Betrug bei der Schulanmeldung: Wenn Eltern jedes Mittel recht ist

In Hamburg melden sich etliche bildungsaffine Eltern zum Schein um, damit ihr Kind auf die gewünschte Schule kommt. Das ist eine Bankrotterklärung.

Schüler:innen in einem Klassenraum melden sich

Bitte melden, wessen Eltern den Schulplatz erschlichen haben: Schü­le­r:in­nen in Hamburg Foto: Daniel Reinhardt/ dpa

Kürzlich erzählte mir ein Bekannter – Lehrer übrigens –, dass ihn eine Freundin gefragt habe, ob sie sich zum Schein bei ihm anmelden könne. Ihr Kind soll nämlich auf das Gymnasium gehen, in dessen Nähe der Bekannte wohnt – nicht aber das Kind. Da aber die Schulplätze in Hamburg nach Wohnortnähe verteilt werden, will die Mutter auf Nummer sicher gehen.

Schulanmeldezeit ist Scheinanmeldezeit, und die Hamburger Schulbehörde versucht nicht mal, das Ganze als Einzelfallproblem kleinzureden. Es gibt zwar wenig aufgedeckte Fälle – pro Jahr im einstelligen Bereich –, aber die Dunkelziffer ist „als sehr hoch einzuschätzen“, schreibt der Behördensprecher auf Anfrage. Und weiter: Man geht davon aus, „dass gerade die besonders stark angewählten Schulen mutmaßlich regelmäßig und alle von Scheinummeldungen betroffen sind“.

So klingt Resignation. Gemischt ist der Ton mit Zorn oder vielleicht auch Galgenhumor, wenn der Sprecher darauf verweist, dass es auch Eltern gebe, die eine Zweitwohnung im Einzugsbereich der Wunschschule kaufen – fertig ist die Laube.

Aber das Tricksen ist keineswegs eine Strategie der Reichen, dazu ist es schlicht gesprochen zu häufig. Die Scheinummelder:innen, die ich persönlich kenne, sind nicht reich, sondern gehobene ­Mittelschicht. Sie sprechen sich in der Theorie für die weniger elitäre Stadtteilschule aus und schicken in der Praxis ihre Kinder aufs Gymnasium.

Die elterliche Furcht wächst ins Unermessliche

Ich bin nicht in der Position, Steine auf besorgte Eltern zu werfen, ich bin selbst besorgtes Elternteil. Steine werfe ich aber auf diejenigen, für die der Betrug lediglich ein weiteres Instrument im Werkzeugkasten zur Förderung des Kindes ist. Es ist sonderbar: Warum wächst die elterliche Furcht um die Zukunft der heutigen Kinder ins Unermessliche? Es ist doch die kommende Generation, der die Demografie­ so goldene Brücken baut, dass es wirklich schwierig für sie wird, beruflich zu scheitern.

„Mein Kind soll die Mängel des Systems nicht ausbaden“, sagen die bildungsaffinen ­Eltern unisono – und das ist nachvollziehbar. Indem sie sich dem System entziehen, betonieren sie es allerdings, denn vor was sie fliehen, ist in der Regel eine bildungsfern aufgewachsene Mitschüler:innenschaft.

Das Ergebnis ist eine sich selbst erfüllende Prophezeiung und ein immer polareres System: hier die mutmaßlich guten, dort die mutmaßlich schlechten Schulen. Hinzu kommt, dass die Sorge ums Fortkommen des Kindes immer früher beginnt: Schon die Wahl des Kindergartens nimmt tragische Ausmaße an – da darf bei der Schulwahl erst recht nichts schiefgehen.

Den meisten Schei­num­mel­de­r:in­nen gibt der Erfolg recht. Die wenigsten fliegen auf – dann müssen es allerdings ihre Kinder ausbaden, die von der Schule fliegen. Vorher müssen alle ihren Kindern erklären, warum sie plötzlich eine neue Adresse haben und dass sich die Eltern nicht wirklich getrennt haben.

Wer sich dabei nicht nur smart, sondern auch vage unbehaglich fühlt, könnte dem Gefühl weiter nachgehen: Vielleicht liegt dort die Grenze des darwinistischen Kampfs ums Bildungswohl? Es gibt keine einfache Antwort auf die Frage nach den Alternativen. Aber Betrug als elterliche Fürsorgetechnik zu etablieren, kann es nicht sein.

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