Boom der Lastenräder in Deutschland: Revierkampf auf zwei Rädern
Lastenräder sind gut für die Umwelt. Um sie noch zahlreicher auf die Straße zu bringen, muss die Infrastruktur massiv ausgebaut werden.
A uf den ersten Blick sieht es vielversprechend aus: Weit mehr als 100.000 Lastenräder sind auf deutschen Straßen unterwegs, die Branche erwartet für die kommenden Jahre satte Zuwächse von 50 bis 70 Prozent jährlich. Aber: Zu befürchten ist, dass diese großen Räder für Transporte nicht viele Lieferfahrzeuge und Pkws ersetzen, sondern zusätzlich auf Straßen und vor allem auf Radwege drängen. Angesichts der allgemeinen Überfüllung ist das alles andere als eine schöne Vorstellung.
Privat erworbene Lastenräder werden punktuell genutzt und stehen die meiste Zeit am Tag still. Aber gewerbliche – und die treiben den Boom bei den Verkaufszahlen – sind im Dauereinsatz. Sie werden angeschafft von Unternehmen, die auf einen klimafreundlichen Transport von Waren setzen und/oder durch den Einsatz eines Lastenrads Zeit gewinnen wollen, weil ihre Fahrer:innen damit an den vielen Autostaus vorbeikommen. Das Erste ist lobenswert, das Zweite ein riesiges Problem: Es führt zu einer massiven Drängelei.
Denn es sind ja nicht nur die Straßen hoffnungslos verstopft, sondern auch viele Radstreifen und -wege überfüllt und schon ohne Lastenräder viel zu eng. Wenn massenhaft gewerbliche Radtransporteur:innen unterwegs sind und sie nicht ausschließlich vor und hinter den Fahrzeugen auf den Straßen fahren, werden sie mit den traditionellen Radfahrer:innen um den viel zu knappen Raum konkurrieren. Das setzt eine fatale Verdrängung aufseiten der ohnehin schwächeren Verkehrsteilnehmer:innen in Gang.
Die robusten Radfahrer:innen werden ihre Wege verteidigen, die anderen auf Gehwege ausweichen und dort den Fußgänger:innen das Leben schwer machen. Und der kleine Sicherheitsgewinn, der durch den hier und da erfolgten Ersatz eines Lieferwagens oder gar Lasters durch mehrere Lastenräder entsteht, ist schnell perdu.
Trotzdem sind Lastenräder eine gute Sache. Sie sind klimafreundlich, und ein Zusammenstoß mit Kindern, Fußgänger:innen oder Radfahrenden dürfte in der Regel glimpflicher ausgehen als die Kollision mit einem Pkw oder Lkw. Wirklich wünschenswert ist ihr hunderttausendfacher Einsatz aber nur, wenn die Infrastruktur massiv ausgebaut ist.
Das bedeutet nicht nur, in großem Stil neue und breitere Radwege zu bauen, sondern auch und gerade, den Autofahrenden zugunsten der anderen Verkehrsteilnehmer:innen Platz wegzunehmen. Wenn sich am Grundproblem nichts ändert, können vermeintliche Verbesserungen schnell ins Gegenteil umschlagen: Es gibt zu viele Autos und Lkws auf den Straßen, nicht nur in den Großstädten. Es müssen weniger werden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu
Wanted wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
+++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu und Hamas-Anführer
Nach der Gewalt in Amsterdam
Eine Stadt in Aufruhr
Gespräche in Israel über Waffenruhe
Größere Chance auf Annexion als auf Frieden
Krieg in der Ukraine
USA will Ukraine Anti-Personen-Minen liefern