Ausgesetzte Vermögenssteuer: 380 Milliarden Euro Schaden
Die Regierung unter Kohl setzte 1996 die Vermögenssteuer aus. Das Geld fehlt jetzt. Eine Wiedererhebung scheitert auch am Widerstand der FDP.
„Anstatt im Bundeshaushalt zum Kahlschlag unter anderem bei der Entwicklungszusammenarbeit und bei Sozialausgaben anzusetzen, sollte die Bundesregierung die Besteuerung sehr hoher Vermögen endlich auf die Tagesordnung setzen“, erklärte der Oxfam-Experte für soziale Gerechtigkeit, Manuel Schmitt. So könnten die demokratiegefährdende Vermögenskonzentration verringert und dringend benötigte finanzielle Mittel für den sozialen Zusammenhalt und den Klimaschutz generiert werden – in Deutschland und weltweit.
Schließlich weist Deutschland laut dem Global Wealth Report 2023 der Schweizer Banken Credit Suisse und UBS von den vier großen Wirtschaftsmächten der EU vor Frankreich, Spanien und Italien die höchste Ungleichheit bei den Vermögen auf. So konnten die Superreichen in den vergangenen Jahrzehnten deutlich an Vermögen zulegen. Die hundert Reichsten Deutschlands häuften seit dem Jahr 2001 rund 460 Milliarden Euro zusätzlich an.
Mit der Vermögenssteuer könnte die Politik dieser wachsenden Ungleichheit entgegenwirken. Doch 1996 monierte das Bundesverfassungsgericht in einem Urteil eine Ungleichbehandlung zwischen Immobilien und anderen Vermögen. Statt den Missstand zu beheben und Immobilen höher zu besteuern, setzte die schwarz-gelbe Bundesregierung unter Helmut Kohl die Steuer damals aus.
FDP ist gegen die Vermögenssteuer
Seitdem wurde immer wieder die Wiedererhebung der Vermögenssteuer gefordert. So sprachen sich die Grünen und die SPD bei der Bundestagswahl 2021 dafür aus. Doch scheiterte die Wiedererhebung am Widerstand der FDP. „Eine Vermögenssteuer lehne ich ab. Eine Diskussion über die Besteuerung aber in Deutschland ist angebracht“, schrieb Finanzminister Christian Lindner im November 2022 in einem Gastbeitrag für das Handelsblatt. Durch eine Wiedererhebung würden Investitionen im Ausland attraktiver. „Das theoretisch erhoffte Aufkommen wird sich bei uns also nicht einstellen“, behauptete Lindner damals.
Ein weiteres Argument, das gerne gegen die Vermögenssteuer angebracht wird, lautet, dass Milliardäre und Superreiche ihr Vermögen bei einer Wiedererhebung ins Ausland schaffen würden und die Steuer deswegen nicht zu Mehreinnahmen führen würde. Für die Studienautor*innen vom Netzwerk Steuergerechtigkeit und Oxfam gilt dieses Argument allerdings nicht. „Die Angst vor der Steuerflucht ist in der Bevölkerung genauso wie in der Politik weit verbreitet. Aber die Angst ist irrational. Steuerflucht ist kein Schicksal und auch kein Massenphänomen“, sagte Christoph Trautvetter vom Netzwerk Steuergerechtigkeit.
Gleichzeitig hat Deutschland laut seiner Studie in den vergangenen Jahrzehnten umfassende Regeln eingeführt, die Steuerflucht massiv erschweren. Demnach müsste zum Beispiel BMW-Erbin Susanne Klatten knapp 6,5 Milliarden Euro an den Fiskus zahlen, wollte sie mit ihrem Vermögen ins Ausland ziehen. Dies entspräche rund 30 Prozent ihres geschätzten Besitzes.
Laut der Studie hätte der Fiskus im vergangenen Jahr durch die Vermögenssteuer etwa 30 Milliarden Euro einnehmen können. Dieses Geld wäre den Bundesländern zugutegekommen. Davon profitiert hätten potenziell auch die Kommunen, da die Länder laut dem Bundesfinanzministerium dafür verantwortlich sind, „den Kommunen eine für ihre Aufgaben adäquate Finanzausstattung zukommen zu lassen“.
Hoher Finanzbedarf bei Kommunen
Gleichzeitig ist insbesondere auf kommunaler Ebene der Investitionsstau immens. Expert*innen des gewerkschaftsnahen Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) sowie des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) schätzten jüngst den Bedarf für die kommunale Infrastruktur für die nächsten zehn Jahre auf insgesamt 177,2 Milliarden Euro. Hinzu kommen 28,5 Milliarden Euro für den Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Verkauf von E-Autos
Die Antriebswende braucht mehr Schwung
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Warnstreiks bei VW
Der Vorstand ist schuld
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht
Die HTS in Syrien
Vom Islamismus zur führenden Rebellengruppe