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Baldiges Ende der ImpfpriorisierungDie Geduldsprobe

Am 7. Juni wird die Impfpriorisierung aufgehoben. Kurzzeitig dürfte das zu Chaos führen, langfristig aber eine ganz andere Situation schaffen.

Keine Ente: Bis Ende Juni werden Lieferungen von mindestens 40 Millionen Impfdosen erwartet Foto: Sebastian Gollnow/ dpa

Einige Ärztinnen und Ärzte sind schon jetzt am Limit. „Wir können nicht mehr und sind 100 % total erledigt“, schreibt etwa Helma Hesse aus einer Berliner Praxis in einer Rundmail an ihre Patient*innen. Der Ansturm auf Corona-Impfungen und der damit verbundene Aufwand seien nicht mehr zu schaffen. Darum müsse man „alle restlichen Patienten bitten, die auf unserer Voranmeldungsliste stehen, sich woanders Impftermine zu holen“.

Auch wenn wir die Priorisierung aufheben, wird nicht jeder direkt einen Impftermin bekommen können

Gesundheitsminister Jens Spahn

Ein solcher völliger Rückzug aus der Impfkampagne dürfte eine Ausnahme sein. Doch großer Stress herrscht in vielen Praxen. „Wir sind kaum noch erreichbar, weil das Telefon praktisch nicht stillsteht“, sagt der Berliner Hausarzt Peter Berning. Und das dürfte sich in den nächsten Wochen noch verstärken. Denn ab 7. Juni wird die sogenannte Impfpriorisierung aufgehoben, hat Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) am Montag angekündigt. Von da an kann sich also jeder ohne besondere Voraussetzungen bei seinem Hausarzt oder im Impfzentrum um einen Termin bemühen.

Dass das zunächst zu Stress und Frust führen kann, ist auch dem Minister klar. „Wir werden Geduld brauchen“, sagte er. „Auch wenn wir die Priorisierung aufheben, wird nicht jeder direkt einen Impftermin bekommen können.“ Zudem sorgt die Ankündigung für Sorge bei denen, die zu einer der Prioritätsgruppen gehören, aber noch keinen Impftermin in Aussicht haben. In Nordrhein-Westfalen etwa ist in vielen Impfzentren derzeit erst die zweite Prioritätsgruppe dran. Wer zur dritten Gruppe gehört – das sind unter anderem 60- bis 70-Jährige sowie Berufsgruppen mit vielen Kontakten –, wird derzeit noch vertröstet.

Liefermengen für Praxen stehen im Juni noch nicht fest

Doch es ist absehbar, dass sich die Lage jetzt schnell bessert. Allein in den drei verbleibenden Wochen bis zur Freigabe für alle werden noch rund 15 Millionen Dosen erwartet; zunächst wird davon zwar noch ein großer Teil für Zweitimpfungen benötigt, doch ab Juni sollte sich das ohnehin schon hohe Impftempo noch einmal stark beschleunigen – und es sollten auch wieder viele Erstimpfungen stattfinden. Die Impfzentren erhalten dann wie bisher rund 2,5 Millionen Impfdosen pro Woche, müssen also im Schnitt 360.000 Impfungen pro Tag durchführen.

Impfschutz bei Mutanten

Entwickelt wurden die bislang zugelassenen Impfstoffe gegen die Wildform des Coronavirus. Doch längst bestimmen Mutanten die Pandemie. Die gute Nachricht: Alle zugelassenen Impfstoffe schützen vor schwerem oder tödlichem Krankheitsverlauf. Das Robert Koch-Institut (RKI) geht davon aus, dass die Wirksamkeit des Biontech-Impfstoffes bei der erstmals in Großbritannien aufgetauchten Variante B.1.1.7 nicht sonderlich abgeschwächt ist und das Präparat von AstraZeneca nur „etwas weniger effektiv“ wirkt. Ähnlich sieht es bei der erstmals in Südafrika aufgefallenen Variante aus und bei der in Indien derzeit grassierenden Variante B.1.617. Für die Bewertung der Mutante aus Indien liegen allerdings noch keine gesicherten Daten vor. (flee)

Bei den Ärzten dagegen steigt die Zahl deutlich an: Allein vom Biontech-Impfstoff erhalten sie dann pro Woche rund 3,6 Millionen Dosen – und damit mehr als doppelt so viele wie im Mai. Wenn statt der vorgesehenen sechs Dosen pro Behälter sieben aufgezogen werden, was in vielen Praxen geschieht, können bis zu vier Millionen Menschen pro Woche geimpft werden. Dazu kommen noch die Impfstoffe von AstraZeneca und Johnson & Johnson, deren Liefermengen für die Praxen im Juni noch nicht feststehen.

Insgesamt werden bis Ende Juni Lieferungen von mindestens 40 Millionen Impfdosen erwartet – und damit etwa so viele, wie seit Beginn der Impfkampagne Ende Dezember bisher insgesamt in Deutschland verimpft wurden. Das entspricht etwa 900.000 Impfungen pro Tag – und damit noch mal 30 Prozent mehr als die rund 700.000 Impfungen, die in der letzten Woche im Schnitt pro Tag stattfanden.

Ein Großteil der Arbeit entfällt auf die Terminvergabe

Die Haus­ärz­t*in­nen müssen diese deutlich größere Menge nicht allein schultern – auch in Betrieben darf von Juni an geimpft werden. Doch auch in den Praxen dürfte die Zahl der Impfungen noch einmal deutlich steigen. Die Kassenärztliche Vereinigung begrüßt die Pläne dennoch. „Es ist richtig, so viele Menschen so schnell wie möglich zu impfen und folglich die Priorisierung aufzuheben“, erklärte der Vorsitzende Andreas Gassen.

Auch der Berliner Hausarzt Peter Berning sieht die Entscheidung positiv. Ein Großteil der Arbeit in den Praxen entfalle auf die Terminvergabe, die durch die Priorisierung bisher aufwendiger sei – zumal immer erst wenige Tage im Voraus bekannt sei, wie viel Impfstoff geliefert werde, und dann die entsprechenden Listen abtelefoniert werden müssten. „Das wird jetzt einfacher, wenn wir jeden impfen dürfen.“

Dass trotz der großen angekündigten Liefermengen in vielen Praxen und Impfzentren in den nächsten Wochen keine Termine verfügbar sind, dürfte daran liegen, dass diese teils erst dann vergeben werden, wenn die Lieferungen sicher sind. Zudem zeichnen die langen Wartelisten, die in vielen Praxen existieren, vermutlich nicht immer ein reales Bild – denn einige Menschen dürften sich in mehreren Arztpraxen parallel um einen Termin bemühen.

Herausforderung, genug Impfwillige zu finden

Insgesamt sind die Perspektiven trotz der frustrierenden Erfahrungen, die viele Impfwillige derzeit machen, jedenfalls nicht schlecht: Wenn alle Lieferungen wie geplant kommen und komplett genutzt werden, sind bis Ende Juni rund 30 Millionen Menschen vollständig geimpft; weitere 20 Millionen müssten bis dahin ihre Erstimpfung erhalten haben. Zusammen entspricht das in etwa 60 Prozent der Bevölkerung.

Für die sogenannte Her­den­immunität langt das vermutlich noch nicht – aufgrund der stärker ansteckenden Mutationen halten Ex­per­t*in­nen dafür inzwischen einen Wert von 80 Prozent für erforderlich. Dabei wird die Herausforderung dann aber nicht mehr sein, alle Impfwilligen zu versorgen, sondern genug Impfwillige zu finden – selbst wenn vom Sommer an auch Jugendliche und später auch Kinder geimpft werden dürfen.

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18 Kommentare

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  • .Die Älteren, die so doof sind, Astrazenica abzulehnen und Moderna oder Biontech verlangen, nehmen den Jüngeren asozialerweise die Impfmöglichkeit weg. - Sehr viele Hausärzt:innen schieben dem dankenswerterweise einen Riegel vor: Die Priorisierung hört da auf , wo das Wunschkonzert beginnt.

  • Selbst wenn Deutschland mit dem Impfen gewartet hätte bis sie Impfstoff für 80 Millionen Bürger haben und dann auf 1 Woche Impfen würden, würden wir Diskutieren wer am Montag drankommt und wer am Sonntag.

    • @Günter Witte:

      Wir diskutieren aber nicht mehr. Alle die ein erhöhtes Risiko haben durch eine Erkrankung werden nun im Stich gelassen! Prio3 heißt verarscht zu werden! Ein halbes Jahr geduldig zu warten und dann im Stich gelassen zu werden!

  • Ach ja, ein schönes Beispiel von ablenkender Politik aus dem Hause Spahn. Da wird also Impffreiheit verkündet, ohne das die nötigen Mengen absehbar zur Verfügung stehen. Die Prognosen der Mengen ab Juni sind, das wissen wir aus früheren Tagen, kaum realitätstüchtig. Zweitens werden die Hausärzte von 'guten Feunden', 'Verwandten' und allerlei Mr. Wichtigs heimgesucht werden, um vorne auf die Impfliste zu kommen. Es geht schließlich um den Urlaub auf den Malediven usw. Sollen doch die im personenbezogen Dienstleistungsbereich Tätigen schauen, wo sie bleiben - und Opa und Oma haben sowieso das beste schon hinter sich (Siehe Grünen Palmer). Zynismus beiseite, es ist absehbar, wann die ersten Ärzte auffliegen werden, die sich bestechen lassen, um die Listen zu schönen. Niemand kontrolliert dies ernsthaft und so setzte sich das Klassenprinzip wieder mal durch.....

  • „Auch wenn wir die Priorisierung aufheben, wird nicht jeder direkt einen Impftermin bekommen können.“

    Bedeutet das nicht, dass nun zuerst die Privatpatienten geimpft werden?

    • @Bee67:

      Ich glaube, das liegt im Ermessen der Ärzte.

      In meiner Hausarztpraxis etwa wird die Priorisierung nicht aufgehoben und die bestehende diesbezügliche Liste erst abgearbeitet.

      Dazu muss ich sagen, dass das Team dort sowohl das Telefon wie auch den E-Mail-Verkehr abgeschaltet hat, weil sich tägliche hunderte melden mit der Frage nach Impfterminen.

      Ist alles noch nicht aus einem Guss.

    • @Bee67:

      "Bedeutet das nicht, dass nun zuerst die Privatpatienten geimpft werden?"



      Warum?

  • Die USA "ersaufen" im Impfstoff und in Europa wie im überwiegenden Rest der Welt fehlt Impfstoff an allen Ecken und Enden.



    Die USA glänzen mit ihrer Werbung, großzügig Impfstoff abgeben zu wollen, was die EU eigentlich permanent tut, sie verteilt Impfstoff auf Kosten zu Lasten ihrer eigenen Bürger.



    Ich denke der EU Bürger sollte die selbstlose Verteilungspolitik der Kommissionspräsidentin, der Deutschen und CDU Politikerin Frau Von der Leyen, zu Lasten des EU Bürgers, erkennen. Zuerst nicht der Mensch, sondern die



    Exportwirtschaft getriebene , vor allem Deutsche Außenpolitik.



    Wenn der Deutsche Wirtschaftsminister in Taiwan den Mangel an Microchips der Deutschen Autoindustrie beheben will, so wird eben Biontech als Gegenleistung dort hin geliefert. Wen interessiert da der einfache Bürger der dafür seinen Hals riskiert weil kein Impfstoff vorhanden ist. Und das Versagen des Profit getriebenen Kapitalismus, der eben keine eigene Chip Produktion mehr besitzt weil diese infolge Profitgier ausgelagert ist, wie auch bei vielen anderen lebenswichtigen Produkten, wird peinlichst ruhig gehalten.

    Die Fehler, gleich die ganze Impfproduktion rechtzeitig zu kaufen, im in Deutschland entwickelten Biontech Lager,



    was sogar der viel geschmähte Donald Trump mit seinem Experten Fauci zustande brachte, dieses Versagen, oder diese Compliance eines stillen Agreements, setzt uns jetzt dem Trommelfeuer der versagenden, oder willfährigen Politik aus, die mit allen Mitteln versucht eben von dem Mangel abzulenken.



    Bringen wir es auf einen Nenner: es ist nicht genug Impfstoff vorhanden! Punkt. Und die Frage stellt sich: warum ist in den USA genug Impfstoff vorhanden und warum wird mit allen Tricks der Bürger in der EU hingehalten?

    Könnte es möglich sein, das sogar das kleine sozialistische Kuba, das jetzt einen eigenen Impfstoff entwickelt hat, sogar die EU noch überholt weil sie den Menschen mehr Beachtung schenken als dem eigenen Vorteil?

    • @Thomas Rausch:

      ihnen ist aber schon klar, dass exportierter Impfstoff nicht ins Meer geschüttet wird, sondern exakt genau wie hier Menschenleben rettet?



      Diesen lustigen Mix aus Trump und Kuba-Faszinosum und eine daraus konstruierte Solidarität in nationalen Grenzen verstehe ich eher nicht.

      • @relation:

        Erst sich selbst und dann anderen helfen ist überall üblich weil auch rational richtig. Denken Sie an die Sicherheitseinweisung im Flugzeug. Die Sauerstoffmaske wird erst sich selbst angelegt und dann erst Hilfsbedürftigen und Kindern. Und in jedem Erste-Hilfe-Kurs lernen Sie: Eigensicherung geht vor - niemand muss sich selbst gefährden um anderen zu helfen.

        • @Sylkoia Sal:

          korrekt!

        • @Sylkoia Sal:

          Ihre Beispiele hinken hier gewaltig. Die Sauerstoffmaske übers eigene Gesicht dient dazu in der Lage zu sein sie anderen überzuziehen. Können Sie erklären inwiefern das Impfen von zwanzigjährigen US-Amerikanern oder bald auch EU-Bürgern dazu nötig ist 80jährige in Afrika zu impfen?



          Eben.

          • @relation:

            weil derzeit nur die USA und die EU in der Lage sind die modernsten RNA Impfstoffe her zu stellen.

            Indien hat nicht mal genug Kapazitäten für sich selbst.

            Je eher die Industriestaaten wieder normal funktionieren, desto eher können wir mir aller Kraft anderen helfen.

            Es hilft niemand irgendwo in der Welt einstellige Prozent einer Bevölkerung zu impfen... außer man ist ein Virus und möchte mutieren

    • @Thomas Rausch:

      Ach wissen Sie, solange nicht in der ganzen Welt nicht geimpft wird, müssen Sie sich keine Sorgen machen,das eine neue Variante nach Europa kommt. Dieses Eurozentrische Gejammer ist wirklich nervig.

    • @Thomas Rausch:

      "den Mangel an Microchips der Deutschen Autoindustrie beheben will, so wird eben Biontech als Gegenleistung dort hin geliefert."

      selten so einen Mist gehört! die Deutsche Industrie hat ihre Lose storniert. Auf den Maschinen läuft jetzt halt was anderes, Oder es wurden neue Maschinen für kleinere Strukturen hin gestellt: an Handychips verdient man mehr! auf die 100Mio Chips der Autoindustrie ist die Chipfertigung nicht angewiesen. Das sind Peanuts! Sowas passiert halt wenn man die eigene Fertigung die man noch vor 20 Jahren hatte dem Gewinnstreben opfert. Sagt danke zu den Managern! die Teilen sicher das Geld mit euch in der Kurzarbeit

      "warum ist in den USA genug Impfstoff vorhanden"

      www.dkriesel.com/_.../coronaplot-us.png

      die USA hat ~45% geimpft. Man hat halt eigene Fabriken und nur im, aber nicht exportiert. Aus den Pfizer Werken in den Niederlanden gingen Flüge organisiert von der AirForce direkt nach USA.

      PS: großzügig Impfstoff abgeben. Wenn man irgendwo auf der Welt nur einstellige % einer Bevölkerung impfen kann, fördert das nur Mutanten. Das ist nicht human, Das ist dumm. Erst mal sollten wir durchimpfen, und dann nach Verfügbarkeit immer ganze Länder

  • 4G
    4813 (Profil gelöscht)

    Natürlich muss man soviele wie möglich impfen. Allerdings setzen sich jetzt schon die Stärkeren durch

  • RS
    Ria Sauter

    Ja, auch u nsere Ärztin zieht sich vom Impfen zurück. Zuviel Termine, zuwenig Impfstoff.



    Das heisst, wir 70 und 63 können mit der Suche wieder von vorne anfangen.



    Das läßt nichts Gutes hoffen sondetn deutet auf Chaos hin.

    • @Ria Sauter:

      Das verstehe ich nicht. Über 60jährige können sich überall problemlos impfen lassen, auch in den Impfzentren. Wo wohnen Sie denn?