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Black-Lives-Matter-Proteste in BerlinAufstehen in Würde

Jugendliche of Color lassen sich nicht mehr gefallen, dass der Staat sie bedroht und nicht beschützt. Allein in Berlin demonstrieren Zehntausende.

Ob George Floyd oder Oury Jalloh: Black Lives Matter Foto: dpa

Berlin taz | Es war kein gewöhnlicher Protest, der am Samstag den Alexanderplatz füllte: keine Kundgebung, von der nur die TeilnehmerInnenzahl und ihr politisches Anliegen bleibt, sondern ein Zusammenkommen, das vor allem Würde ausstrahlte. Berlins kommende Generation, so vielschichtig wie nie, vereint in dem Bewusstsein, es einmal besser zu machen. Der Alex war in diesen Stunden ein Ort der Zukunft, die Idee einer besseren Welt ohne Rassismus und Diskriminierung.

Es waren die 16- bis 25-Jährigen, die das Bild prägten. Sie gedachten im Schweigen und in aufbrausendem Beifall des durch Polizisten ermordeten schwarzen US-Amerikaners George Floyd. Stundenlang, konzentriert, konfliktfrei. Sie forderten „Black Lives Matter“ und meinten damit vor allem auch sich und alle Umstehenden. Viele der Teilnehmenden waren womöglich nie zuvor auf einer Demonstration, nicht für die Opfer des Anschlags von Hanau, nicht für die Aufklärung des Todes von Oury Jalloh. Doch das Bewusstsein über das Gift Rassismus innerhalb der Gesellschaft und ihrer staatlichen Institutionen tragen sie mit sich.

Es war eine der größten antirassistischen Demonstrationen der Geschichte Berlins. Schon zum eigentlichen Kundgebungsstart war der Alex so überfüllt, dass es nicht mehr vor noch zurück ging. Außen strömten weiter Tausende und verteilten sich vom Rotem Rathaus bis weit die Alexanderstraße hinauf. Hätten die OrganisatorInnen 100.000 Teilnehmende gemeldet, niemand hätte sich gewundert. Weil sie nichts sagten, blieben die 15.000 der Polizei, von den meisten Medien kritiklos übernommen – aber weit entfernt von der Realität.

Warum jetzt, kann man sich fragen: Warum wirkt ein Mord an einem schwarzen Mann so weit weg von hier so mobilisierend? Ganz einfach: Es spielt keine Rolle mehr, ob Halle oder Minneapolis, die sozialen Medien machen die Entfernung unsichtbar. Für heute 18-Jährige, für die die AfD und die mit ihr einhergehende rechte Gefahr zu ihrer Lebensrealität gehört, seit sie elf sind, ist es einfach eine neue Drohung. Eine zu viel, um weiter zu schweigen. Die gelebte kosmopolitische Realität der Jugendlichen und jungen Erwachsenen ist unendlich weit entfernt von den alten Kontinuitäten strukturell rassistischer Gesellschaften. Es gibt keinen Grund, das länger hinzunehmen.

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Selbstverständlich muss man Angst haben angesichts so einer Massenveranstaltung zu Corona-Zeiten. Auch wenn die meisten ihre Masken trugen, der Mindestabstand war nicht einzuhalten. Das ist unverantwortlich, ja. Aber es ist auch Angst, die die Menschen dort hingezogen hat. Die Angst von jungen BerlinerInnen of Color, nicht dieselben Chancen im Leben zu haben wie ihre weißen FreundInnen. Die Angst vor rassistischer Polizeigewalt, vor Diskriminierung. Berechtigt und ernst zu nehmen.

Übergriffe der Polizei

Wie sehr, zeigte sich nach dem Ende der Veranstaltung. Gepanzerte Polizeieinheiten strömten durch diese so friedliche, sowohl ernste als auch lebensbejahende Menge und griffen Leute heraus. Brutale Festnahmen, nicht selten von schwarzen jungen Männern, die jede Verhältnismäßigkeit oder gar Rücksicht auf das Thema der Versammlung vermissen ließen. Wie anders hätte es sein können, dass sich Teilnehmende davon provoziert fühlten. Genau darum ging es doch. Um einen autoritären, rassistischen Staat, der seine BürgerInnen nicht schützt, sondern bedroht.

Legitimiert wurden die Polizeiübergriffe bereits vor Veranstaltungsbeginn durch einen Tweet der Deutschen Polizeigewerkschaft Berlin, in dem von der „Aggressivität der Berufsempörer & gewaltbereiten Krawallmacher“ die Rede war. Es ist unter anderem diese Verachtung, geäußert durch eine Lobbyorganisation der Polizei, geführt von einem ehemaligen Mitglied der Republikaner, die zeigt, warum diese Demonstrationen weitergehen müssen. So lange, bis solche Menschen in dieser Gesellschaft nichts mehr zu sagen haben und derartige Strukturen überwunden sind. Black Lives Matter!

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18 Kommentare

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  • Warum heißen nichtweiße Menschen eigentlich "of colour"? Will man damit ausdrücken, dass sie grundsätzlich keine Deutschen sein können, weil es kein detusches Wort für Menschen dunklerer Hautfarbe gibt?

    Erstaunlich.

    • @Breitmaulfrosch:

      Es gibt schon weitere Begriffe. Allerdings hat der Begriff People of Color bzw. die Ergänzung "of Color" den Vorteil, dass hierunter eine größere Zahl an negativ Betroffenen von Rassismus zusammen gefasst werden können. Unter jenen sind auch Schwarze zu nennen. Dieser Begriff bezeichnet eben nur einen Teil der negativ Betroffenen.

  • Wenn man gegen Rassismus in der USA protestieren will, warum fliegt man dann nicht dort hin.

    Es interessiert doch drüben niemanden was wir hier machen.

    • @Marcus Dresden:

      Sie sind also allwissend und kennen Alle aus der Black community?

    • @Marcus Dresden:

      Nomen est omen

    • @Marcus Dresden:

      Hier gibt es keinen Rassismus?

    • @Marcus Dresden:

      Sie sind ja wirklich die Krone der Schöpfung.

  • Über den drohenden Eintritt einer 2ten Welle müssen wir uns offensichtlich keine Gedanken machen - diese wird von solchen Menschenansammlungen perfekt provoziert. Zu viele Menschen in diesem unseren Lande haben den Schuss offenbar immer noch nicht gehört und riskieren ohne Rücksicht auf Verluste den nächsten kompletten Lockdown wenn in Folge solcher Events die Infektionsraten wieder in die Höhe schnellen (und das werden sie).



    Bei WEM wir uns dann hierfür bedanken können ist diesmal jedoch dokumentiert - in Ton und in Bild. Damit es nicht falsch ankommt: Es geht hier nicht darum die demokratischen Grundrechte zu beenden, aber in dieser außerordentlichen Pandemielage mit Kontaktbeschränkungen, Abstandsgebot etc. dürfen solche Großveranstaltungen erst gar nicht genehmigt werden und sind auch konsequent zu unterbinden bis die Gefährdungslage abgewendet ist! Bisher ist der Klopa-Deutsche offensichtlich viel "zu komfortabel" durch die Krise gekommen (vergleiche hierzu Italien und Spanien)

    • @prellbock:

      Wären Sie auf dem Alexanderplatz gewesen oder hätten sich die Fernsehbilder wenigstens genau angeschaut, hätte Sie bemerken können, dass dort, im Gegensatz zu den parallel stattfindenden Nazis-Demos mindestens 95 Prozent der Leute einen Mund-Nase-Schutz getragen haben.

      • @Gefahrengebietler:

        In Hamburg hatten viele diese Nase frei. Und beim Skandieren und Singen von Parolen werden Aerosole frei, die ein normaler Mund-Naseschutz nicht zurückhält.



        So ähnlich muss es in Ischgl gewesen sein ...

  • Natürlich ist das problematisch wegen Corona. Vielleicht sollte man wieder zu klassischen Demonstrationen übergehen, da wäre es womöglich einfacher, die Abstände einzuhalten

    Aber, die enorme Präsenz junger Leute und das nicht nur in Berlin, sondern praktisch überall, unter ihnen viele PoC, das macht das Problem Rassismus mit einer Wucht sichtbar, wie man es bisher noch nicht erlebt hat.

    Black Lives Matter!

  • "Black Lives Matter!"

    Auch das von David Dorn, der während der Proteste erschossen wurde? Er ist nicht das einzige schwarze Opfer. Nur hört man über deren Ableben keine Empörung.

  • 0G
    02854 (Profil gelöscht)

    Ich hoffe mal, das sich viele der schwarzen Jugendlichen bei der Polizei bewerben werden um dort etwas zu ändern!

    • @02854 (Profil gelöscht):

      Warum sollten Sie?Davon abgesehen,ist es an Weissen etwas zu verändern.Schwarzen Menschen und PoC die Verantwortung für die Abschaffung von Rassismus aufzuerlegen ist eine Frechheit und faul.

      • @pippilotta_viktualia:

        Das sehe ich auch so.

      • @pippilotta_viktualia:

        Es wäre sicherlich hilfreich, wenn die Polizei nicht nur als Feindbild betrachtet werden würde, sondern als eine grundlegende staatliche Einrichtung, die nicht nur konservativen bis rechten Kräften überlassen werden sollte. Daher wäre es natürlich schon nicht schlecht und zudem auch im Sinne der Diversität, wenn sich links verstehende Menschen und Nichtweiße dort bewerben würden.

  • "Die gelebte kosmopolitische Realität der Jugendlichen und jungen Erwachsenen ist unendlich weit entfernt von den alten Kontinuitäten strukturell rassistischer Gesellschaften."

    Das Vorgehen gegen Rassismus ist sicher einer der wichtigen Punkte in einigen (den meisten?) westlichen Gesellschaften. Aber auch da würde ich mich nicht im Überschwang "wegtragen" lassen - ich habe da eingebaute Bedenken, dass soetwas nach hinten losgeht. Um etwas zu bewirken sind solche Demos wahrscheinlich geeignet. Wie in dem Zitat aber davon auszugehen, dass "die Jugend" sich einig und kosmopolitisch ist und auf der anderen Seite eine alte Gesellschaft steht, die sich stark durch ihre rassistischen Strukturen definiert, ist glaube ich zu simpel und zu weit weg von der Realität. Solche Seifenblasen zerplatzen leicht an der nächsten Ecke und dann ist auch niemandem geholfen. Realistischer als die große Einigkeit der Jugend gegen das alte (rassistische?) "System" ist glaube ich die nicht leichte Aufgabe der Jugend in einer Welt mit sehr vielen Gruppen, Weltsichten und Gegensätzen zurechtzukommen. Das ist eine wichtige und ernste Aufgabe, der man auch nicht wird ausweichen können. Es ist gut sich in seiner Gruppe zu stützen, aber zu große Träume von der ganz großen Einigkeit erschweren es vielleicht auch die großen Aufgaben jenseits der eigenen Gruppe anzugehen. Nur weil fehlerhafte Machtstrukturen für alte Gegensätze gehen, weil ihre Zeit abgelaufen ist, heißt es nicht, dass wir am Ende der Geschichte angekommen sind und nicht neue Gegensätze mit neuen Machtstrukturen kommen.

  • Es wird eine bessere, freundlichere, fröhlichere Welt geben ohne Rassismus, Islamophobie, Antisemitismus, Sexismus, Homophobie. Und ohne Gewalt.