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Bettel-Verbot im Hamburger NahverkehrDas Recht der Stärkeren

Ilka Kreutzträger
Kommentar von Ilka Kreutzträger

Hamburg bestraft jene, die in der Bahn um Geld bitten. Doch wer was ändern will, muss Armut bekämpfen, statt unerwünschtes Verhalten zu sanktionieren.

Hat Glück, dass er nicht in Hamburg ist: Bettler in einer Berliner U-Bahn Foto: Arno Burgi/dpa

A lle drei Stunden wird in den Hamburger U-Bahnen mit dem Finger auf unerwünschte Personen gedeutet. So muss man die Durchsagen verstehen, die darauf hinweisen, dass Betteln im öffentlichen Nahverkehr in Hamburg untersagt ist. Diese Durchsagen sind für alle, die nicht Betteln, die Vergewisserung, dass es richtig ist, nichts zu geben. Mehr noch: Dass man ihnen nichts geben darf, denn allein die Frage ist ja schon verboten.

Dieses Bettel- und Musizierverbot in Hamburgs öffentlichen Verkehrsmitteln gibt es in Hamburg bereits seit 20 Jahren, aber durchgesetzt wurde es erst seit einem knappen Jahr. Da muss man sich schon fragen: Was soll denn das eigentlich?

Wo ist das Problem, einfach Nein zu sagen, wenn jemand vorbeikommt und um Geld bittet? Klar, da bleibt man dann mit der eigenen Entscheidung zurück, nicht helfen zu wollen. Da ist es natürlich leichter, wenn einem eine Vorschrift das abnimmt und man sich ganz offiziell gestört, unsicher oder belästigt fühlen darf.

„Subjektives Sicherheitsgefühl“ über allem

Dieses eher gefühlige Argument sollte aber ja nicht entscheidend für ein Verbot sein, auch wenn mit dem Schlagwort „subjektives Sicherheitsgefühl“ vieles gerechtfertigt wird. Bleibt die Frage, ob das Bettelverbot vielleicht irgendeinen anderen Vorteil hat oder ein Problem löst? Das sollte ja im besten Fall so sein.

Tja, allein die Hochbahn hat bisher laut eigenen Angaben 1.923 Mal ein Bettel-Bußgeld verhängt. 24 dieser Bußgelder sind bezahlt worden. Den anderen, denen also, die das einfach nicht bezahlen können, drohen Inkassoverfahren und weitere Schulden. Wem hilft das? Die Menschen, die in der Bahn um Geld bitten, tun das ja aus einer Not heraus. Bußgelder, die eh kaum wer je wird bezahlen können, werden sie nicht davon abhalten. Geholfen wird ihnen damit auch nicht, im Gegenteil.

Wer was ändern will, muss Armut bekämpfen, statt unerwünschtes Verhalten zu sanktionieren

Grundsätzlich ist Betteln in Deutschland sowieso erlaubt. Darum ist es gut, dass gegen das Verbot im Hamburger Nahverkehr Klage eingereicht ist. Denn an konkreten Beispielen zeigt sich am deutlichsten: Es geht nur darum, den potenziell Angebettelten Ungemach zu ersparen.

Das Ganze ist bloß eine Maßnahme, die Menschen in Armut kriminalisiert, die soziale Ungleichheit reproduziert und die die Bedürfnisse der Schwächsten hintenanstellt. Anders gesagt: Repression und Verdrängungspolitik. Wer wirklich was ändern will, muss Armut und Ausgrenzung strukturell bekämpfen, statt unerwünschtes Verhalten zu sanktionieren.

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Ilka Kreutzträger
Redaktionsleiterin Nord
Jahrgang 1977, die Soziologin arbeitete lange für die taz nord als Autorin und CvD sowie für den NDR in Hamburg als Nachrichtenredakteurin Online und Radio, ging dann kurz zum stern und war stellvertretende Ressortleiterin Lokales bei der Hamburger Morgenpost. Sie gibt an der Uni Bremen seit 2013 Schreib-Workshops. Seit 2023 ist sie Redaktionsleiterin der taz nord.
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18 Kommentare

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  • 1. Ich bezweifle, dass die Bettler zumutbare Eigenleistungen erbringen wollen. Der Umzug in ein preisgünstiges Gebiet oder eine Korrektur des Konsumverhalten kann helfen.



    2. Der ÖPNV wird durch Bettler unattraktiv. Sich nicht über unangenehme Leute ärgern zu müssen ist ein wichtiger Komfort- Vorteil für Autofahrer.



    3. Ob der Staat oder die Stadt wirklich helfen können? Wenn die Stadt voll ist, passen eben in die vorhandenen Wohnungen keine weiteren Interessenten hinein. Die klügeren ziehen woanders hin oder sind in kleinen WGs teamfähig oder können pendeln, die Sozial-Schwachen werden obdachlos. Viele Sozial-Lobbyisten kämpfen gegen harte physikalische Tatsachen. Es gibt viel mehr Interessenten mit wichtigen, guten und liebevollen Gründen in der Stadt zu siedeln als Wohnungen gebaut werden können mit vorhandenem Geld, Zeit, Personal, Material, Maschinen, Baugrundstücken.

  • Es existiert leider kein politischer Wille Armut nachhaltig in Deutschland zu bekämpfen. Weder in der Politik (außer einer Kleinpartei), noch bei der Bevölkerung, siehe letzten Wahlergebnisse. Eine Schande, wenn man bedenkt wie reich dieses Land und seine Bürger:innen teils sind.

  • Ich verstehe die politische Höflichkeit aber ich erlebe in Berliner U-Bahnen wirklich Elend, etwa auf der U7 oder U8 in Kreuzberg und Neukölln. Solidarität sollte nie eine Einbahnstrasse sein! Ich probier schon Leuten zu sagen, wo sie mal einen Zahnarzt für Obdachlose finden etc oder wie sie mit einem Sozialarbeiter Bürgergeld auch ohne Wohnsitz beantragen können, aber ich meide zunehmend die U-Bahnen und fahr lieber mal 8km mit dem Rad durch die City statt mir teils alle drei Minuten einen Bettelspruch anzuhören, weil es mir zu hart ist. Natürlich muss sich richtig viel ändern, aber ich sehe nicht wie, und ein Blick rüber in die Obdachlosenszenen in den US-Innenstädten, L.A., Aokland, Portland stimmen auch nicht gerade zuversichtlich, bei dem was ich im Netz sehe. Die Argumentation für die Autonomie des Bürgers ist ja nicht neu, relativ neu sind Fentanyl, Crack, Chrytalmeth etc. Das andere sind Leute aus Osteuropa, wo man sich schon fragt, was da innerhalb der letzten 40 Jahre alles kaputtgegangen sein muss.



    Ich war bei vielen Essensausgabestellen, aber ich gehe da nicht mehr hin, weil es mich runterzieht. Ich fühl mich in die Enge getrieben.

  • "Wo ist das Problem, einfach Nein zu sagen, wenn jemand vorbeikommt und um Geld bittet? Klar, da bleibt man dann mit der eigenen Entscheidung zurück, nicht helfen zu wollen. Da ist es natürlich leichter, wenn einem eine Vorschrift das abnimmt und man sich ganz offiziell gestört, unsicher oder belästigt fühlen darf."

    Ob Vorschrift oder nicht spielt im Alltag eh keine Rolle, da sich im Zweifel sowieso kein Bettler daran hält. Es gibt aber einen Unterschied zwischen "passiven" betteln. also auf der Straße zu sitzen und darauf zu hoffen das jemand einen Obolus spendet, oder direkt angesprochen und damit zu einer Reaktion genötigt zu werden. Letzteres ist natürlich störend. Mir persönlich ist es relativ egal, da ich während der Fahrt Musik via AirPods über mein Smartphone genieße und nebenbei Kommentare im TAZ-Forum absetze :D

    • @Tom Tailor:

      Es kommt nicht jemand vorbei und bittet um Geld, sondern man wird regelmäßig auf dem Weg von und zur Arbeit beim Lesen aus dem Roman herausgerissen, weil mehrfach am Tag Personen durch den ganzen Zug ihre umfangreiche Geschichte, mit der sie auf Spandenfang gehen lautstark durch den ganzen Wagen rufen.

      Warum sollen ausgerechnet immer die Nutzer von Öffis in ihrer Freizeit belästigt werden und für den Unterhalt von Leuten aufkommen, von denen man nicht mal weiß ob es sich wirklich um Menschen in Not handelt. Ich habe noch nie gehört, dass Reisende an Flughäfen, Autofahrer an Tankstellen oder Besucher von Bibliotheken oder Museen in diesem Umfang belästigt werden wie dies in U- und S-Bahnen der Fall ist.

  • 'Doch wer was ändern will, muss Armut bekämpfen, statt unerwünschtes Verhalten zu sanktionieren."

    Wer die Armut beseitigen will, muss den Reichtum bekämpfen.

  • Symptombekämpfung ist total in.

  • "Man muss Armut strukturell bekämpfen"



    Tun wir das nicht sehr erfolgreichmit unserem Sozialsystem? Bürgergeld ist für alle da und versorgt fast genauso gut wie ein Mindestlohnjob.



    Ich zahle dafür jeden Monat hunderte Euro an den Staat. Die Menschen in der Bahn fühlen sich bedrängt, ich kann diese Perspektive nachvollziehen. Warum für den Sozialstaat bezahlen UND sich bedrängen lassen?

    • @Petzi Worpelt:

      Ich bin nicht sicher, ob Ihr Kommentar ernst gemeint ist. Falls ja: Beschäftigen Sie sich mal mit dem Problem der Nicht-Inanspruchnahme (beim Bürgergeld und anderen Transferleistungen) und mit der Sozialbürokratie.



      Dass Sie jeden Monate hunderte Euro ins Sozialsystem bzw. den Staatshaushalt einzahlen, heisst leider noch nicht, dass das Geld auch bei den Leuten ankommt.

    • @Petzi Worpelt:

      Mit der strukturellen Bekämpfung sind andere Dinge gemeint als das Bürgergeld. Diejenigen, die da betteln brauchen strukturellen Beistand und keine Kriminalisierung, die Bestrafung von Armut hat noch zu keiner Zeit dazu geführt jemanden daraus zu befreien.

      • @Xanyd:

        Armut wurde noch nie erfolgreich ausgelöscht. Man kann sie reduzieren und da macht Deutschland extrem viel aber ganz wird man sie nicht los. Wir müssen mehr Menschen in den öffentlichen Nahverkehr und runter von der Straße kriegen, Bettler, Junkies und Obdachlose sind da im öffentlichen Nahverkehr und in den Bahnhöfen hinderlich. Das kann man jetzt groß beklagen aber die meisten Menschen wollen nicht angebettelt werden, und wollen nicht das der Bahnhof nach Urin riecht oder das da sich Leute Spritzen setzen.

        • @Machiavelli:

          Das halte ich für ein Märchen. Es dürfte das Gegenteil wahr sein: Die Menschheit kannte Armut über die meiste Zeit ihres Bestehens nicht. Indigene waren immer sehr schockiert, wenn sie erfahren haben, dass wir - europäische "Hochkultur" - Menschen (ver-)hungern und verelenden lassen.



          Und Deutschland macht nicht "extrem viel", schon gar nicht mit Hirn. Armut ist nicht natur- oder gottgegeben, sondern gewollt, weil notwendig für die Herrschaft einiger über andere (viele).

        • @Machiavelli:

          Menschen zu vertreiben löst keine Probleme. Im Gegenteil. Aus den Augen aus dem Sinn bedeutet nur sich dem Problem mit Ignoranz zu entledigen und die Betroffenen sich selbst zu überlassen. Das ist eine gesellschaftliche Kapitulation vor den Problemen jener die durch das soziale Netz gerutscht und abgestürzt sind.

      • @Xanyd:

        Wenn andere Dinge als Geld gemeint sind, wie sollte der strukturelle Beistand eines Bahnfahrers denn aussehen, wenn ein Hilfsbeduerftiger vor ihm steht?

    • @Petzi Worpelt:

      Bedrängen? Man sagt einfach nein oder gibt was und sie gehen weiter. Bettler sind oft Menschen die der Sozialstaat nicht erreicht oder sich nicht zuständig fühlt.

  • "Wer wirklich was ändern will, muss Armut und Ausgrenzung strukturell bekämpfen, statt unerwünschtes Verhalten zu sanktionieren."



    Ja nun. Das stimmt zwar, aber wäre es nicht langsam an der Zeit, da dann auch etwas konkreter zu werden?

  • „Die großartige Gleichheit vor dem Gesetz verbietet den Reichen wie den Armen, unter Brücken zu schlafen, auf den Straßen zu betteln oder Brot zu stehlen.“ [Anatole France (1844 - 1924), französischer Literaturnobelpreisträger]

    Betteln ist ja in Deutschland grundsätzlich erlaubt, aber der "öffentliche" Nahverkehr in Hamburg (HVV) gehört anscheinend nicht zu Deutschland. Schön ist das natürlich alles nicht mit dem betteln, und auch ich, der seit Jahren den "Bettlern" (ein Wort wie aus dem tiefsten Mittelalter) immer mal etwas Geld zusteckt, habe langsam auch keine Lust mehr mein Geld an die Armen im HVV zu verteilen. Was ist eigentlich aus dem Sozialstaat in Deutschland geworden? Die taz hat vollkommen recht, wenn sie schreibt: *Wer wirklich was ändern will, muss Armut und Ausgrenzung strukturell bekämpfen, statt unerwünschtes Verhalten zu sanktionieren.* Im Mittelalter sind wir zum Glück noch nicht angelangt, aber vielleicht sind wir bald wieder in der "Welt" von Anatole France, der mit obigen Satz sehr gut 'die großartige Gleichheit vor dem Gesetz' von armen und reichen Menschen gezeigt hat. Es ist nur schade, dass in Hamburg keine echte soziale Partei den Bürgermeister stellt.

    • @Ricky-13:

      "Betteln ist ja in Deutschland grundsätzlich erlaubt, aber der "öffentliche" Nahverkehr in Hamburg (HVV) gehört anscheinend nicht zu Deutschland. "

      Schon zu Deutschland, aber ist kein öffentlicher Grund und Boden sondern ein privatwirtschaftlich betriebenes Unternehmen, welches sein Hausrecht durchsetzen kann.