Berichterstattung zum Halle-Prozess: Die Bühne des Täters
Der Prozess gegen den Attentäter wird von vielen Medien begleitet. Der Täter wünscht sich Ikonisierung – und viele Journalist:innen helfen dabei.
Er ist überall zu sehen: Sein Name auf Nachrichtenseiten verewigt, sein Foto in Tageszeitungen gedruckt. Am Dienstag begann im Landgericht in Magdeburg der Prozess gegen den rechtsextremen Attentäter aus Halle, und das mediale Interesse war riesig. Wegen des großen Andrangs konnte der Prozess erst zwei Stunden später als geplant beginnen. Und schon nach dem ersten Prozesstag haben viele Medien dabei geholfen, den Täter zu ikonisieren.
Der 28-jährige Deutsche hatte, angetrieben von Antisemitismus, Rassismus und Frauenhass, am jüdischen Feiertag Jom Kippur im Oktober 2019 versucht, eine Synagoge in Halle zu stürmen. Als ihm das nicht gelingt, erschießt er Jana L. auf der Straße und Kevin S. im nahe gelegenen „Kiez Döner“. Auf seiner Flucht vor der Polizei verletzt er weitere Menschen. Für diese Taten muss er sich nun vor Gericht verantworten.
Journalistisch ist es eine Herausforderung, über die Taten von Rechtsextremen zu berichten: Journalist:innen müssen die Öffentlichkeit ausführlich informieren, dürfen aber den Täter:innen nicht zu viel Raum geben. Sie müssen das Weltbild der Terrorist:innen beleuchten, um die Gefahr des Rechtsterrorismus zu verstehen, sollten jedoch nicht in die Falle tappen, deren Propaganda zu reproduzieren. Sie sollten Betroffene in den Mittelpunkt stellen, mit ihnen sprechen, ihnen zuhören, aber sie nicht bedrängen. Und trotz breiter Berichterstattung das Nachahmer-Potenzial nicht fördern.
Gelungen ist das schon nach dem Attentat weniger gut: Verschiedene Medien, wie die Bild und die ARD, veröffentlichten Sequenzen des Videos, in dem der Täter seinen Anschlag live ins Internet übertrug. Betroffene kritisieren heute das Vorgehen der Presse, sie fühlten sich bedrängt. Anstatt darüber zu schreiben, wie tief rassistische Ideologien und rechte Strukturen in unserer Gesellschaft verankert sind, ging es viel um den Mythos des Einzeltäters.
Voller Name und unverpixelte Bilder
Damit die Berichterstattung über den Prozess besser wird, gab es am Dienstag eine Demo vor dem Gerichtsgebäude. Die Demonstrierenden forderten: „Solidarität mit den Betroffenen – keine Bühne dem Täter“. Denn dass der Rechtsextreme diese suchte, wurde schon vor seinem Betreten des Saals deutlich. Sein Anwalt teilte mit, dass der Täter gerne mit vollem Namen und unverpixelten Bildern gezeigt werden möchte. Und die deutsche Medienwelt? Die folgte seinem Wunsch – trotz der Bitte der Nebenkläger:innen, auf Name und Bild zu verzichten.
Die meisten Berichte über den Prozessauftakt sind auch ansonsten, neben der Namensnennung, vollkommen täterzentriert. Sie geben die Gedanken und Worte, die Perspektive eines Neonazis wieder. Stundenlang kam der 28-Jährige im Prozess in Magdeburg zu Wort, gab seine rassistischen, islam- und judenfeindlichen Ansichten wieder. Und diese Aussagen sind nun für die Öffentlichkeit teilweise wörtlich nachzulesen.
So wird etwa beim Spiegel die White-Supremacy-Ideologie des Täters als Zitat in den Titel geschrieben und werden seine rassistischen Aussagen, inklusive diskriminierender Begriffe wie des N-Worts, zitiert. Ebenso tat es die Bild. Der Tagesspiegel, Zeit Online, Focus Online und die New York Times verzichteten zwar auf die Wiedergabe dieses Worts, gaben aber den Ideen des Täters von einem „Bevölkerungsaustausch“, seiner Hetze gegen Muslim:innen, Jüdinnen:Juden und nichtweiße Menschen Raum.
Der MDR will's besser machen
Natürlich muss über die Ideologie des Rechtsextremen geschrieben werden, doch es ist die Aufgabe von Journalist:innen, über Rassismus, Antisemitismus und Antifeminismus zu schreiben, ohne selbst Ismen zu reproduzieren. Gefährlich ist es vor allem deswegen – und darin sind sich Terrorismus-Expert:innen einig –, weil ein Nachahmungseffekt droht, wenn sich Medien zu sehr auf den Täter fokussieren.
Zudem verharmlosen einige Medien den Täter, wenn sie seine Weltsicht als „krude“ (Weser-Kurirer, MoPo, Schwäbische Zeitung) umschreiben, anstatt sie eindeutig rechtsextrem zu nennen. Andere nehmen in ihrer Berichterstattung sogar die Perspektive des Täters ein, wie ntv oder SWR, wenn sie als Motiv von „Hass auf Ausländer“ sprechen. Denn die Menschen, die der Neonazi im Oktober töten wollte, sind keine Ausländer:innen, sie werden von ihm als solche gelesen, weil sie jüdisch oder nichtweiß sind, weil sie eine Migrationsgeschichte haben.
Der MDR möchte es nun besser machen. In der Berichterstattung über den Prozess am Mittwoch kündigten der Sender an, dem Täter keine Bühne mehr geben zu wollen und deswegen auf die Nennung des Namens des Angeklagten zu verzichten. Bis der Prozess im Oktober zu Ende gehen soll, folgen noch einige Prozesstage. Dass auch andere Medienhäuser in dieser Zeit ihre bisherige Strategie überdenken, wäre wünschenswert.
Anmerkung der Redaktion: Bei der Redaktionskonferenz der taz wurde am Mittwoch die Frage lange diskutiert, ob der Name des Täters genannt werden sollte. Einige plädierten für, andere gegen die Namensnennung. Einige AutorInnen haben den Täter in ihren Texten benannt, bei diesem Text hat die Autorin darauf verzichtet. Es ist etwas in Bewegung geraten. Die Redaktion wird sich mit ExpertInnen und Betroffenen beraten, um dann eine generelle Linie für die taz zu finden.
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