piwik no script img

Bordelle wegen Corona geschlossenOhne Perspektive

Viele Sexarbeiter*innen haben in der Coronakrise Einkommen und ihr soziales Umfeld verloren. Öffnungen sind nicht in Sicht.

Seit vier Monaten dürfen Bordelle nicht öffnen. Betreiberin Simone fordert jetzt eine Perspektive Foto: Stefanie Loos

Berlin taz | Im Wohnzimmer der Zimmervermietung Rose sitzen drei Frauen auf beigefarbenen Ledersofas. Normalerweise machen Sexarbeiter*innen hier Pause, wenn gerade keine Kunden da sind. Heute aber sitzen die Frauen hier, um öffentlich Druck zu machen, damit Bordelle bald wieder ihre Pforten öffnen dürfen.

Seit vier Monaten sind Bordelle in Deutschland geschlossen. Sexarbeiter*innen, Betreiber*innen und Hausdamen – sie alle haben derzeit keine Arbeit. Sie verlieren nicht nur ihr Einkommen, sondern auch ihre Freund*innen, ihr soziales Umfeld, ihre über Jahre aufgebauten Beziehungen zu Kunden. Einige bringt die Schließung sogar physisch in Gefahr, denn sie arbeiten im Stillen weiter, gehen zu Kunden nach Hause oder auf Hotelzimmer – ohne Sicherungsnetz.

Der Eingang zur Zimmervermietung Rose findet sich im Erdgeschoss eines Plattenbaus in Berlin-Lichtenberg. Hinter einer unscheinbaren Wohnungstür empfängt die Betreiberin Julia zum Tag der offenen Tür des Bundesverbands Sexuelle Dienstleistungen. Sie vermietet fünf Zimmer. Von der Wohlfühloase mit Whirlpool bis zum Domina-Zimmer mit Gynäkologie-Stuhl und Andreaskreuz reicht ihr Angebot.

Ihre Zimmer dekorieren Bilder von roten Lippen, kleine Palmen und Lichterketten. Corona trifft sie und ihre „Mädchen“ hart. „Ich habe zumindest die laufenden Kosten durch staatliche Hilfe decken können“, sagt Julia. Viele der Sexarbeiter*innen möchten jedoch nicht zum Amt gehen. Und da sie keine laufenden Kosten haben, können sie diese auch nicht erstattet bekommen.

Schließung bringt Frauen in Gefahr

Ähnlich ist die Lage im Freudenhaus Hase. Das Laufhaus am Humboldthain in Berlin hat eine lange Tradition, bereits seit 30 Jahren arbeiten hier Sexarbeiter*innen. Elke Winkelmann und Simone Goretzki betreiben ein Bordell, das mehr ist als ein Ort für Sex. Krimilesungen wurden schon im Haus gehalten, Theaterstücke aufgeführt, Vernissagen veranstaltet. Derzeit stellt der Künstler Clemens Schergaut psychedelische Malerei aus.

Die Frauen im Freudenhaus Hase arbeiten als selbstständige Unternehmerinnen und zahlen Miete für ihre Zimmer. Nicole und Milena arbeiten schon länger hier. Sie kommen aus Polen und Bulgarien, wollen aber nicht als Opfer dargestellt werden. „Wir arbeiten selbstbestimmt“, sagt Milena. Das Bordell sei für sie mehr als nur eine Arbeitsstätte. Hier finde sie auch Freundschaft und Nähe. „Wir trinken, lachen, feiern zusammen“, sagt sie. Mit ihren Freundinnen habe sie sich während der Pandemie oft im Park getroffen und gehofft, dass es bald wieder Arbeit gibt.

Denn finanziell sei die Lage schwierig. „Viele leben von ihrem Ersparten“, sagt Nicole. Andere hätten Partner oder Kunden, die sie unterstützten. „Mir haben zwei Kunden Geld überwiesen“, sagt Milena. Schließlich müsse sie weiter ihre Wohnung bezahlen und ihre Katzen füttern. Einige von ihren Kolleg*innen arbeiteten trotz Corona weiter – einfach, weil es finanziell nicht anders geht. „Wenn sie sich dann in einem Hotel treffen oder in einem Haus, ist das gefährlich“, sagt sie. Schließlich wisse man nicht, was einen vor Ort wirklich erwarte.

Ein Konzept für eine Wiedereröffnung der Bordelle hat der Bundesverband Sexuelle Dienstleistungen bereits erarbeitet. Es sieht Desinfektion, Masken und Kontakt nur zwischen Sexarbeiter*in und Kunde vor. „Ich verstehe nicht, warum Kontaktsport wieder stattfinden darf, wir aber immer noch nicht öffnen dürfen“, sagt Winkelmann. „Ringen oder Judo sind von der Infektionsgefahr ja nicht anders als unser Geschäft.“ Sie vermutet, dass die Politik sich zurückhält, weil sie Bordelle als schmutzig und gefährlich ansehe.

Keine Öffnungsperspektive

Dieser Meinung ist auch Wolfgang. Der 66-Jährige mit lichtem Haar und offenem Lachen ist Stammkunde im Freudenhaus Hase. Ein- bis zweimal im Monat kommt er normalerweise ins Haus, „in meinem Alter hängt das auch von den Hormonen ab“, scherzt er. Für ihn ist der Umgang der Politik mit den Bordellen Diskriminierung: „Die versuchen ihr konservatives Weltbild unter dem Vorwand der Corona-Auflagen durchzusetzen.“

Der Tag der offenen Tür war auch ein Versuch der Bordellbetreiber*innen, mit der Politik ins Gespräch zu kommen. Gemeinsam wolle man eine Öffnungsperspektive erarbeiten, sagen die Betreiber*innen. Politiker*innen waren in der Zimmervermietung Rose und im Freudenhaus Hase jedoch nicht anzutreffen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

18 Kommentare

 / 
  • Hallo TOTTI,

    Wie SIE ganz richtig erkannt haben, besteht zwischen Umsatz und Gewinn ein kleiner aber feiner Unterschied.



    Es gibt aber, wie man sieht, immer noch Leute, die glauben, was abends in der Kasse eines Geschäftes liegt, gehöre dem Geschätsmann.



    Und Nice Try :-)



    Wie ist es zu rechtfertigen, dass die im "Freudenhaus Hase" arbeitenden Prostituierten mit 130 Euro pro Stunde für ihre sexuellen Dienstleistungen das Mehrfache eines Facharbeiters nach Hause tragen?



    Ich bin sicher, Sie verstehen mich!

    • @Der Regenbogenfisch:

      Na klar verstehe ich Sie.

      Ich hatte mich nur daran gestört, dass hier Leute ihre Genugtuung darüber zum Ausdruck bringen, dass andere Menschen gerade ihre Lebensgrundlage verlieren.

      Viele Grüße

  • Wieso wird eigentlich nicht jeder Hotelier?



    Ich komme beruflich des Öfteren rum und kenne daher die Preise deutscher Hotels.



    In Großstädten ist unter 100 Euro pro Nacht für ein vernünftiges Einzelzimmer wochentags kaum etwas zu machen.



    Ich habe mich daher schon des Öfteren gefragt, ob ich mir nicht besser ein Hotel mit 9 Zimmern kaufen und Millionär werden sollte.



    Ich hätte am ersten Tag 900 Euro zusammen, nach einem Monat schon 27.000 Euro und am Ende des 1. Jahres satte 324.000 Euro.



    In gut 3 Jahren wäre ich Millionär.

    Da Herr Fissner das offensichtlich genauso sieht, hat er mich in meinem Vorhaben bestätigt.

    Ironie off!

  • taz: "Seit vier Monaten sind Bordelle in Deutschland geschlossen. Sexarbeiter*innen, Betreiber*innen und Hausdamen – sie alle haben derzeit keine Arbeit. Sie verlieren nicht nur ihr Einkommen, sondern auch ihre Freund*innen, ihr soziales Umfeld, ihre über Jahre aufgebauten Beziehungen zu Kunden. Einige bringt die Schließung sogar physisch in Gefahr, denn sie arbeiten im Stillen weiter, gehen zu Kunden nach Hause oder auf Hotelzimmer – ohne Sicherungsnetz."

    Das ist ja schon einmal ein Vorgeschmack auf das "hochgelobte" nordische Modell. So schaut also die Realität aus - ARMUT. Aber Hauptsache der Schein bleibt gewahrt und Moral und Sitte stehen wieder auf festen Boden in Deutschland. Armut, und natürlich auch Armutsprostitution, sowie soziale Ungerechtigkeit sind das wahre Problem, aber mit dem nordischen Modell kann man davon natürlich auch gut ablenken. Ablenken, ablenken und nochmals ablenken. So wird in diesem Land seit Jahrzehnten Politik gemacht, denn die naiven Bürger lassen sich so einfach von den wahren Problemen in diesem Land ablenken.

    Prostitution lässt sich nicht verbieten, aber durch eine soziale Gerechtigkeit könnte man aus den 400.000 Prostituierten in Deutschland bestimmt eine kleinere Zahl machen. Mit einem ersten Schritt in Richtung BGE wäre der Weg bereitet, aber diesen Weg wollen Politiker anscheinend nicht gehen. Armutsprostitution bekämpft man mit sozialer Politik und einem BGE. Zwangsprostitution bekämpft man mit schärferen Gesetzen. Um die Prostituierten geht es aber auch gar nicht, sonst hätte man schon lange etwas gegen Armuts- und Zwangsprostitution in diesem Land unternommen.

    • @Ricky-13:

      Ich vermute, dass die überwältigende Mehrheit der Prostituierten in Deutschland keine deutschen Staatsbürger sind. Sie würden also allenfalls indirekt an einem (entsprechend großzügigen) „B“GE partizipieren. Falls aber die (kurzfristige) Tätigkeit in Deutschland beispielsweise auch EU Ausländern den Zugang zu einem „B“GE eröffnen würde, sollte das dann nicht anreizkompatibel eher zu einem (zumindest nominell) starken Anstieg von Berufseinsteigern in dieser Branche führen? Wichtiger vielleicht noch ein genereller Punkt: Falls auch nur z.B. 40 Millionen Menschen hier ein „B“MG erhalten sollen, wie möchten Sie das finanzieren und wie ohne Zwangsarbeit ein Angebot an lebensnotwendigen Gütern aufrecht erhalten? Realistischer und real existenzfähiger wäre es da sicherlich, nur eine Avantgarde üppig auszustatten und alle anderen bei relativ schmaler Kost und mit der nachdrücklichen Bitte um ihren gesellschaftlichen Beitrag entsprechend ihrer Befähigung einzusperren.

    • @Ricky-13:

      Das BGE geht doch beim "Freudenhaus Hase" schon alleine für die monatliche Miete eines kleinen Zimmerchens drauf.

  • "Elke Winkelmann und Simone Goretzki betreiben ein Bordell, das mehr ist als ein Ort für Sex. Krimilesungen wurden schon im Haus gehalten, Theaterstücke aufgeführt, Vernissagen veranstaltet."

    Na super. Dann hat sich ja ne menge Kapital in den 30 Jahren des Bestehens angesammelt mit dem die dort Arbeitenden nun sozial abgesichert sind.

    • @Rudolf Fissner:

      Lieber Herr Fissner,

      leider ist mit Krimilesungen, Theaterstücken und Vernissagen nicht viel Geld zu verdienen und Kapital anzuhäufen. Ist es nötig, die betroffenen Frauen auch noch zu verspotten?

      • @Totti:

        Siehe weitere Beiträge und die beiden Bordelbetreiberinnen sind zudem nicht "die dort Arbeitenden". Auch Tönnies hat Mitarbeiterbelustigungen.

    • @Rudolf Fissner:

      1500 Euro pro Monat beträgt der Mietpreis im "Freudenhaus Hase": freudenhaus-hase.d...se/miete/index.php für Prostituierte. Da kommt ja gut was zusammen. Bei einer stundenweise Mietung müssen die Prostituierten 60 Euro löhnen.

      Für 1500 Euro gibts für Schlachthofarbeiter bereits drei (kleine) Zimmer: www.ndr.de/nachric...rkarbeiter104.html

      • @Rudolf Fissner:

        Allei nur bei den 9 Einzelzimmern, die das Freudenhaus hat, dürften da ca. 9x1500=13.500€ im Monat bzw. 162.000€ im Jahr zusammenkommen an Gewinn für die beiden Betreiberinnen. In 30. Jahren kann man so schnell zu Millionärin werden.

        • @Rudolf Fissner:

          So, nun teilen Sie die Summen mal durch zwei. Und erwägen Sie, dass die Damen vielleicht selbst Miete für das Bauwerk zahlen müssen, jede Menge weitere Betriebskosten haben (Putzen) und möglicherweise auch dem Finanzamt was abgeben. Da wird's auch in 30 Jahren schwer, zur Millionärin zu werden, geschweige denn, wie Tönnies, Milliarden anzuhäufen...

          Zudem ist ihr Betrieb seit vier Monaten geschlossen, während Tönnies höchstens vier Tage aufs Schlachten verzichten musste.

          Aber all das soll Ihnen Ihren Spott nicht nehmen, schönen Abend.

          • @Totti:

            Spott? Nice Try :-)

            Halten Sie das 7-8 fache des Normalen für Zimmermieten in irgend einer Art und Weise für gerechtfertigt?



            Das ist das Preis-Niveau auf dem die "selbstständigen" Arbeiter bei Tönnies ihre Zimmer bezahlen. Das sind Wuchermieten die dieses "Freudenhaus des Geldes" verlangt von den Prostituierten.

      • @Rudolf Fissner:

        Die monatliche Miete für ein Zimmer dürfte bei der in den Bildern dargestellten Zimmern (25qm?) im "Freudenhaus Hase" bei 60 Euro/ qm liegen. Das ist das 7-8 fache der Durchschnittsmiete/qm in Berlin.

  • „Bordelle wegen Corona geschlossen: Ohne Perspektive“







    Diese Schlagzeile lässt sich vermutlich gut verkaufen, aber leider kein Wort zu den Bedingungen, unter denen Prostituierte in Deutschland leben und arbeiten müssen.

    Deutschland ist das größte Bordell Europas, so die Welt (ist bekanntlich keine linke Zeitschrift)



    Doch was passiert mit einem Land, das Prostitution legalisiert? ZDF Info widmete dieser Frage einen aufwendigen Dokumentarfilm. Die Antwort steht im Titel: „Bordell Deutschland“. Der dürfte sogar untertrieben sein. Viel spricht dafür, wie auch der TV-Streifen zeigt, dass die Bundesrepublik zum Puff Europas geworden ist.

    • @D-h. Beckmann:

      Die ZDF Dokumentation war nicht gerade differenziert, da weder amnesty international, noch die Deutsche Aidshilfe oder andere Organisationen, die zu einem differenzierten Bild beitragen, der Verhältnismäßigkeit angemessen erwähnt wurden.



      www.aidshilfe.de/m...arnt-sexkaufverbot

  • Nun, ich denke, es geht da schon lange nicht mehr um Infektionsschutz. Sonst müssten auch Massagestudios, Physiotherapeuten, Sportvereine usw. geschlossen bleiben. Von Demonstrationen- egal ob zu gutem oder schlechtem Zweck, ganz zu schweigen.



    Ich denke, dahinter steckt tatsächlich der Versuch aus eine "Femistisch-Fundamentalistischen Allianz" das nordische Modell durchzusetzen.

  • "Viele der Sexarbeiter*innen möchten jedoch nicht zum Amt gehen. Und da sie keine laufenden Kosten haben, können sie diese auch nicht erstattet bekommen."

    Also ich kann verstehen, dass Arbeiten besser ist als Geld vom Amt zu bekommen, aber in einem Artikel, in dem es um Existenzen geht kommt der Satz trotzdem nicht gut.