben wir u.a. der Identitätspolitik seit Beginn der Frauenbewegung zu verdanken. Ich selbst habe die Zeit noch erlebt, als viele Linke mit Schwulen nichts zu tun haben wollten. Identitätspolitik wurde groß an den sozialen Ungleichheiten ... und durch marginalisierten Gruppen, die sich selbst aus eigener Kraft Gehör verschafft haben.
Heute macht man in links-populistischer Manier den Begriff zum Buhmann für alles - und vergisst, dass nur sehr wenige Linke aus Solidarität jemals auf einem CSD gewesen sind. Retrospektiv lässt sich dann leicht sagen "War ja schon immer klar".
warum_denkt_keiner_nach?
Nein. "Queere Personen" sind nicht besonders betroffen. Natürlich hat jeder Mensch, der allein lebt, ein paar Probleme, seine Kontakte aufrecht zu erhalten. Diese Probleme sind aber im 21. Jahrhundert lösbar. Und sie hängen nicht davon ab, ob jemand "queer" ist.
PS: Bin selbst lesbisch, aber mir nicht geht es nicht schlechter, als den Heteros um mich rum.
Lars B.
@warum_denkt_keiner_nach? Gut gesagt/geschrieben.
Aus dem Artikel geht auch nicht hervor, weshalb es so sein sollte. Eine Ansammlung sich wiederholender Behauptungen ohne ein konkretes Beispiel, was nicht auch auf andere Singles oder Lebenspartnerschaften zutreffen würde.
Kurz: heiße Luft und noch mehr heiße Luft. Aber eine Doktorarbeit kann damit schon befüllt werden.
Ruediger
@Lars B. Darüber bin ich auch gestolpert. Eine Doktorarbeit braucht doch normalerweise mehrere Jahre, hier geht es um ein Thema, dass es vor einem Jahr noch nicht mal gab.
Sandra Becker
@warum_denkt_keiner_nach? Danke, so sehe ich das auch.
Ich kenne viele Singles - bin selber einer. Und Alleinsein und Einsamkeit ist nicht von einer sexuellen Orientierung abhängig.