Ringen vor EU-Gipfel: Italien am Abgrund
Italien ist von der Coronakrise EU-weit am schlimmsten betroffen. Wenn der EU-Gipfel keine Coronahilfen beschließt, droht dem Land Schlimmes.
Dieses Ziel hat einen Namen. Es ist der Kommissionsvorschlag eines Wiederaufbaufonds in Höhe von 750 Milliarden Euro, von denen Italien 172 Milliarden abbekommen soll. Drunter geht es für Conte nicht. Einen „Kompromiss nach unten“ schließt er aus, der sei in „politischer, ökonomischer und moralischer Hinsicht inakzeptabel“.
Tatsächlich steht Italien in der Coronakrise noch schlechter da als andere EU-Staaten. Die Pandemie kostete bisher 35.000 Todesopfer und forderte den ersten Lockdown. Die EU-Kommission prognostiziert für 2020 ein Minus beim Bruttoinlandsprodukt (BIP) von 11,2 Prozent. Zum Vergleich: Für Deutschland werden minus 6,3 Prozent erwartet.
Zudem wird die Nettoneuverschuldung dieses Jahr statt unter 2 Prozent bei über 10 Prozent liegen. Damit wird der gesamte öffentliche Schuldenberg auf 160 Prozent hochschnellen. Deshalb herrscht in Rom die Gewissheit, dass das Land alleine aus dieser Krise nie herauskäme.
Angst vor Kontrollen im Stil der Troika
So war es für Italien ein kleines, hochwillkommenes Wunder, dass Angela Merkel und Emmanuel Macron im Mai die Initiative für einen durch gemeinsame europäische Schuldenaufnahme finanzierten Wiederaufbaufonds ergriffen.
Da sind aber noch die „Frugal four“, die „sparsamen Vier“, die Niederlande, Österreich, Schweden und Dänemark, denen die gemeinsame Schuldenaufnahme ebenso aufstößt wie die von der EU-Kommission vorgeschlagene Ausreichung von 500 der 750 Milliarden als nicht rückzahlbare Zuschüsse.
Und dann ist da noch ein heikler Punkt: die Frage, wer denn die nationalen Wiederaufbaupläne kontrollieren und absegnen soll. Conte plädiert für die Kommission. Die „sparsamen Vier“ dagegen arbeiten hinter den Kulissen darauf hin, dass der Europäische Rat – in dem die nationalen Regierungen das Wort haben – entscheidet und dass eine qualifizierte Minderheit ein Veto gegen den Wiederaufbauplan eines Landes einlegen kann.
Italien fürchtet, dass ihm auf diesem Weg Kontrollen im Stil der Troika aufgenötigt, dass ihm Arbeitsmarkt- oder Rentenreformen aufgezwungen werden. Im Gegenzug droht Conte jetzt, im Zweifelsfall ein Veto einzulegen, gegen den gesamten EU-Haushalt 2021–2027 und vor allem gegen eventuelle Beitragsermäßigungen, die den „sparsamen Vier“ zugute kämen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Krise bei Volkswagen
1.000 Befristete müssen gehen
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Preiserhöhung bei der Deutschen Bahn
Kein Sparpreis, dafür schlechter Service
Künftige US-Regierung
Donald Trumps Gruselkabinett
Housing First-Bilanz in Bremen
Auch wer spuckt, darf wohnen
Bis 1,30 Euro pro Kilowattstunde
Dunkelflaute lässt Strompreis explodieren