Befreiung des weiblichens Begehrens: Angst vor der potenten Frau

Die Philosophin Svenja Flaßpöhler kritisiert in ihrem Buch die #metoo-Debatte und plädiert für weibliche Lust. Das wirft wichtige Fragen auf.

Kristina Marlen hält lächelnd eine Katze auf dem Schoß

„Zu fühlen, zu zeigen und zu sagen, was ich will, ist geil“, sagt Kristina Marlen Foto: André Wunstorf

Vor einigen Wochen stieß ich auf ein Zitat, das mich begeisterte: „Die potente Frau ist eine, die patriarchale Denkmuster abgelegt hat. Die ein eigenes Begehren hat. Und sich nicht darauf beschränkt, Spiegel des männlichen Begehrens zu sein und ihn in seiner Grandiosität zu bestätigen. Anstatt die männliche Sexualität abzuwerten, wertet sie die eigene auf.“

Geschrieben hat das die Philosophin Svenja Flaßpöhler in ihrem gerade erschienenen Buch „Die potente Frau“. Flaßpöhler ist dafür von Feministinnen angegriffen worden, denn sie positioniert sich darin als Antagonistin der #MeToo-Bewegung. Diese, meint Flaßpöhler, schreibe die patriarchale Erzählung von der Frau als Opfer der aggressiven männlichen Sexualität fort. Flaßpöhler plädiert für einen offensiveren Begriff von Weiblichkeit: Frauen müssten ihre eigene Potenz begreifen und leben, anstatt in passiver Anklage zu verharren. Sie vermisse die Frau als Aktive, als Verführerin, in #MeToo zeige sich „eine auffällige Leerstelle des weiblichen Begehrens“.

Ich finde es fragwürdig, den Frauen, die über ihre Erfahrungen mit sexueller Gewalt sprechen, mangelnde eigene sexuelle Aktivität vorzuwerfen. Außerdem verkennt es die Dimension der #MeToo-Debatte. In ihr geht es darum, sexuelle Gewalt als Struktur und Mittel zum Machterhalt sichtbar zu machen. Dass die Protagonistinnen der Debatte dies ausgesprochen und angeklagt haben, lese ich ziemlich klar als Geste der Ermächtigung und als Erfolg im Kampf um sexuelle Selbstbestimmung.

Trotzdem bin ich unbeirrt begeistert, denn Flaßpöhler thematisiert, was oft unaussprechlich scheint: die sexuell aktive Frau. Die Frau und ihre Potenz. Die Frau, die ihr Potenzial erkennt und ausschöpft. Flaßpöhler schreibt: „Die potente Frau ist weder Realität noch unerreichbares Ideal. Sie ist eine Möglichkeit. Warum ergreifen wir sie nicht?“

Arbeit mit der Potenz

Gute Frage. Sie beschäftigt mich jeden Tag. Es ist meine tägliche Arbeit, Menschen aller Geschlechter auf ihrem Weg in ihre sexuelle Potenz zu begleiten. Außerdem arbeite ich mit meiner eigenen weiblichen Potenz. Das darf gern sehr weit und fantasievoll ausgelegt werden, das kommt der Wahrheit vermutlich am nächsten. Ich bin Sexarbeiterin und biete Einzelses­sions, Workshops und Coaching für Sexualität, BDSM und Bondage an. Spezialisiert habe ich mich auf die Arbeit mit Frauen.

Die Frauen, die zu mir kommen, sind potent. Sie bezahlen Geld, um sich den Weg zu ebnen für eine Zeit, die nur ihrer eigenen Lust gewidmet ist. Sie nehmen sich den Raum, in dem ich dafür da bin, ihre Wünsche zu erfüllen. Er ist extraordinär, aber auch nicht frei von der Geschichte dieser Frauen: Wenn Frauen zu mir kommen, die nach 25 Jahren Ehe den ersten Orgasmus mit einer anderen Person erleben als sich selbst, wenn sie überhaupt je einen hatten; wenn Frauen bei mir sind, die sich dafür entschuldigen, dass sie zugenommen haben; wenn Frauen zu mir kommen, die gar nicht wissen, was ihnen Lust bereitet, weil sie sich seit ihrer Pubertät um die Sexualität ihres zumeist männlichen Gegenübers gekümmert haben; wenn Frauen ihre Anatomie nicht kennen und ihre Vulva nie berührt haben, weil Selbstliebe weder in der Schule noch zu Hause auf dem Lehrplan stand, dann weiß ich: Es ist noch Luft nach oben.

Frauen, die ihre Sexualität leben, sind beängstigend, im besten Sinne

Zu mir kommen aber auch Frauen, derentwegen ich schon mit arbeitsbedingten Tennisarmen beim Orthopäden saß, weil sie sich wiederholt auf meiner Hand oder meinem Unterarm ergossen haben. Es kommen Frauen, die ganz genau wissen, wie und wie oft sie kommen und was sie dafür brauchen, die bei mir einfach einen weiteren Höhenflug in ihrem sexuellen Horizont finden. Ich darf dabei schwitzen, sie fesseln oder ihnen in anderer Art zu Diensten sein. Nymphomaninnen, die mehr als einen Fick brauchen, um überhaupt erst warm zu werden, sind keine Männerfantasie. Frauen, die ihre Sexualität leben, sind durchaus beängstigend, im besten Sinne. Frauen, die sexuell selbstbestimmt sind, sind unabhängig. Sehr scary. Für viele. Männer und Frauen.

„Ja“ zum weiblichen Sex

Flaßpöhler postuliert, dass „Nein heißt Nein“ nicht das Ende der Fahnenstange der weiblichen sexuellen Emanzipation ist. Das stimmt. Nur: Woher kommt die Angst vor dem beherzten „Ja“ von Frauen?

Ich frage aus existenziellem Interesse. Als Sexarbeiterin weiß ich, dass ich mich mit einem öffentlichen „Ja“ zu Sex (mit Männern und Frauen) mit mehr kulturellen Tabus anlege, als wenn ich mich züchtig oder streitbar verweigere. Die Frau, die Ja sagt zu ihrem Begehren und zu ihrer Lust, und zwar um ihrer selbst willen, ist für viele nicht denkbar. Das zeigt sich zum Beispiel in der aktuellen Gesetzgebung.

Seit Juli letzten Jahres ist das sogenannte Prostitutions„schutz“gesetz in Kraft. Dieses Gesetz zielt vor allem auf Ausgrenzung und die existenzielle Gefährdung von Sexarbeiter*innen. Mit der Einführung der Registrierungspflicht für Prostituierte ist nun gesetzlich definiert, wer als Sexarbeiter*in gilt: Selbst sexuelle Handlungen gegen geldwerte Zuwendungen, wie Geschenke, Übernachtung oder andere materiellen Vorteile, gelten als Prostitution. Dabei spielt die Regelmäßigkeit keine Rolle. Bereits eine einmalige sexuelle Handlung gegen „Taschengeld“, ein Abendessen oder Schmuck gilt rechtlich als Prostitution. Und erfordert formal eine Anmeldung als „Sexarbeiterin“ bei der Behörde – mit ihrem vollen Namen und der Angabe aller persönlichen Daten. Deutschland hat jetzt wieder eine Kartei der losen (weiblichen) Subjekte: Deutschlands Huren sind erfasst.

Aber der Kampf gegen Huren ist auch immer einer gegen promiskuitive Frauen. Das hat Geschichte. Nun gibt es selbst laut Gesetz kaum noch einen Unterschied zwischen einer „Schlampe“ und einer „Hure“. Zumindest, wenn frau sich in einer heterosexuell kodierten Anbahnungskultur bewegt, in der von Männern nach wie vor Initiative erwartet wird mit dem entsprechenden Werbeverhalten im Sinne von Schmuck oder Geschenken. Willkommen in 2018! Es ist keine gute Zeit für die sexuell potente Frau, die sich in der monogamen, dauerhaften Zweierbeziehung vielleicht langweilt.

Flaßpöhler wird als unsolidarisch erklärt, weil sie Frauen auffordert, mehr Verantwortung in Situationen zu übernehmen, die als übergriffig, unangenehm oder einfach als nicht erwünscht erlebt werden. Das heißt auf Deutsch: sich zu artikulieren und Grenzen zu setzen, charmant oder eben auch nicht. Was für eine Feministin wäre ich, wenn ich nicht daran glauben würde, dass Frauen das können?

Sex ist gefährlich

Sex, und das lassen Sie sich vom Profi gesagt sein, ist keine sichere Angelegenheit. Sex ist sogar ziemlich gefährlich und manchmal außer- und unordentlich. Sich verletzlich machen, intim werden ist nicht sicher. Auszudrücken, mehr Nähe zu wollen und damit leben zu können, dass dieses Begehr nicht erwidert wird, ist für fast alle Menschen destabilisierend.

Die potente Frau wird unsere Ordnung infrage stellen, deshalb geht es auch nicht reibungsfrei

Im intimen Kontakt verschwimmen Grenzen, auch darin liegt Wonne. Es gibt noch keine Schule, keine Kultur um die Frage, wie dieser Vorgang freudvoll gestaltet sein kann. Es gibt alte und langweilige Codes im heterosexuellen Kontext. Um den Preis, dass rückständige Rollenbilder sich endlos reproduzieren, werden diese wiederholt, um sich auf sicherem Terrain zu glauben. Übrigens auch von Frauen.

Es ist Arbeit, etwas Neues zu entwickeln. Mein Eindruck ist, dass alle ideologischen Debatten da enden, wo mein Leben beginnt: in der Praxis. Dazu gehört die Rede über die potente Frau. Sie wird unsere Ordnung infrage stellen, deshalb geht es auch nicht reibungsfrei.

Sexuelle Kommunikation ist mein Job. Gelungene sexuelle Dialoge sind das Ziel meiner Arbeit, das „Ja“ ist die Basis. Ich weiß aus vielen Jahren Erfahrung, wie anstrengend das sein kann. Es hat mich nicht nur mit zweifellos patriarchalen Strukturen konfrontiert, sondern auch zutiefst mein eigenes Verhalten infrage gestellt. Auch ich habe mich in der sexuellen Anbahnung immer wieder gefragt: Wie angepasst bin ich? Kann ich mich spüren? Wie oft lächle ich, um die Stimmung nicht kaputt zu machen, und finde mich anschließend trotzdem in einer Situation, die ich so nicht wollte?

Zu oft stand ich zögernd vor der Entscheidung, den nächsten Schritt zur Veränderung einer Situation herbeizuführen, die nicht meinen Vorstellungen entsprechend lief. Die Gründe für das Zögern: tief in den Körper eingeschrieben. Woher eigentlich? Wer impft uns weiblich sozialisierten Wesen so früh ein, dass wir im sexuellen Dialog gefallen wollen, anstatt uns auszudrücken? Zu ungewohnt, anstrengend, nicht weiblich, Angst, kein Gefühl – und dennoch möglich.

Good news! Sexuelle Kommunikation ist lernbar. Zu fühlen, zu zeigen und zu sagen, was ich will, ist geil. Empathie und Respekt sind heiß. Konsens ist sexy! Ich hab’s gelernt und gebe dieses Wissen großzügig weiter. Sexarbeit war mein Bootcamp für das gute Leben im Patriarchat.

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