Bericht zu Fälschungen beim „Spiegel“: Das Relotius-Ressort soll weg
Die hausinterne Kommission zum „Spiegel“-Skandal hat ihren Bericht vorgelegt. Sie hält das Gesellschaftsressort des Magazins für ein Kernproblem.
Fünf Monate nach dem Skandal um die gefälschten Relotius-Reportagen hat der Spiegel seine eigene Erklärung zum Fall vorgelegt. Am Freitagmittag veröffentlichte das Medienhaus den 17-seitigen Bericht der Untersuchungskommission auf Spiegel Online. Der Bericht wird auch im Spiegel-Magazin erscheinen.
Die Kommission sieht ein wesentliches Problem in der Struktur des Spiegel-Gesellschaftsressorts und führt daher einige Überlegungen auf, wie mit dem Ressort umzugehen sei. Diese Überlegungen sind keine Forderungen der Kommission selbst, sondern existierten teils schon vor dem Skandal. Die Kommission greift sie auf und stellt sie in dem Papier erneut zur Debatte.
Der radikalste der vier Vorschläge: „Das Gesellschaftsressort wird aufgelöst, die Reporter wandern in die Ressorts und schreiben dort Reportagen. Die Seiten des Gesellschaftsressorts werden den übrigen Ressorts zugeschlagen.“ Die anderen Vorschläge beinhalten, das Ressort zu schrumpfen, ihm die eigenen Seiten wegzunehmen oder die Leitung auszuwechseln.
In der Struktur des Ressorts Gesellschaft – das de facto das Reportageressort ist – sieht die Kommission einen systemischen Fehler, der den Fall Relotius begünstigt habe. „Das Gesellschaftsressort hat im Haus den Ruf, sich abzuschotten, auch gegenüber Kritik“, steht im Bericht. Das passt zu bisherigen Veröffentlichungen, aus denen hervorging, dass das von Matthias Geyer geleitete Ressort Relotius lange verteidigt habe, auch als die Belege für seine Fälschungen sich häuften.
Die Kommission bezeichnet diese Vorschläge als „Überlegungen“, nicht als Forderungen und betont: „Wir verzichten auf Zuweisung der einzelnen Ideen auf bestimmte Personen.“
Der Glaube an den „tollen Schreiber“
Das Papier ist der Abschlussbericht der offiziell eingesetzten Untersuchungskommission Relotius. Aufgabe der Kommission war eine schmerzhafte: die Arbeitsprozesse und die Personalstruktur im Spiegel intern abzuklopfen auf so etwas wie systemische Fehler. Also alles, das zur Fälschung ermutigen könnte, beziehungsweise verhindern könnte, das diese erkannt werden. Die Kommission bestand aus Blattmacher Clemens Höges, Nachrichtenchef Stefan Weigel und der früheren Chefredakteurin der Berliner Zeitung Brigitte Fehrle. Höges rückte im April in die Chefredaktion des Spiegel auf und wirkte daher nicht mehr in der Kommission mit. Weigel und Fehrle setzten die Arbeit zu zweit fort.
Der Bericht rekonstruiert akribisch die Hintergründe des Falls und die Abfolge seiner Enthüllung. Der Spiegel hat alle Texte Relotius' überprüfen lassen sowie nach weiteren Fälschungen gesucht, hat Mitarbeiter*innen befragt und Mailverkehr ausgewertet. Das Papier zeichnet eine Kette von Versäumnissen und illustriert, wie der Glaube an den „tollen Schreiber“ Relotius stärker war als die Zweifel an seiner Arbeit. Es seien allerdings keine Hinweise darauf gefunden worden, dass jemand im Haus von den Fälschungen wusste, sie gedeckt habe oder an ihnen beteiligt gewesen sei.
Der „Fall Relotius“, wie der Fälschungsskandal beim Spiegel inzwischen geläufig heißt, kam kurz vor Weihnachten ans Licht. Der mehrfach preisgekrönte Spiegel-Reporter Claas Relotius hatte zugegeben, über Jahre Geschichten mit erfundenen Fakten, Beobachtungen und sogar Personen angereichert zu haben. Relotius' Spiegel-Kollege Juan Moreno war zuvor misstrauisch geworden. Rekonstruktionen ergaben, dass es sich um wesentlich mehr handelte als Ausschmückungen hie und da. Viele von Relotius' Geschichten waren im Wesentlichen ausgedacht.
Das stieß zum einen eine Debatte über die journalistische Textform Reportage im Allgemeinen an, zum anderen stürzte der Fall den Spiegel in die Krise. Der Skandal beschädigte die berühmte Dokumentation, also die Faktencheck-Abteilung des Magazins. Der Dokumentar, der für die Relotius-Faktenchecks zuständig war, ist mittlerweile in den Vorruhestand gegangen. Zudem gab es mehrere Personen in dem Hamburger Medienhaus, die Relotius gefördert hatten – darunter Ullrich Fichtner, der eigentlich ab diesem Jahr die Position als einer von drei Chefredakteur*innen besetzen sollte.
Dazu kam es nicht. Im März wurde bekannt, dass Ullrich Fichtner nicht neuer Chefredakteur werden würde, sowie dass Matthias Geyer, ein weiterer Relotius-Förderer, die Leitung des Gesellschaftsressorts abgibt. Chefredakteur an Fichtners Stelle wird der schon angesprochene Clemens Höges, der zusammen mit Barbara Hans und Steffen Klusmann den Spiegel leitet.
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