Beratungen in Luxemburg: Harte Kritik an EU-Asyl-Plänen
Am Donnerstag beraten die EU-Innenminister*innen über eine Verschärfung der Asylpolitik. Deutsche und Internationale Aktivist*innen schlagen Alarm.
![Eine Frau mit Niqab in einem Containerdorf Eine Frau mit Niqab in einem Containerdorf](https://taz.de/picture/6307742/14/Asyl-EU-1.jpeg)
Kern dessen, was in Luxemburg am Donnerstag verhandelt wird, ist der Vorschlag, Prüfverfahren für bestimmte Flüchtlinge an den EU-Außengrenzen durchzuführen, wohl unter haftähnlichen Bedingungen. Außerdem steht zur Debatte, Flüchtlinge während der Prüfung ihres Asylgesuchs in sogenannte Drittstaaten zu bringen. Ein verbindlicher Mechanismus für die Verteilung von Geflüchteten auf die EU-Mitgliedsstaaten ist dagegen weiter nicht vorgesehen.
Die deutsche Organisation ProAsyl warnt, durch die Pläne drohe eine „Aushebelung des Asylrechts in der EU“. Die rechtspolitische Sprecherin der Organisation, Wiebke Judith, sagte: „Die Bundesregierung muss bei ihren menschenrechtlichen Vorgaben des Koalitionsvertrags bleiben.“ Julia Duchrow, die Vize-Generalsekretärin von Amnesty Deutschland, sprach von einem „menschenrechtlichen Tabubruch, der die Allgemeingültigkeit von Menschenrechten und rechtsstaatliche Grundsätze infrage stellt“.
Auch die Expert*innen des deutschen Rats für Migration sprachen sich gegen die Pläne aus. Sie teilten mit, der Entwurf bestärke „die Forderungen rechtspopulistischer und -extremer Parteien und Regierungen nach einer faktischen Abschaffung des Flüchtlingsschutzes weiter“. In einem offenen Brief hatten sich zudem schon am Dienstag zahlreiche Kinderrechtsorganisationen gegen die Pläne ausgesprochen. Das Vorhaben würde Kinderrechte massiv einschränken. Kinder und Jugendliche dürften nicht den Grenzverfahren unterworfen oder in vermeintlich sichere Drittstaaten gebracht werden.
Drohende Retraumatisierung
Kritik gibt es ebenfalls von internationalen Organisationen. Das International Rescue Committee teilte mit, Erfahrungen in Ländern wie Griechenland zeigten, dass die Unterbringung der Menschen Auswirkungen auf Integration und psychische Gesundheit hätten. Sie seien teils „in abgelegenen Einrichtungen, unter ständiger Überwachung und hinter Stacheldrahtzäunen“ untergebracht. Angesichts der Traumata, die viele Geflüchtete auf dem Weg nach Europa erlebt hätten, sei es an der Zeit, den „Schwerpunkt von Mauern auf die Aufnahme zu verlagern“.
Die auf den griechischen Inseln tätige NGO Refugee Support Aegean (RSA) nannte die vom EU-Rat vorgeschlagenen Grenzverfahren „beunruhigend“. Ihre Folge sei Freiheitsentzug, der auch im Binnenland für bis zu vier Monate angewandt werden könnte, falls die Lager direkt an den Außengrenzen voll sind. „Der Rat beschränkt den Zugang zum Asylrecht“, so RSA weiter.
Im Angesicht solch scharfer Kritik rumort es in den Ampelfraktionen weiter. Schon am Dienstag hatten sich über 700 Grünen-Mitglieder in einem offenen Brief an ihre Parteispitze gewandt und diese aufgefordert, sich gegen die geplanten Verschärfungen des EU-Rechts zu stellen.
Die Kritik in der SPD ist weniger laut, auch weil man die eigene Innenministerin in den durchaus schwierigen Verhandlungen mit den Kollegen*innen in der EU nicht schwächen will. „Wir wollen Nancy Faeser in dieser schwierigen Situation den Rücken stärken, gleichzeitig gibt es auch in der SPD breite Kritik am Vorschlag der Kommission“, so der sächsische Bundestagsabgeordnete Carlos Kasper.
Er gehört zu jener Handvoll SPD-Abgeordneter, die einen fraktionsübergreifenden Brief unterzeichneten, der sich kritisch mit dem Vorschlag der Kommission auseinandersetzt. Etwa den geplanten Schnellverfahren vor den Toren der EU. „Dass Familien mit minderjährigen Kindern davon ausgenommen werden, wäre für mich eine Bedingung. Wir können es nicht zulassen, dass die EU für Geflüchtete Lager mit haftähnlichen Zuständen in Drittstaaten einrichtet“, so Kasper.
Auch die Linke macht Druck
Ebenfalls unterzeichnet hat ihn der Berliner SPD-Bundestagsabgeordnete Hakan Demir. Er kritisiert vor allem die geplante Ausweitung der sicheren Drittstaaten. „Die Ausweitung könnte im Extremfall bedeuten, dass Staaten wie Tunesien und die Türkei zu sicheren Drittstaaten erklärt werden und niemand, der über diesem Weg nach Europa flüchtet, hier Asyl bekommt.“ Er hält es für besser, wenn der Vorschlag der Kommissionen samt allen Verschärfungen nicht beschlossen wird und man zunächst weiter verhandelt.
Die Opposition im Bundestag kritisiert das Vorhaben ebenfalls. Die asylpolitischen Sprecher*innen der Linken aus Bundestag und diversen Länderparlamenten veröffentlichten am Mittwoch ein Statement, in dem sie sich gegen die Pläne aussprachen. Darin heißt es etwa: „Ja – die europäische Asylpolitik muss grundlegend neu ausgerichtet werden.“ Dabei müssten aber die Menschenrechte der Schutzsuchenden im Mittelpunkt stehen.
Die CDU fordert derweil, die deutsche Seite solle sich in der EU für noch härtere neue Regeln einsetzen als jetzt schon geplant. Ausnahmen bei den Prüfverfahren an den Grenzen solle es für Familien mit Kindern nicht geben.
Internierungslager auch in benachbarten Staaten
Die Diskussion um die Verfahrenslager an den EU-Grenzen wird seit Langem begleitet von der Forderung, auch in benachbarten Transitstaaten weitere Internierungslager zu bauen, in die abgelehnte Schutzsuchende gebracht werden können. Solche Lager gibt es bereits, etwa in der Türkei.
Am Donnerstag wurde bekannt, dass die Bauarbeiten eines neuen Lagers in Bosnien gestoppt wurden und der vom Wiener Thinktank ICMPD konzipierte und von der EU finanzierte Gefängnistrakt im bosnischen Flüchtlingscamp Lipa nicht in Betrieb gehen wird. Grund sei, dass die Rechtsgrundlage dafür fehle und „auch nicht geschaffen werden wird“. Das sagte der bosnische Menschenrechtsminister Sevlid Hurtić gegenüber lokalen Medien.
Und während Bundeskanzler Olaf Scholz am Donnerstag in Rom die Ministerpräsidentin Giorgia Meloni besuchte, rettete die italienische Küstenwache bei mehreren Einsätzen mehr als 1.400 Migrant*innen. Sie waren auf überfüllten Schiffen unterwegs, wie die italienische Küstenwache mitteilte. In den Wochen zuvor hatten auch private Rettungsschiffe Hunderte Migrant*innen an Land gebracht.
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