Ballon-Konfrontation von China und USA: Kräftemessen am Himmel
China lässt einen Ballon über dem US-Gebiet fliegen, die USA schießen ihn ab. Beide Seiten demonstrieren damit ihre Macht – und die Anspannung wächst.
E s gibt viele Horrorszenarien für ein militärisches Kräftemessen zwischen der Volksrepublik China und den USA, die zu einem Krieg führen könnten: eine Marinekonfrontation im Südchinesischen Meer, ein militärischer Zusammenstoß über Taiwan oder auch ein massiver Cyberkrieg. All diese Szenarien wurden schon oft durchgespielt. Jetzt hat tatsächlich die US-Luftwaffe ein mutmaßliches chinesisches Militärgerät aus der Luft geholt. Zum Glück war es nur ein Ballon.
Was genau das für ein Ballon eigentlich gewesen ist, darüber gehen die Darstellungen auseinander. Fest steht, dass sein Abschuss für beide Seiten von Vorteil ist. China beweist, dass es über dem US-Gebiet Objekte herumfliegen lassen kann, die Washington in Alarmbereitschaft versetzen. Die USA beweisen, dass sie eine solche mutmaßliche Bedrohung problemlos neutralisieren können. Ob das Ding wirklich zur Spionage taugte, ist dabei nebensächlich. Seine öffentliche Zurschaustellung war eine Machtdemonstration Pekings. Seine öffentliche Zerstörung eine Machtdemonstration Washingtons.
Kann man also beruhigt zur Tagesordnung übergehen? Nicht unbedingt. Die Affäre hat den ersten Chinabesuch des US-Außenministers Anthony Blinken in letzter Minute sabotiert und damit auch die erhoffte Neuinszenierung von Gesprächsbereitschaft nach Jahren ständig wachsender Spannungen. Berichten zufolge war Joe Bidens Regierung der geplante Besuch wichtig, der Xi-Regierung hingegen sei er ungelegen gekommen. Wenn das stimmt, ist die Absage ein Punktsieg für China.
Und dass jetzt alle Welt über chinesische Spionageballons spricht, ist ein zweiter Punktsieg, denn es rückt einmal mehr Chinas militärische Stärke und ihre ungeahnte Reichweite ins Licht der internationalen Aufmerksamkeit. Außerdem ist der Einsatz dieser Geräte eine Warnung an kleinere Länder.
China könnte zum Schlag gegen Taiwan ausholen
All das geschieht ausgerechnet zu einem Zeitpunkt, da Russland seine Angriffe in der Ukraine massiv ausweitet und offenbar zu einem aus Moskauer Sicht finalen Schlag gegen den unbotmäßigen Nachbarn ausholen will – einem Schlag, auf den der kollektive Westen wieder mal zu zögerlich reagieren wird. Das chinesische Ablenkungsmanöver spielt Moskau in die Hände.
Und wenn Russland es doch noch trotz der immensen eigenen Verluste schafft, die Ukraine zu vernichten, könnte als Nächstes China zum Schlag gegen Taiwan ausholen. Vielleicht schon in zwei Jahren – so lauten derzeit die pessimistischeren Prognosen in Washington. Der chinesische Ballon war aus dieser Sicht ein Testballon: Mal sehen, wie Joe Biden reagiert. Diesen Test hat er bestanden. Gerade noch.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Verkauf von E-Autos
Die Antriebswende braucht mehr Schwung
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Warnstreiks bei VW
Der Vorstand ist schuld
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht
Die HTS in Syrien
Vom Islamismus zur führenden Rebellengruppe