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Autofikionaler Spielfilm „Futur Drei“Von hier und doch fremd

Der Regisseur Faraz Shariat erzählt in seinem Debutfilm „Futur Drei“ wie es ist, jung zu sein, schwul und das Kind iranischer Eltern in Deutschland.

Hat viel selbst erlebtes in seinen Film eingebracht: Regisseur Faraz Sahriat Foto: Edition Salzgeber

Bremen taz | „Wer ist denn der Deutsche?“ Das fragen die jungen Iraner*innen im Heim für Geflüchtete, als sie ihn zum ersten Mal sehen – und sprechen hören: An Parvis’ (Benjamin Radjaipour) schlechtem Farsi erkennen sie den Angehörigen der zweiten Generation vom Emigrant*innen. Und als Parvis später in einer Schwulenbar mit einem jungen Mann flirtet, tauscht der zuerst Zärtlichkeiten mit ihm aus. Als er sich ihn genauer angesehen hat, fragt er aber in einem alles andere als freundlichen Ton: „Wo kommst du eigentlich her?“

„Seit wir hier sind, habe ich das Gefühl, alles immer doppelt zu erleben: Als die, die ich hätte sein können, und die, die ich bin.“ Mit Sätzen wie diesen bringt Regisseur Faraz Shariat, Jahrgang 1994, das Leben dazwischen auf den Punkt. Sagen lässt er sie eine junge, in Deutschland lebende Iranerin. Aber ganz offensichtlich beschreiben sie auch sein eigenes Lebensgefühl

„Futur Drei“, der kommende Woche anläuft, vorher aber unter anderem schon beim Hamburger Reeperbahn-Festival zu sehen ist, ist ein autobiografischer Film, obwohl Shariat selbst ihn „autofiktional“ nennt: Das Drehbuch schrieb er mit dem selbst auch mitgegründeten Kollektiv „Jünglinge Film“; es flossen also auch die Erfahrungen anderer mit ein. Aber der Film beginnt mit einem VHS-Video, einem Homemovie, das Shariats Eltern gedreht haben: er als Kind im Vorschulalter, in einem Sailor-Moon-Kostüm he­rumtanzend.

Die Eltern des Regisseurs spielen in „Futur Drei“ dann auch die Eltern von Hauptfigur Parvis, und die Ausgangssituation der Handlung hat er selbst so erlebt: So wie Parvis wurde auch Shariat als Jugendlicher beim Klauen erwischt und musste 120 Sozialstunden als Übersetzer in einem Wohnprojekt für Geflüchtete abarbeiten. Und dort machte er dann ähnliche Erfahrungen wie nun sein Protagonist.

Kinostart und Previews

Donnerstag, 24. September. (Vorab-)Vorstellungen mit Gästen gibt es am Donnerstag, den 17. September, 19 Uhr, in den Zeise-Kinos, Hamburg; Freitag, den 18. September, 20 Uhr, Thega Filmpalast, Hildesheim; Freitag, den 25. September, 20 Uhr, Bremen, City 46.

Parvis lebt seine Homosexualität offen aus, es gibt im gesamten Film keine Szene, in der er sich etwa mit aggressiver Schwulenfeindlichkeit auseinandersetzen muss. Nicht nur auf dieser Ebene entwirft Shariat hier ein Gegenbild zu etlichen vorherrschenden Klischees, etwa von unbegleiteten jungen Flüchtlingen aus muslimischen Ländern. Auch gegen den nicht nur subtilen Rassismus der Deutschen kann Parvis sich gut wehren: Als einer seiner deutschen One-Night-Stands sagt, als Kompliment gemeint, für einen „Ausländer“ sei Parvis ja überraschend wenig behaart, nennt dieser ihn eine „junggebliebene Kartoffel“ – und rauscht ab.

Hätte Shariat, der in Hildesheim queer-feministische Filmtheorie, Populäre Kultur und Kulturwissenschaft studiert hat, nur Parvis’ Geschichte erzählt: Er wäre wohl in eine andere Klischeefalle getappt. Leicht hätte der Film zu einer selbstverliebten Nabelschau werden können. Diese Gefahr thematisiert Shariat sogar: Irgendwann sagt eine Figur, jemand sehe aus wie „in einem kitschigen Coming-of-Age-Film“.

Doch es geht – wenn man will, auch im Titel schon angedeutet – um eine Dreiecksgeschichte: Als sich Parvis während seiner Sozialstunden in einen jungen Iraner Amon (Eidin Jalali) verliebt und auch Freundschaft mit dessen älterer Schwester Banafshe (Banafshe Hourmazdi) schließt, weitet sich der Horizont. Das macht Perspektivwechsel möglich, so kann Parvis etwa durch die Augen anderer gezeigt werden. Oder Einblick geben ins Lebensgefühl einer jungen, modernen Iranerin, die seit Jahren in Deutschland lebt, und trotzdem immer noch damit rechnen muss, abgeschoben zu werden.

Auch hier wird die Geschichte nie melodramatisch überhöht. Stattdessen hat Raquel Molt – einst Kommilitonin Shariats und Teil von „Jünglinge Film“ – eigene, einem mit indisch-nepalesisch-deutschen Hintergrund geschuldete Erfahrungen einfließen lassen. Da lädt dann ein Migrant der zweiten Generation die Protagonistin zum Essen ein, weil er ihre westlich moderne Lebensart für attraktiv hält – bestellt dann aber ganz selbstverständlich für beide, ohne sie nach ihren Wünschen zu fragen. Das ist nicht ausgedacht, sondern erlebt.

Stilistisch traut sich Shariat einiges. Er inszenierte einerseits zum größten Teil in einem naturalistisch, quasi-dokumentarischen Stil, drehte etwa nur an Originalschauplätzen in Hildesheim, setzte viele Laiendarsteller*innen ein und achtete beim Casting auch noch darauf, dass die Darsteller*innen möglichst ähnliche Erfahrungen gemacht haben wie die von ihnen gespielten Figuren.

Ein Stilbruch: Für einen kleinen, aber entscheidenden Kurzauftritt wurde Jürgen Vogel gewonnen, da setzte Shariat statt auf authentisch wirkende Verkörperung also auf die Bekanntheit eines deutschen Stars. Einem Jürgen Vogel sagt man wohl nicht ab, aber dem Film genützt hat er wohl höchstens auf dem roten Premieren-Teppich bei der Berlinale.

Der Film

Futur Drei“. Regie: Faraz Shariat. Mit Benjamin Radjaipour, Banafshe Hourmazdi u. a. D 2020, 92 Min.

Andere Brüche sind Shariat dagegen besser gelungen. So wechselt er oft unvermittelt vom realistischen Filmbild zu bunten, schnell geschnittenen und extrem stilisierten Montagen, die an Musikvideos erinnern. Shariat selbst nennt „Pop- und Werbeinszenierungen von Rihanna, Solange und Childish Gambino“ als Inspirationen; ein Versuch, sich den Bil­derwelten anzunähern, in denen sich seine Protagonist*innen zu Hause fühlen würden. In einer Montage präsentiert er in einem großen Panoramablick Momentaufnahmen etlicher Menschen mit Migrationshintergrund und anderer Persons of Color – das wirkt wie ein Akt des Empowerment, der Ermächtigung.

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1 Kommentar

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  • Das Problem bei dieser Art des gut gemeinten Castings ist: Möglichst ähnliche Erfahrungen gemacht zu haben wie die zu spielenden Figuren, ist nicht genug.

    Überzeugend darstellen können Schauspieler*innen nur solche Erlebnisse, die sie auch reflektiert haben, wenigstens in einem gewissen Maß. Denn nur, wer sich des Erlebten halbwegs bewusst ist, auch in seiner Tragweite, kann die damit verbundenen Emotionen künstlerisch kreativ bearbeiten, sie so weit abstrahieren, dass aus der persönlichen Erfahrung eine universelle wird. Eine, die viele Zuschauer*innen nachempfinden können.

    Aber klar: Den meisten Konsumenten genügt es schon, wenn sie dem Gesicht auf der Leinwand einen Namen und ein paar „facts“ zuordnen können, je nach Geschmack und Sozialisation wahlweise aus dem Filmlexikon oder der Boulevardpresse. Stars sind in sofern immer eine sichere Bank und kein „Stilbruch“. Man will ja schließlich nicht nur von eitlen Jurymitgliedern beklatscht werden. Leben muss man auch von was.

    Übrigens: Um das Gefühl zu haben, “alles immer doppelt zu erleben“, einmal als „die, die [man] hätte sein können“, und einmal als „die, die [man ist]“, muss man weder im Ausland geboren noch lesbisch sein. Man muss nur ungefähr genau so weit an den Rand gedrückt worden sein von seinen Mitmenschen, wie eine iranische Migrantin - und es kapiert haben. Und zwar, obwohl es nicht das Aussehen oder die Sprache ist, die einen „anders“ macht, sondern „nur“ die Fähigkeit, die eigenen Gefühle halbwegs klar und schonungslos analysieren zu können.

    Aber Achtung: Wer diese Kunst selbst nicht beherrsch (und sie auch nicht erlernen will), sollte sich vorsehen. Leuten, die zur Selbstanalyse fähig sind, mit Schlagworten wie “Empowerment“ zu kommt, ist riskant. Zweideutige Reaktionen sind nämlich nicht ausgeschlossen. Man lädt Personen, die man - ohne zu wissen wieso - für attraktiv hält, nicht ungestraft ein und behandelt sie dann wie ein x-beliebiges Dummchen.

    Ausgedacht? Nein. Mehrfach erlebt.