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Belarussische Kunst in PolenReise nach Białystok

An der polnischen Grenze zu Belarus stellen belarussische Künstler aus, was sie in ihrer Heimat nicht mehr zeigen können. Um die Ecke ist der Krieg.

Müde und auf der Flucht: diese Frau sitzt im Zug von Saporischschja nach Polen Foto: Hannah McKay/reuters

Białystok taz | Der Zug, der an diesem letzten Märztag bis an den nordöstlichen Rand Polens fährt, ist halbleer. Richtung Osten, Richtung Russische Föderation und an die Grenze zu Belarus, scheint momentan niemand reisen zu wollen.

Einige Tage später, auf dem Rückweg, wird sich ein anderes Bild präsentieren: Mehr als fünf Wochen nach Ausbruch des Krieges sind die Züge in Polen immer noch voll mit ukrainischen Geflüchteten. Schweigende Kinder schauen genauso ausdruckslos wie ihre Eltern aus den Fenstern des Intercitys, dazwischen Hunde und Katzen, ebenfalls stumm. Was sie in den letzten Wochen gesehen haben, ist schwer vorstellbar, viele haben nicht mehr als einen kleinen Rucksack dabei.

Die Ausstellung

„When The Sun Is Low The Shadows Are Long“, Galeria Arsenał, Białystok, bis 13. 5. Anschließend wird die Ausstellung vom 10. 6. bis zum 25. 9. in der GfZK – Galerie für Zeitgenössische Kunst Leipzig gezeigt.

Polen, normalerweise nicht für seine Freundlichkeit gegenüber Fremden bekannt, begegnet den Geflüchteten aus der Ukraine mit Hilfsbereitschaft und Unterstützung. Etwa 2,5 Millionen Ukrai­ne­r:in­nen sollen sich aktuell im Land befinden. Selbst hier in Podlachien, Ziel dieser Reise und nordöstliche Woiwodschaft Polens, die nicht gerade auf der Fluchtroute gen Westen liegt, sind einige tausend angekommen.

Zwei Jahre zuvor erlebte diese Region allerdings eine viel größere Welle an Zuwanderungen aus einem anderen Nachbarland. Allein nach Białystok, in die Hauptstadt Podlachiens, sind damals etwa 10.000 Menschen aus Belarus geflohen. Der belarussische Präsident Lukaschenko hatte im Sommer 2020 die offensichtlich manipulierten Wahlen für sich reklamiert. Und Belarus erlebte die größten Massenproteste seit der Unabhängigkeit 1991.

Kein demokratischer Umbruch in Belarus

„Die kaputte Uhr unserer Geschichte ist durch Blendgranaten durchgerüttelt worden. Jetzt ist ihr Ticken ohrenbetäubend und atemberaubend“, schreibt die belarussische Schriftstellerin Julia Cimafiejeva im August 2020 in ihr Tagebuch, noch auf einen demokratischen Umbruch hoffend. Das diktatorische Regime Lukaschenkos ging jedoch mit Unterstützung Moskaus mit aller Härte gegen die Demonstrierenden vor. Heute ist die Bevölkerung der ehemaligen Sowjetrepublik unterdrückt wie eh und je.

So oder so ähnlich spiele sich der Teufelskreis aus gefälschten Wahlen und Protesten alle fünf Jahre ab, sagt die Kuratorin Anna Karpenko in Białystok. Die Galeria Arsenał zeigt hier aktuell in Kooperation mit dem Goethe-Institut Warschau sowie der GfZK-Galerie Leipzig mit „When The Sun Is Low – The Shadows Are Long“ zeitgenössische belarussische Kunst.

Die Grenze von Polen zu Belarus ist von hier nur etwa 50 Kilometer entfernt. Aber schwer zu überwinden. Züge verkehren schon länger nicht mehr, Flugzeuge aus Belarus dürfen in EU-Staaten nicht mehr landen, seitdem das Lukaschenko-Regime eine Ryan-Air-Maschine in Minsk zum Landen zwang, in dem der regimekritische Blogger Roman Protassewitsch saß. Die Künst­le­r:in­nen aus Minsk, die zur Vernissage in den Osten Polens anreisten, mussten deshalb über Drittländer wie die Türkei und Armenien fliegen, in einem Fall gar über Belize.

An der Ausstellung im polnischen Białystok teilzunehmen, ist dabei für Künstler aus Belarus nicht ungefährlich. Der repressive Charakter des Lukaschenko-Regimes wird explizit formuliert. Schweigen wollen die Künst­le­r:in­nen nicht. Lukaschenko habe viel zu tun, sagt ironisch lächelnd Bazinato. Und, sie seien doch nur Künstler. Es ist der Mut der Verzweiflung, von Menschen, deren Land Putins Armee gerade als Aufmarschgebiet für die Invasion der Ukraine dient, und in dem Menschen auf offener Straße verhaftet werden können, weil sie zu weißer Hose eine rote Jacke tragen.

Masha Svyatogor: Die Collage setzt den tristen Schlafstätten Minsks bunte Kinderzeichnungen entgegen Foto: Masha Svyatogor

Das Leben in Minsk

Doch Schweigen scheint trotz der Gefahr angesichts des brutalen Mordens im südlichen Nachbarland Ukraine weniger denn je eine Option zu sein. Das sagt auch Masha Svyatogor. Die Künstlerin zeichnet in ihren Collagen das Leben in Minsk nach, erzählt vom Aufwachsen in einem der riesigen Wohnblöcke am Stadtrand der belarussischen Hauptstadt.

Die Schlafquartiere mögen monoton und reizlos scheinen, man fühle sich dort aber sicherer als im Zentrum, sagt sie. „Man kann den Augen des Regimes dort besser ausweichen als auf den großen Prachtstraßen im Stadtzentrum.“ Minsk zu verlassen, komme für sie prinzipiell nicht in Frage.

Das Boot von Jan Helda, das zwei Systeme repräsentiert Foto: Galeria Arsenał

Viele der in Białystok ausstellenden Künst­le­r:in­nen haben ihrer Heimat Belarus jedoch bereits den Rücken gekehrt. Kuratorin Anna Karpenko träumt von einer Rückkehr in ein freies Minsk. Sie lebt seit der Niederschlagung der Proteste im Herbst 2020 im deutschen Exil. Um bleiben zu können, beantragte sie ein Studentenvisum, obwohl die Philosophin und Soziologin einen weiteren Abschluss nicht braucht. Es gebe für Belaruss:innen, die emigrieren müssen, generell wenig Hilfe, sagt sie. „Unser Land ist für Europa immer noch ein blinder Fleck.“

Belarus hat eine Bevölkerung von 9,4 Millionen Menschen, die Diaspora außerhalb Russlands und den Vereinigten Staaten ist eher zersplittert. Eine Ausstellung mit belarussischer Kunst wie hier im Ausland ist eine Seltenheit, die sich die Galeria Arsenał jedoch nicht zum ersten Mal leistet.

Besucherandrang bei der Vernissage

Ein in Polen lebender US-amerikanischer Kurator betont bei der Vernissage, welch Rarität solche Galerien fernab der Hauptstadt im konservativ-katholischen Polen darstellen. Die Galerie ist am Eröffnungsabend brechend voll. Die Be­su­che­r:in­nen drängen sich dicht an dicht. Unmaskiert, das Virus ist in Polen qua Gesetz seit wenigen Tagen abgeschafft.

Belarus, so glauben die meisten hier, werde sich nicht ändern, ohne dass sich Russland verändere. Der Überfall auf die Ukraine ist das große aktuelle Negativ-Beispiel. Die belarussischen Künst­le­r:in­nen fühlen sich den Betroffenen in der Ukraine sehr nahe. Ihre unmittelbare Betroffenheit ist in den Gesprächen spürbar. Sie kennen den Aggressor. Und fürchten, dass ihr Land noch weiter in Russlands Krieg in der Ukraine verwickelt wird.

Die polnisch-belorussische Grenzregion ist dünnbesiedelt. In der Mehrzahl stimmen die Menschen hier für die konservative PiS-Partei. 2020 seien die vielen belarussischen Geflüchteten dennoch freundlich aufgenommen worden, sagt Maciej Chołodowski, der als Journalist bei der Gazeta Wyborcza arbeitet. Sein Gesichtsausdruck lässt sich nicht deuten, während er dies sagt und aus dem Fenster schaut, vor dem der Schnee einige Zentimeter hoch liegt. Doch die Grenze nach Polen ist nicht nur für Be­la­russ:­in­nen schwer zu überwinden.

Geflüchtete im Grenzwald

Zwischen den beiden Ländern wächst ein dichter Wald, der als eines der letzten verbliebenen Urwaldgebiete Europas gilt. Wegen neuer Krisen fast vergessen, irren darin immer noch schlecht ausgerüstete Geflüchtete umher, die Lukaschenko aus Syrien, dem Irak oder Afghanistan einfliegen ließ, um die Europäische Union unter Druck zu setzen.

Wie viele dort noch ausharren, ist unklar. Chołodowski sagt, dass viele seiner Landsleute der Staatspropaganda Glauben schenken, wonach unter den muslimischen Flüchtlingen viele Terroristen seien. Alle, die helfen wollen, sagt er, machen sich strafbar.

Einer der belarussischen Künstler hat sich der Situation in den Grenzwäldern angenommen. Der in Berlin lebende Jura Shust fügt in seiner Videoarbeit Drohnenaufnahmen des polnischen Grenzschutzes und Handyvideos von Geflüchteten nahtlos aneinander. Die Aufnahmen sprechen für sich: Geflüchteten, die sich in den Wäldern behelfsmäßig Unterschlüpfe bauen, deplatziert, gefangen in einem Konflikt zwischen Ost und West.

Auch Jan Helda beschäftigt sich mit der Grenze. Helda lebt seit 15 Jahren in Polen. Seine Skulptur kann als das Herzstück der Ausstellung in der Galeria Arsenał gelten. Ein zweigeteiltes Kanu führt die Gegensätzlichkeit der beiden Systeme – Belarus und Europa – vor Augen. Es scheint so, als hätte man und auch Helda nicht wirklich eine Wahl, welche Seite des Boots man wählen könnte: Die eine Hälfte besteht aus Holz, die andere aus Stacheldraht.

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1 Kommentar

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  • Oh wie gern würde ich diese Ausstellung sehen!



    Danke für den Bericht darüber.