Auto fährt in Demonstration: Schock und Trauer in München
Nach dem mutmaßlichen Anschlag mit 28 Verletzten steht die Landeshauptstadt unter Schock. Die Union erneuert ihre migrationspolitischen Forderungen.
![Bayerns Ministerpräsident Markus Söder und Dieter Reiter stehen vor dem abgesperrten Auto, das für die Tat benutzt wurde Bayerns Ministerpräsident Markus Söder und Dieter Reiter stehen vor dem abgesperrten Auto, das für die Tat benutzt wurde](https://taz.de/picture/7530477/14/37668070-1.jpeg)
Das Auto war am Donnerstagvormittag in eine Demonstrationsgruppe gerast. Die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi hatte zum Protest aufgerufen. Nach vorläufigen Angaben wurden 28 Menschen verletzt, darunter zwei sehr schwer. Auch Kinder sind unter den Opfern. Alle Hinweise deuten darauf hin, dass es ein Anschlag war, auch die Behörden gehen davon aus.
Die Polizei hat den Fahrzeugführer am Tatort festgenommen. Bei ihm handelt es sich offenbar um den afghanischen Staatsbürger Farhad N. Der Spiegel berichtet, der Tatverdächtige habe in der Vergangenheit islamistische Posts abgesetzt. Gesichert ist, dass er 2016 als Flüchtling nach Deutschland kam, sein Asylantrag wurde vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) aber abgelehnt. Zuletzt soll er mit einer Duldung hier gelebt haben. Das Bamf wollte sich auf taz-Anfrage zunächst nicht zu dem Fall äußern. N. ist – anders als ursprünglich angegeben – nicht polizeibekannt wegen Drogendelikten und Ladendiebstählen. Er tauchte in entsprechenden Verfahren nur als Zeuge auf, weil er als Ladendetektiv gearbeitet hat.
Ein Sprecher der Generalstaatsanwaltschaft München bestätigte der taz, dass die bayerische Zentralstelle für Extremismus und Terrorismus die Ermittlungen übernommen hat. Es gebe „Anhaltspunkte für einen extremistischen Hintergrund“ der Tat. Zu möglichen islamistischen Posts des Verdächtigen sagte der Sprecher nichts. Der für schwere staatsgefährdende Straftaten zuständige Generalbundesanwalt hat den Fall bei Redaktionsschluss noch nicht an sich gezogen.
Union erneuert Forderungen
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) äußert sich am Donnerstagnachmittag knapp zu dem Vorfall, den er als „furchtbar“ bezeichnet. Der Täter „muss bestraft werden, und er muss das Land verlassen“, so Scholz. Die Bundesregierung plane weitere Abschiebeflüge nach Afghanistan.
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) sagt am frühen Donnerstagnachmittag: „Jetzt geht es darum, Leben zu retten und alle Hintergründe aufzuklären.“ Es brauche nun die Härte des Rechtsstaats: „Wir haben die Gesetze für die Ausweisung von Gewalttätern und für mehr Abschiebungen massiv verschärft, jetzt müssen sie mit aller Konsequenz durchgesetzt werden.“ Als einziger Staat in Europa schiebe Deutschland nach Afghanistan ab. „Wir werden das weiter tun“, so Faeser. Sie wird am Donnerstagabend in München erwartet.
Auch Unionskanzlerkandidat Friedrich Merz äußert sich: „Die Sicherheit der Menschen in Deutschland wird für uns an erster Stelle stehen“, schreibt er auf X. „Wir werden Recht und Ordnung konsequent durchsetzen.“ Und: „Es muss sich etwas ändern in Deutschland.“ Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) spricht direkt am Ort des Geschehens. Auf der Straße, im kalten Münchner Nieselregen, stellt er den Vorfall in eine Reihe mit vorangegangen Fällen: „Wir hatten im Januar Aschaffenburg und nun München.“ Er spricht von „Betroffenheit, die wir alle spüren“ und von „Entschlossenheit“, die man zeigen müsse. „Es reicht einfach.“
In Aschaffenburg hatte ein wohl psychisch kranker Asylbewerber aus Afghanistan ein Kleinkind und einen Erwachsenen erstochen und zwei weitere Personen verletzt. Danach hatte die Union erstmals mit der AfD im Bundestag zusammen einen Antrag im Bundestag beschlossen, um die Migrations- und Asylpolitik weiter massiv zu verschärfen.
Flüchtlingsrat warnt
Davor hatte es weitere Gewalttaten gegeben, bei denen die Tatverdächtigen Ausländer oder Asylbewerber waren. So fuhr ein wohl psychisch kranker Mann mit saudischer Staatsbürgerschaft kurz vor Weihnachten 2024 in einen Weihnachtsmarkt in Magdeburg und tötete sechs Menschen. Im Herbst 2024 erstach ein Geflüchteter aus Syrien in Solingen drei Menschen. Anfang 2024 erstach ein Asylbewerber aus Afghanistan in Mannheim einen Polizisten.
Jana Weidhaase vom Bayerischen Flüchtlingsrat warnt am Donnerstag davor, dass „vorschnelle und vereinfachende Schlüsse“ aus der Tat gezogen werden, sie „für rassistische Hetze missbraucht wird“. Die Ursachen für Gewalttaten wie die von München seien komplex und vielschichtig. Umso mehr appelliert der Flüchtlingsrat an Politiker*innen, Medienvertreter*innen und Zivilgesellschaft, „jetzt besonnen zu reagieren. Gewaltverbrechen dürfen nicht für politische Stimmungsmache oder den Wahlkampf missbraucht werden“, so Weidhaase.
Empfohlener externer Inhalt
Die getroffene Menschenmenge in München war ein Demonstrationszug der Gewerkschaft Verdi im Zusammenhang mit einem Warnstreik der Erzieher*innen. Angemeldet waren 2.500 Teilnehmer*innen. Der Verdi-Vorsitzende Frank Werneke zeigte sich „zutiefst bestürzt und schockiert über den schwerwiegenden Vorfall während eines friedlichen Demonstrationszugs von Verdi-Kolleginnen und -Kollegen“. Er dankte den Sicherheits- und Rettungskräften. Auch der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) drückt den Opfern sein Mitgefühl aus. Warum es gerade die Demonstrierenden traf? Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) sagt, es sei wohl Zufall gewesen. Der Täter war da, eine Menschenmenge war da.
Auf Herrmann dürften in den nächsten Tagen noch unangenehme Fragen zukommen. In München gilt derzeit eine erhöhte Alarmbereitschaft wegen der bis zum Wochenende dauernden Münchner Sicherheitskonferenz, zu der zahlreiche ranghohe Politiker aus der ganzen Welt erwartet werden. Auch die Verdi-Demonstration wurde von mehreren Polizeiwagen begleitet. Der Täter fuhr offenbar einige Zeit hinter einem Polizeiwagen her. Dann beschleunigte er und fuhr in die Menge.
Nach der Tat ist die breite Straße im Stadtviertel Maxvorstadt noch stundenlang gesperrt. Ein Polizeiwagen steht hinter dem anderen, ebenso Feuerwehrautos und Rettungssanitäter. Auch der bekannte große Löwenbräukeller mit Biergarten ein paar Meter weiter ist von ihnen zugeparkt. Am Tatort liegen die gelben Kittel der Ordner von der Verdi-Demonstration am Rand. Auch einige rot-weiße Fahnen mit Holzstielen und dem Verdi-Schriftzug wurden dort abgestellt.
Die Opfer werden notversorgt, über ihren Zustand ist vorläufig nichts Näheres bekannt. Auch psychologische Kriseninterventionsteams sind da. Bayerns Gesundheitsministerin Judith Gerlach (CSU) verweist per Mitteilung auf das telefonische Angebot an Menschen, die in dieser akuten Situation psychische Unterstützung benötigen. Rund um die Uhr könne man mit geschulten Helfern reden, in 120 Sprachen.
Auch Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) ist an den Tatort geeilt und stellt sich den Fragen, spricht in Mikrofone, schaut in Kameras. Später steht Reiter noch Weile in einer Seitenstraße unter einem Hauseingang. Er sei „entsetzt“, sagt er. „Das ist ein echt schwarzer Tag für München.“ Man merkt ihm an, wie sehr ihn der Vorfall trifft. Doch weitere Auskünfte kann zunächst auch er nicht geben.
Anm. der Redaktion: In der ursprünglichen Version des Textes hieß es, der Afghane sei als Ladendieb polizeibekannt gewesen. Inzwischen haben die Sicherheitsbehörden in Bayern ihre Angaben korrigiert. Er tauchte in entsprechenden Verfahren nur als Zeuge auf, weil er als Ladendetektiv gearbeitet hat. Wir haben den Text entsprechend geändert.
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