BKA-Zahlen zu Brandanschlägen: Wer war es, wenn es brennt?
378 politische Brandanschläge zählt das BKA seit 2018 – und fast alle von links. Die Linke kritisiert, die Polizei sei „auf dem rechten Auge blind“.
![Das durch einen Brandanschlag zerstörte Restaurant in Ganderkesee Das durch einen Brandanschlag zerstörte Restaurant in Ganderkesee](https://taz.de/picture/4688290/14/26366376-1.jpeg)
Auf der anderen Seite brannten zuletzt zehn Transporter auf dem Gelände der Aufnahmebehörde in Braunschweig, auch hier mit Schaden von einer halben Million Euro. „Wir haben das mörderischen Abschiebesystem angegriffen“, heißt es in einem Bekennerschreiben auf dem linken Indymedia-Onlineportal.
Alles Einzelfälle? Oder Teil größerer Serien? Das Bundesinnenministerium legt nun auf eine Linken-Anfrage Zahlen zu politisch motivierten Brandanschlägen für die Jahre 2018 und 2019 vor und sieht ein deutliches Ergebnis. Von den 378 beim Bundeskriminalamt erfassten Anschlägen werden 308 linken Tätern zugerechnet. Nur 17 Taten sollen von Rechtsextremen verübt worden sein. Dazu kommen 20 Anschläge aufgrund „ausländischer Ideologie“ und vier durch „religiöse Ideologie“. 29 Anschläge ließen sich politisch nicht klar zuordnen. Zahlen für 2020 liegen noch nicht vor.
Die linken Brandanschläge wurden dabei vorrangig in Berlin, Leipzig oder München verübt, immerhin 17 aber auch in Kerpen am Hambacher Forst. Die Brände in Leipzig richteten sich zuletzt etwa gegen die Polizei oder Bauprojekte, die für eine Gentrifizierung verantwortlich gemacht werden. Andernorts brannten Autos von Sicherheitsfirmen oder AfD-PolitikerInnen.
Nur 17 Brandanschläge von rechts?
Bei den 17 rechtsextremen Angriffen erfolgten sechs auf Asylunterkünfte. In vier Fällen wurden insgesamt 12 Tatverdächtige ermittelt, die meisten waren polizeibekannt. Einer von ihnen war Mitglied der NPD, ein anderer bei den Identitären. Die Bundesanwaltschaft hatte zwölf der rechten Anschläge geprüft – letztlich aber keinen an sich gezogen.
Die Innenminister und der Verfassungsschutz hatten bereits zuletzt vor einer „Radikalisierung im Linksextremismus“ gewarnt. Die Straftaten würden „zunehmend aggressiver, gezielter, enthemmter“. Es bildeten sich klandestine Kleingruppen, die ganze Tatserien begingen. Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD) prüft derzeit ein Verbot von Antifagruppen, die als gewalttätig eingestuft werden.
„Wahrnehmungsproblem bei rechten Tathintergründen“
Die große Diskrepanz zwischen den rechts- und linksextremen Anschlägen aber macht die Linken-Innenexpertin Martina Renner, die die Anfrage stellte, stutzig. Sie spricht von teils „nicht nachvollziehbaren und fragwürdigen Einordnungen“, die überprüft werden müssten. So habe die Polizei wiederholt bei Brandanschlägen gegen Migranten vorschnell ein rechtes Motiv ausgeschlossen. Renner verweist auf den Angriff auf eine Unterkunft in Schwabach im Juni 2018. Oder auf den Brandanschlag auf eine syrische Familie in Magdeburg im Februar 2019. Dort habe die Polizei – erfolglos – im Umfeld der Familie ermittelt. Auch der Anschlag werde aber weiterhin nicht als rechtsextrem geführt.
„Offenbar gibt es ein Wahrnehmungsproblem, was rechte Tathintergründe angeht“, kritisiert Renner. „Die Behörden sind auf dem rechten Auge blind. Eine Entpolitisierung der Straftat passiert oft viel zu früh und ist ein Schlag ins Gesicht der Betroffenen.“
Im Fall der Brandserie im Bremer Umland kritisieren auch Opferberatungsstellen und der Flüchtlingsrat Niedersachsen, dass die Ermittlungsbehörden „nicht konsequent von rechten Motiven und einer rechtsextremen Anschlagsserie ausgehen“. Dass dies trotz teils gesprühter rechter Symbole geschehe, sei „überhaupt nicht nachzuvollziehen“. Ihre Mahnung: „Betroffene werden dann geschützt, wenn rechte Netzwerke zerschlagen und Straftaten konsequent verfolgt werden.“
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