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Blockade von EU-RegierungenDoch nicht zurück zur Natur

Mehr Bäume, mehr Moore, weniger überlastete Ackerböden: Ein europäisches Naturschutzgesetz soll für stabile Lebensgrundlagen sorgen – aber kippelt.

Gesunde Lebensräume sind rar. Für Silberreiher – und für Menschen Foto: Lilly/imago

Berlin taz | Es soll fruchtbare Böden und sauberes Trinkwasser sichern, den natürlichen Schutz vor Hochwassern ermöglichen und mehr klimaschädliches Treibhausgas unschädlich machen durch die Bindung von Kohlenstoff in Bäumen und Böden. Doch jetzt steht das Naturwiederherstellungsgesetz der EU schon wieder auf der Kippe. Dabei gäbe es viel zu tun. Gesunde Natur gibt es hierzulande kaum noch. Laut EU-Parlament sind mehr als 80 Prozent des Lebensraums in schlechtem Zustand.

Am Montag sollten die Regierungen der Mitgliedstaaten in ihrem Ministerrat ihr finales Jawort zu der „Verordnung über die Wiederherstellung der Natur“ geben. Das EU-Parlament hat das schon getan. Vorausgegangen waren jahrelange Verhandlungen zwischen den beiden Gremien, deren gemeinsame Zustimmung bei den meisten europäischen Gesetzen nötig ist.

Das Ergebnis des Hickhacks: abgeschwächte Regelungen, aber eine Einigung. Die abschließende Bestätigung galt als Formalität. Doch auf der Tagesordnung des Ministerrats für Montag fehlte das Thema am Freitag plötzlich und tauchte bis Redaktionsschluss nicht mehr wieder auf. Die Ratspräsidentschaft, derzeit Belgien, hatte den Punkt wegen des Widerstands unter anderem von Polen, Italien und Schweden gestrichen. Dem Vernehmen nach fehlt eine Stimme.

Mit der Verordnung würden die Regierungen sich verpflichten, bis zum Jahr 2030 auf 20 Prozent der Flächen Maßnahmen zur Wiederherstellung zerstörter oder geschädigter Ökosysteme einzuleiten. Bis 2050 soll die Genesung aller geschädigten Ökosysteme in Angriff genommen werden.

Bauernverband gegen Gesetz

Das Gesetz hat einen großen wirtschaftlichen Gegenspieler: die Agrarlobby. Dabei würde die Landwirtschaft langfristig profitieren. Zum Beispiel sterben aktuell zu viele bestäubende Insekten wie Bienen und Schmetterlinge. Nicht nur die natürliche Pflanzenwelt braucht die Tiere zur Fortpflanzung, sondern auch viele Äcker – die teils schon heute unter Mangelerscheinungen leiden. Außerdem gefährdet der Klimawandel Ernten durch Folgen wie Hitze, Dürre oder Starkregen. Mehr gesunde Moore und Wälder, die Kohlenstoff speichern können, wären also förderlich.

Viele Flächen, um die es im Naturwiederherstellungsgesetz geht, liegen aber in den Händen von Landwirt*innen, die sie industriell bewirtschaften. Die Branche müsste also auch selbst etwas tun. Zum Beispiel könnte sie weniger Gifte zur Schädlingsbekämpfung einsetzen, denn die treffen auch die wichtigen Insekten. Und sie könnte Moore wiedervernässen, die sie zur Ausweitung der Ackerflächen trockengelegt hat.

Solche Umstellungen, die vorerst Kosten verursachen, sind aber bei vielen Betrieben unbeliebt. Auch der Deutsche Bauernverband ist deshalb gegen das Gesetz. Noch im Februar, als das EU-Parlament abstimmte, sprach Generalsekretär Bernhard Krüsken vom „völlig falschen Weg“ für den Schutz der Biodiversität.

Die europäischen Ge­setz­ge­be­r*in­nen sind schon auf Forderungen der Branche eingegangen. Sie haben zum Beispiel das ursprünglich geplante Ziel gestrichen, ein Zehntel der gesamten EU-Agrar­flä­che „mit Landschaftselementen mit großer biologischer Vielfalt zu gestalten“. Außerdem sollen Auflagen für die Landwirtschaft temporär gelockert werden, wenn die Lebensmittelpreise wegen einer unvorhersehbaren Krise stark steigen.

Na­tur­schüt­ze­r*in­nen kritisieren die neuerliche Blockade des Vorhabens. „Die Ablehnung des ausgehandelten Kompromisses durch einige Staaten erweckt den Eindruck, dass sie die Dimension der ökologischen Krise nicht ernst nehmen“, sagte Jörg-Andreas Krüger, Chef des Naturschutzbunds.

Auch in der Bundesregierung hatte es in der vergangenen Woche laut Medienberichten noch einmal rumort. Demnach wollte die FDP, dass auch Deutschland dem Gesetz doch nicht zustimmt. Ein Sprecher des zuständigen Bundesumweltministeriums von Steffi Lemke (Grüne) sagte der taz schließlich, Deutschland werde zustimmen – aber zu Protokoll geben, dass bei der Umsetzung keine zusätzlichen Belastungen für Land­wir­t*in­nen entstehen sollen.

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10 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Was gerade abläuft, hat Nabu-Chef Jörg-Andreas Krüger im Interview mit Herr Maurin in der taz gut zusammen gefasst ( taz.de/Nabu-Chef-u...rpolitik/!5999780/ ):

    Q: Wenn das jetzt doch so kommt, würden die Umweltvorschriften unter einem grünen Agrarminister dann am Ende schwächer sein als unter seiner CDU-Vorgängerin Julia Klöckner?

    A: Das ist dann so, ja. Es geht um die Honorierung der gesellschaftlichen Leistungen der Landwirte, raus aus den Subventionen, hin zu einer qualifizierten Honorierung. Diese Schritte werden gerade rückabgewickelt, und wir haben dann wieder eine europäische Agrarpolitik, die eigentlich sogar weiter zurückfällt als fünf oder sechs Jahre. Da kann man fast schon in die nuller Jahre des Jahrhunderts gehen. Das ist erschütternd.

  • Wenn man Flächen aus der Produktion nehmen möchte muss man denjenigen der sie bis jetzt bewirtschaftet hat finanziell entschädigen. Es kann nicht sein das wieder nur eine Berufsgruppe einseitig belastet wird.

    • @Günter Witte:

      Auch die "belastete Berufsgruppe" profitiert von einer intakten Umwelt mit Artenvielfalt. Vielleicht sollte die Gesellschaft dieser Berufsgruppe, wie auch weiteren Akteuren mal eine Rechnung für den von ihr verursachten Schaden an der Umwelt vorlegen.

  • Wer glaubt denn ernsthaft daran, dass die Vernunft dem Mammon Paroli bieten könnte? Wie überall: es geht um Geld, viel Geld und DAS sind die "Europäischen Werte". Sonst nix.

    • @Perkele:

      Richtig Gier überall. Die Leute wollen weder ihre Kartoffeln selber aus dem Acker holen noch dafür ein deutlich mehr als bisher zahlen...so wird das nix

  • macht nur so weiter, knickt vor den bauern ein + vor der fdp oder vor wem auch immer:



    die nachfolgenden generationen tun mir herzlich leid (bin 75, trete in absehbarer zeit ab).



    was haben wir nicht alles unternommen, um auf die gefährdung unserer umwelt (auch + vor allem durch akw's) aufmerksam zu machen.



    schmissen vor zig-jahren täglich bei penny + so den papier-+plastikmüll auf den boden, ernteten entsetzte blicke. heute gibts das dappische grüne-punkt-system + die mülltrennung...



    ... die weltmeere sind trotzdem vermüllt. s. bali + so.



    ich heule nicht mehr. après moi le déluge. soll napoléon gesagt haben.na ja,



    nichtsdestotrotz habe ich in meinem vorder-+hintergarten in der FHH wilde ecken, 1x kam ein igel ... die rotkehlchen schwirren mir unter dem arm durch, die meise setzt sich auf mein brustbein, wenn ich im garten liege + lese.



    was will frau mehr? die welt retten? die welt will nicht gerettet werden.

    • @Brot&Rosen:

      Mein Garten ist so natürlich wie möglich und so geordnet wie nötig, inclusive Eisvögel am Teich. Das hat mir im Dorf den Ehrentitel "Ökonazi" eingebracht.



      Trotzdem versuche ich immer noch "Think global, act local". An mir soll es später nicht gelegen haben.

  • "Zum Beispiel könnte sie weniger Gifte zur Schädlingsbekämpfung einsetzen, denn die treffen auch die wichtigen Insekten."



    /



    Schon eine "subletale Dosis" ist ein Problem.



    Die Ignoranz der AnwenderInnen ist bedenklich.



    Mehr Information zur Ökologie ist fraglich wirksam bei stattgehabter Des-/Fehlinformation durch AgrarlobbyistInnen und Herstellerfirmen.



    "Weltweit nimmt die Artenvielfalt durch umweltbedingte Stressfaktoren immer weiter ab. Insekten werden durch nicht nachhaltige Praktiken in der Landwirtschaft und den Einsatz von Pestiziden stark bedroht. Dass sich bereits subletale, also nicht tödliche, Konzentrationen negativ auf die Populationsdichte von Wildbienen auswirken können, da sie die Fortpflanzung beeinträchtigen, zeigen die Bienenforscher Dr. Samuel Boff und Professor Manfred Ayasse vom Institut für Evolutionsökologie und Naturschutzgenomik an der Uni Ulm."



    Quelle:



    www.uni-ulm.de/for...en-von-wildbienen/



    Jeder kann ihn sehen, den Verlust der Artenvielfalt bei Insekten, auch in kleinen Biotopen.



    Abhilfe schaffen kann aber auch fast jeder ein wenig.



    Auf dem Balkon "analog Bonsai" möglich.



    beefriendly-earth....g%20stets%20feucht.

  • Das reicht jetzt, ich mache mein Ökologenbüro zu und gehe in Rente. Hat echt keine Sinn mehr; 30 Jahre Naturschutzarbeit und nicht erreicht, nun auch noch der letzte Strohhalm abgesenst.

    • @Axel Donning:

      Kann ich gut verstehen, Herr Donning.



      Neben dem nachvollziehbarem Ziel, viel erreichen zu können, kann ein Ziel auch darin bestehen, dem Antrieb naturzerstörender Interessen, Sand ins Getriebe zu bringen. Wenn es knirscht, ist es gut.



      Der Deutsche Bauernverband mit seinen Ablegern, wie dem Landvolk hat klar bewiesen, dass er die Naturzerstörungen nicht ernst nehmen. In Niedersachsen scheint der groß angekündigte "Niedersächsische Weg" ein Rohrkrepierer zu werden. Der Naturschutz wurde über den Tisch gezogen.



      Die konservative Bauernlobby ist stark verflochten mit der deutschen und europäischen Agrarpolitik, einer Politik, die die Agrarindustrie fördert.