Blockaden von Kli­ma­ak­ti­vis­t*in­nen: Die Hilflosigkeit der Politik

Die Proteste der „Letzten Generation“ gehen nach dem Tod einer verunglückten Radlerin weiter. Mit Drohungen allein wird die Politik sie nicht stoppen.

Menschen laufen an protestierenden Klimaaktivist*innen vorbei

Protest von Kli­ma­ak­ti­vis­t*in­nen Anfang der Woche in Berlin Foto: reuters

Irgendwann musste dieser Fall eintreten: Aufgrund einer Straßenblockade von Kli­ma­ak­ti­vis­t*in­nen kommt ein dringend benötigtes Bergungsfahrzeug der Feuerwehr verspätet zu einem Unfallort mit einer schwer verletzten Person. So schilderte es zumindest die Berliner Feuerwehr am Montag in einem Tweet. Am Donnerstagabend ist die 44-Jährige nach Angaben der Polizei an den Verletzungen gestorben. Eine entsetzliche Nachricht.

Vielleicht werden die Ak­ti­vis­t*in­nen der „Letzten Generation“ nie mehr frei von der Frage nach einer Mitschuld an dem Tod der Frau. Hätte ihr Leben gerettet werden können, wenn es die Blockade nicht gegeben hätte? Wenn das Feuerwehrfahrzeug zur Beseitigung schwerer Lasten ein, zwei, fünf Minuten schneller am Unfallort gewesen wäre? Zuletzt deutete einiges darauf hin, dass dies eher nicht der Fall gewesen wäre. Offiziell dauerte die Fahrt des Fahrzeugs knappe 20 Minuten.

Die Kli­ma­ak­ti­vis­t*in­nen haben dennoch beschlossen, ihr Proteste, ihre Blockaden nicht zu unterbrechen, wie Sprecherin Lina Johnsen der taz sagte: „Wir machen das nicht leichtfertig und werden weiterhin friedlichen zivilen Widerstand leisten.“ Doch wäre dies nicht der richtige Zeitpunkt, kurz innezuhalten, über die Proteste ein bisschen intensiver nachzudenken? Sicher. Das gilt freilich auch für die Politik. Denn die Art und Weise, wie sie die Debatte über Schuld, Verantwortung und Repression führt, ist höchst problematisch.

Das begann bereits unmittelbar nach dem Tweet der Feuerwehr am Montag. Po­li­ti­ke­r*in­nen zahlreicher Parteien überschlugen sich mit Rufen nach härteren Strafen für die Blockierer*innen; in einigen Kommentaren unter dem Tweet wird zur Lynchjustiz aufgerufen. Und manche fragen gar mehr oder weniger rhethorisch, ob es sich gar um „Terrorismus“ handle.

Die Politik darf nicht darauf hoffen, dass die Proteste sich tot laufen; sie muss politisch tätig werden.

Etwas nüchterner formuliert lautet die Kritik an den Aktivist*innen, sie hätten mit ihren inzwischen fast täglichen Autobahn jedes Maß verloren. Das muss auch für die Kritik selbst gelten. Denn es ist nicht klar, ob die Aussage der Feuerwehr überhaupt stimmt. Die Polizei untersucht derzeit, welchen Einfluss die Blockade auf die Verspätung des Feuerwehrfahrzeugs gehabt hat. Und je länger die Woche dauerte, desto vorsichtiger wurden die Formulierungen. Schließlich stehen Rettungssanitäter aus vielen Gründen in Berlin Stau, erst recht – wie auch in diesem Fall – in der Rush-Hour.

Vorverurteilung durch Faeser
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Die Frage nach einer möglichen Mitschuld der Ak­ti­vis­t*in­nen steht auch nach dem traurigen Tod der Radlerin weiterhin unbeantwortet im Raum. Umso fragwürdiger ist etwa die Reaktion von Bundesinnenministern Nancy Faeser (SPD), die am Donnerstag erklärte: „Wenn Straftaten begangen und andere Menschen gefährdet werden, ist jede Grenze legitimen Protests überschritten. Die Straftäter müssen schnell und konsequent verfolgt werden.“ Es ist längst nicht klar, ob es Straftäter gibt – was Faesers Zitat auch nicht unbedingt ausdrückt. Aber allein die Nennung des Begriffs kommt in dieser aufgeheizten Atmosphäre einer Vorverurteilung gleich.

Es geht wesentlichen Teilen der Politik nur darum, die Proteste so schnell wie möglich zu verhindern.

Weite Teile der Politik versuchen, den Druck auf die Aktivisten massiv erhöhen und nutzen dafür den traurigen Vorfall vom Montag dankbar. Auch dafür gab es im Verlauf der Woche weitere Beispiele. So erklärte Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) am Dienstag: „Das gestrige Rettungsfahrzeug, das nicht durchgekommen ist, war nicht das erste, sondern es ist das 18. gewesen.“ Interessant, welche Statistiken offenbar geführt werden. Unklar blieb, wer das genau misst und wann ein Fahrzeug als „nicht durchgekommen“ gilt.

Damit zeigt dieser Berliner Fall vom Montag, wie unsouverän die Öffentlichkeit immer noch mit Beiträgen in den sozialen Medien umgeht. Ein simpler Tweet, auf den sich der Vorwurf der Mitschuld weiterhin stützt, ist eben ein Tweet und nicht mehr als eine oft spontan erfolgte, bisweilen von der Wahrheit nur teilweise gedeckte These.

Doch solche letztlich entscheidenden Feinheiten spielen in der Debatte keine Rolle. Es geht wesentlichen Teilen der Politik nur darum, die Proteste zu beenden. Ob da unsachlich oder populistisch argumentiert wird? Egal. Letztlich hat sich selbst der rot-grün-rote Senat offenbar auf Drängen Giffeys nach langer Debatte zu einer kritischen Position durchgerungen: „Die Form dieses Protestes, die zu einer Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung führt, ist unangemessen.“

Kli­ma­de­mons­tran­t*in­nen haben ihren Protest in Berlin mit Straßenblockaden fortgesetzt. Betroffen waren am Freitagmorgen nach Polizeiangaben der Bereich der Spandauer Damm, Ecke Wiesendamm in Spandau sowie in Mitte die Torstraße, Ecke Rosenthaler Straße. Insgesamt zehn Menschen hätten sich an den Aktionen beteiligt, sieben davon seien am Asphalt festgeklebt gewesen, sagte eine Polizeisprecherin. Die Protestgruppe „Letzte Generation“ veröffentlichte bei Twitter Fotos zu den Aktionen und schrieb: „Wir setzen die Blockaden in #Berlin fort.“

Zudem schrieben die Aktivist*innen: „Habt Courage. Unterstützt uns!“. Weiter hieß es: „Größtes Risiko für die Menschheit ist, den Alltag einfach weiterzumachen. Größte Gefahr ist hinzunehmen, dass die Regierung nicht mal einfachste Sicherheitsmaßnahmen ergreift.“ (dpa)

Erstaunlich, dass eine der wenigen Nuancen in der Debatte ausgerechnet vom Sprecher der Berliner Gewerkschaft der Polizei kam, der in den letzten Wochen zunehmen genervt die täglichen Blockaden der Ak­ti­vis­t*in­nen kommentierte. Doch der GdP-Sprecher Benjamin Jendro twitterte am Donnerstag: „Klima-Klebende tragen keine Schuld am Unfall. Ob schnellere Maßnahmen den Tod verhindert hätten, ist rein spekulativ.“

Mit ein bisschen Distanz zur aufgeregten Debatte dieser Woche kann man auch sagen: Die Kli­ma­ak­ti­vis­t*in­nen haben mit ihrer Beharrlichkeit ein erstes Ziel erreicht. Die Politik von AfD bis SPD und teils noch weiter nach links, ist nervös, argumentiert bisweilen hysterisch, weil sie fürchtet, vor der auf law-and-order dressierten Öffentlichkeit als handlungsunfähig dazustehen. Es stimmt also, was Renate Künast über die Proteste sagte: Sie führten „in eine Sackgasse“. Derzeit ist aber erstmal die Politik dort gelandet.

Zurück zum Dialog

Sie muss einen anderen Umgang finden, als nur nach konsequenten Durchgreifen oder gar härteren Strafen zu rufen. Polizei und Justiz werden ihren Umgang mit den Aktionen und den Ak­ti­vis­t*in­nen allein schon finden, das zeigt die Geschichte der Bundesrepublik zur Genüge. Derweil darf die Politik nicht darauf hoffen, dass die Proteste sich – sei es aufgrund der Repression oder vermeintlicher Erfolglosigkeit – irgendwann tot laufen. Sie muss selbst tätig werden und einen politischen Weg aus der Sackgasse suchen, die in diesem Fall darin besteht, nicht den Anschein zu erwecken, dass man erpressbar sei.

Es ist an der Zeit, zu einem Dialog zu finden. Und die Po­li­ti­ke­r*in­nen müssen den ersten Schritt tun: Schließlich stehen sie in der Bringschuld, etwas gegen den drohenden Klimakollaps zu tun – das ist inzwischen allgemein Konsens. Und wohl kaum jemand wird behaupten, dass die bisherigen Maßnahmen ausreichen, um die Erderwärmung langfristig auf 2 Grad zu begrenzen.

Gefordert ist hier zuallererst der Bund, der eigentliche Adressat der Proteste, der diese jedoch bislang zumeist als lokales Problem Berlins betrachtet hat. Mit der jüngsten Ausweitung etwa nach München ist es damit vorbei. Gefragt ist aber auch Berlin, insbesondere Klimaschutzsenatorin Bettina Jarasch (Grüne), die noch im Wahlkampf jeden Druck der Straße für mehr Klimaschutz begrüßt hatte. Statt vor allem Phrasen zu dreschen, sollte die Politik die Zeit nutzen, sich entsprechende Ansätze zu überlegen. Wenn die Ak­ti­vis­t*in­nen es ernst meinen mit ihrem Anliegen, werden – und müssen – sie darauf eingehen.

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Jahrgang 1974, war bis Juni 2023 Leiter der Berlin-Redaktion der taz. Zuvor war er viele Jahre Chef vom Dienst in dieser Redaktion. Er lebt seit 1998 in Berlin und hat Politikwissenschaft an der Freien Universität studiert.

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