Basisdemokratie bei den Grünen: Grüne bald in Reih und Glied?
Auf dem Parteitag will der Bundesvorstand die Hürden zur Mitbestimmung in der Basis erhöhen. Dagegen regt sich Widerstand.
Wer weiß, vielleicht wird er zumindest mit der letzten Forderung Erfolg haben. Im Sommer, bei der Aufstellung des Wahlprogramms, hatten sich die Grünen für Kampfdrohnen geöffnet – bei der entscheidenden Abstimmung aber nur mit einer hauchdünnen Mehrheit. Im Koalitionsvertrag ist die Bewaffnung nun zwar vereinbart. Ein Beschluss des SPD-Parteitags von vergangenem Dezember hat die Vereinbarung aber schon wieder infrage gestellt. Sollten die Grünen-Delegierten jetzt folgen, hätte die Ampel keine zwei Monate nach Amtsantritt den ersten Sand im Getriebe.
Karl-Wilhelm Koch, Dauerantragsteller
Würde, könnte, sollte: Natürlich kann es auch ganz anders kommen. Womöglich läuft alles im Sinne der Parteispitze und die Delegierten lehnen den Antrag ab. Darauf zählen kann aber niemand. Unberechenbarkeit macht Grünen-Parteitage schließlich aus, früher regelmäßig, heute zumindest gelegentlich.
Und in Zukunft? Geht es nach dem Bundesvorstand, dann wird es bei den Grünen demnächst noch vorhersehbarer zugehen. Mit einer Satzungsänderung will er die Zahl der Unterschriften vervielfachen, die ein Antrag braucht, um überhaupt auf dem Parteitag behandelt zu werden. Für einfache Mitglieder würde es schwieriger, eigene Themen zu setzen. „Ich sehe das als Versuch, die Möglichkeiten der Mitbestimmung in der basisdemokratischen Partei ‚Die Grünen‘ auszuschalten“, sagt Dauerantragsteller Koch.
Der sechsköpfige Bundesvorstand wird neu gewählt
Die Satzungsänderung ist natürlich nicht der einzige Tagesordnungspunkt auf dem digitalen Bundesparteitag, der am Freitag beginnt. Robert Habeck und Annalena Baerbock verabschieden sich von der Parteispitze. Der sechsköpfige Bundesvorstand wird neu gewählt. Eine Reihe inhaltlicher Anträge steht zur Abstimmung, neben denen zu Drohnen und Atombomben auch zwei zur EU-Taxonomie. Die Fehler im Wahlkampf werden ebenfalls Thema sein und wohl auch die Ermittlungen gegen den bisherigen Vorstand wegen womöglich zu Unrecht kassierter Coronaboni.
Allerdings ist die Satzungsänderung nicht weniger heikel als diese Themen, zumal die Parteispitze eine Zweidrittelmehrheit bräuchte, um ihre Vorstellungen durchzusetzen. Vor ein paar Jahren ist sie mit dem Ansinnen schon mal gescheitert. Jetzt startet der scheidende Bundesgeschäftsführer Michael Kellner, der als Staatssekretär ins Wirtschaftsministerium wechselt, bei seinem letzten Parteitag einen neuen Versuch.
Bisher muss ein Mitglied mindestens 20 Unterstützer*innen werben, um einen Antrag einreichen zu dürfen. Alternativ reicht auch das Votum eines einzelnen Ortsverbands. In Zukunft, so der Vorschlag des Vorstands, muss die Zustimmung zumindest von einem Kreisverband kommen – oder von 0,1 Prozent aller Parteimitglieder. Bei aktuell rund 125.000 Mitgliedern läge das Quorum aufgerundet also bei 130 Unterstützer*innen.
Kellner begründet das Vorhaben mit dem Mitgliederwachstum der Partei. Die bisherigen Regeln stammen aus der ersten Grünen-Satzung aus dem Jahr 1980, als die Partei 20.000 Mitglieder hatte. Zuletzt hat sich neben der Zahl der Mitglieder auch die der Anträge erhöht, beim Programmparteitag im Juni 2021 waren es über 3.000. Neben dem Wachstum der Partei könnte dabei auch eine Rolle spielen, dass sich Mitglieder durch das Internet heute leichter vernetzen können. „Es ist gut, dass wir Debatten haben. Aber die schiere Menge an Anträgen führt dazu, dass ich beim letzten Parteitag wahrscheinlich der Einzige war, der sie alle gelesen hat“, sagt Kellner. Gerade um weiterhin basisdemokratisch entscheiden zu können, muss die Partei demnach das Quorum erhöhen.
Die Parteispitze pokert aber bis auf Weiteres hoch
Ähnlich sieht es die Europaabgeordnete Hannah Neumann. Seit einem Jahr sitzt sie in der achtköpfigen Antragskommission, dem Gremium, bei dem alle Anträge zuerst landen. Vor dem letzten Parteitag war sie gut beschäftigt. „Ich habe meinen Job im Europaparlament in der Zeit zwar weitergemacht. Niemand von uns sitzt hauptamtlich in der Antragskommission. Aber es war schon ein sehr exzessives Hobby“, sagt Neumann.
Allein in das Thema der Drohnenbewaffnung habe sie damals mindestens 15 Stunden Arbeit gesteckt. Zig Anträge waren dazu eingegangen. Neumann hat alle gelesen, sie miteinander verglichen, Expertise eingeholt, Kompromissvorschläge formuliert, mit Antragsteller*innen telefoniert und Videokonferenzen abgehalten. Am Ende bekam sie von allen die Zustimmung, die Anträge auf drei Positionen herunterzubrechen: keine Bewaffnung der Drohnen, Prüfung von Einsatzszenarien vor einer Entscheidung oder Bewaffnung mit strengen Regeln. Diese drei Optionen kamen auf dem Parteitag zur Abstimmung.
„Die Antragskommission ist die Herzkammer unserer Parteidemokratie. Ich liebe diese Partei für ihre Beteiligungsmöglichkeiten“, sagt Neumann. „Aber über 3.000 Anträge so zu bündeln, dass die Delegierten die Übersicht behalten und sinnvolle Abstimmungen möglich bleiben, ist auf Dauer nicht zu leisten.“
Das Argument lassen auch an der Parteibasis viele gelten. Selbst Karl-Wilhelm Koch hält das Ansinnen der Parteispitze grundsätzlich für „nachvollziehbar“. Unverständlich ist für viele Mitglieder aber, warum die Bedingungen auf einen Schlag massiv verschärft werden sollen. Zum Antrag der Satzungsänderung sind von der Basis wiederum elf Änderungsanträge eingegangen, der erfolgreichste davon übrigens mit 81 Unterschriften. Einer fordert die Beibehaltung des bisherigen Quorums, andere schlagen einen behutsamen Anstieg vor: eine Hürde von 25, 30 oder 50 Anträgen.
Möglich, dass am Ende ein Kompromiss durchgeht. Die Parteispitze pokert aber bis auf Weiteres hoch. „Wir haben bewusst einen Vorschlag gemacht“, sagte Michael Kellner am Mittwoch, „den wollen wir auch zur Abstimmung stellen, damit die Versammlung in ihrer Weisheit entscheiden kann.“
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