Auf Coronakontrolle in Sachsen: Erbarmen im Edeka
In Sachsen werden die Querdenker immer aggressiver. Was macht das mit denen, die Coronaregeln kontrollieren? Unterwegs mit einem Team in Pirna.
„Der Konsum von Alkohol in der Öffentlichkeit ist in Sachsen seit dem 12. November verboten“, erklärt ihnen freundlich die Beamtin, die selbst erst 21 Jahre alt ist und ihren Namen aus Angst vor Anfeindungen nicht nennen möchte. Sie führt an diesem Dezemberabend Coronakontrollen im sächsischen Pirna durch, dabei wird sie von einem Kollegen, zwei Polizisten, der taz-Reporterin und einem Kamerateam von Spiegel TV begleitet.
„Echt jetzt? Das wusste ich nicht“, sagt der Junge. Die anderen beiden stimmen ihm zu. Dabei wirken sie so überrascht, dass man ihnen wirklich glaubt. „Wo dürfen wir denn noch Alkohol trinken?“, fragt der Junge mit den roten Wangen. Dabei klingt er weder schnippisch noch wütend. „Zu Hause“, antwortet die Beamtin und nimmt die Personalien der Jugendlichen auf.
Die drei werden Post vom Landratsamt Sächsische Schweiz-Osterzgebirge bekommen und höchstwahrscheinlich ein Bußgeld in Höhe von 150 Euro zahlen müssen. „Dafür geht mein ganzes Geburtstagsgeld drauf“, sagt der Junge bedröppelt. Doch weder er noch die anderen versuchen, mit dem Ordnungsamt zu diskutieren. Sie nehmen die Strafe einfach hin.
Beschimpft als Merkel-Schergen
Kontrollen wie diese führt die Beamtin jeden Tag acht Stunden lang durch – seit dem 9. November. Da hatte die schwarz-rot-grüne Landesregierung gerade die 2G-Regel für Kinos, Kneipen, Cafés und Museen eingeführt und härtere Kontrollen der Coronaregeln verordnet. Seitdem sind pro Landkreis und kreisfreier Stadt jeden Tag mindestens drei Kontrollteams im Einsatz und überprüfen, ob die Maßnahmen eingehalten werden. Im Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge – einer der von der Pandemie am meisten betroffenen Landkreise Deutschlands – sind es derzeit zehn Teams.
In keinem Bundesland sind die Proteste gegen die Coronaregeln so massiv wie in Sachsen. Seit Wochen gehen dort Querdenker*innen auf die Straße, teils zu Hunderten. Bei den Demos werden immer wieder Polizist*innen und Reporter*innen angegriffen. Anfang Dezember protestierten 30 Impfgegner*innen mit Fackeln vor dem Haus der sächsischen Gesundheitsministerin Petra Köpping (SPD), gegen den Ministerpräsidenten Michael Kretschmer (CDU) wurden Mordpläne bekannt. Wie geht es den Menschen, die die Coronamaßnahmen in diesem Land täglich durchsetzen müssen?
Nicht immer verliefen die Kontrollen so friedlich wie mit den drei Jugendlichen im Park, erzählt die Ordnungsamt-Mitarbeiterin. Manchmal werde sie auch beleidigt. „Ein Mann hat mich zum Beispiel mal als Merkel-Scherge beschimpft. Er war vermutlich ein Reichsbürger“, sagt die Beamtin. Von weiteren Situationen möchte sie jedoch nicht erzählen. „Solche Schimpfwörter will ich nicht wiederholen.“ Angespuckt oder angegriffen wurde die Frau „Gott sei Dank“ noch nicht.
Wie fühlt es sich an, den Frust von Impfgegner*innen und Querdenkern abzukriegen? „Ich habe ein dickes Fell bekommen“, sagt die Beamtin. Ihr Kollege, der seinen Namen auch nicht nennen möchte, fügt hinzu: „Die Beleidigungen sind ja nicht persönlich gemeint, es geht nicht um uns als Person, sondern um unsere Uniform.“ Angst vor Übergriffen hätten die beiden Beamt*innen aber keine, sie würden ja immer von der Polizei begleitet. „Die Montur der Polizist*innen schreckt die Leute ab, dadurch trauen sie sich weniger“, sagt die Frau.
Empfohlener externer Inhalt
Dass die Präsenz der Polizei nicht immer vor Übergriffen schützt, zeigt ein Vorfall in Bad Schandau, einer Kleinstadt in der sächsischen Schweiz. Mitte November ist hier eine Coronakontrolle eskaliert – trotz Polizeibegleitung. Das Kontrollteam wurde auf dem Marktplatz von etwa 20 Personen umringt; einer Polizistin wurde ins Knie getreten, ihr Kollege wurde von einer Flasche getroffen. „Dies ist bisher ein Einzelfall“, sagt ein Sprecher des sächsischen Innenministeriums der taz. Weite Teile der sächsischen Bevölkerung reagierten positiv auf die Coronakontrollen und hielten sich an die Schutzmaßnahmen.
Nach Angaben des sächsischen Innenministeriums haben das Ordnungsamt und die Polizei seit Mitte November 2.688 mündliche Verwarnungen ausgesprochen und 1.950 Bußgeldverfahren eingeleitet.
Die beiden Mitarbeiter*innen des Ordnungsamts in Pirna stellten „nur sehr selten“ Regelverstöße fest. Das habe auch mit ihrer Uniform zu tun. Würden sie in Zivilkleidung Kontrollen durchführen, sagt die Beamtin, würden sie viel mehr Verstöße ahnden. „Wenn wir durch einen Supermarkt laufen und die Leute sehen uns von Weitem, dann ziehen sie automatisch ihre Maske über die Nase.“
Bei der Kontrolle in einem Pirnaer Edeka an diesem Abend ist das anders. Hier tragen einige Kund*innen die Maske falsch. Die Kontrolleur*innen sind aber nachsichtiger als bei den Jugendlichen im Park. Ein bisschen wirkt es so, als wolle die Beamtin die Verstöße gar nicht sehen. Dreimal weist die Reporterin der taz sie auf Menschen hin, die ihre Maske unter der Nase tragen.
Zaghafte Kontrollen
Und als die Beamtin diese Personen dann anspricht, fragt sie freundlich, fast schüchtern, ob sie ihre Maske bitte bis über die Nase ziehen könnten – als ob das Tragen einer Maske in Geschäften keine bundesweite Regel zur Eindämmung einer tödlichen Pandemie wäre, sondern eine freiwillige Maßnahme gegen Mundgeruch.
Ohne Widerrede ziehen die Kund*innen ihre Maske hoch, doch bei einer Frau um die vierzig, die gerade vor den Backwaren steht und mit einer Zange Weizenbrötchen in eine Tüte packt, sitzt die Maske wenige Sekunden später wieder unter der Nase. Die Beamtin aber geht nicht noch mal auf die Frau zu. Warum nicht? „Das würde nichts bringen. Ich bin schon froh, wenn die Leute überhaupt eine Maske tragen.“
Wieso würde das nichts bringen? Eine Geldstrafe könnte doch vielleicht nachhaltig wirken? „Für das inkorrekte Tragen einer Maske gibt es keine Geldstrafe. Im Bußgeldkatalog ist nur das Nichttragen aufgelistet“, sagt die Beamtin und fügt hinzu, dass sie ja auch nicht im Auftrag der Bußgeldstelle unterwegs sei. Außerdem habe sie Verständnis dafür, wenn die Maske bei Brillenträger*innen unter die Nase rutsche oder Leute die Maske herunterzögen, weil sie beim Einkaufen schlecht Luft bekämen.
Der Rest der Kontrolle verläuft ebenso zaghaft wie im Edeka. Als das Kontrollteam in einem Bekleidungsgeschäft stichprobenartig 2G-Nachweise überprüft, fühlt sich die Ordnungsamt-Mitarbeiterin sichtlich unwohl. Sie ist sich unsicher, wen sie ansprechen soll. Es sei ihr unangenehm, einzelne Personen auszuwählen und sie nach ihrem Impfausweis zu fragen, sagt sie. „Dadurch gebe ich ihnen ja das Gefühl, dass ich sie verdächtige.“
Kontrolle ohne Polizei? „Das wäre Selbstmord“
Alle Menschen, die die Beamt*innen an diesem Abend noch in einer Buchhandlung und in einer Gaststätte kontrollieren, reagieren freundlich, alle sind geimpft und zeigen Impfnachweis und Ausweis vor.
Das Spiegel-TV-Team, das die Kontrolle mit der Kamera begleitet, wird allmählich unruhig. Für ihren Beitrag will es natürlich aufregendere Szenen. Ob das Kontrollteam nicht noch irgendwo hingehen könne, wo die Wahrscheinlichkeit höher sei, Regelbrecher*innen anzutreffen, fragt die Redakteurin. Der Ordnungsamt-Mitarbeiter schlägt eine Dönerbude nahe des Bahnhofs vor, das Spiegel-TV-Team nickt.
Zu Situationen wie dieser, in denen sich das Kontrollteam an den Wünschen der TV-Leute orientiert, kommt es an diesem Abend häufig. Spiegel TV will lieber in kleine eigentümergeführte Läden statt in Filialen großer Ketten, um weniger Umstände mit Drehgenehmigungen und dem Hausrecht zu haben.
Mehrmals müssen die Beamt*innen dieselben Fragen beantworten – mal beim Durchstreifen der weihnachtlich beleuchteten Innenstadt, mal im Park. Immer wieder bittet das Kamerateam sie darum, noch mal hier oder dort entlang zu laufen – und die Reporterin der taz, aus dem Bild zu verschwinden. Für die Aufnahmen geht viel Zeit verloren, in der die Beamt*innen hätten Kontrollen durchführen können.
An der Dönerbude angekommen, muss das Kamerateam feststellen, dass sich kein einziger Kunde darin befindet. Nun schlägt der Mitarbeiter vom Ordnungsamt vor, zum Bahnhof zu gehen und dort 3G-Kontrollen in den Bussen durchzuführen, auch hier gebe es manchmal Querschläger*innen.
Doch noch bevor die Truppe den Bahnhof erreicht, bekommen die Polizisten einen Anruf. Sie müssen sofort nach Dresden aufbrechen, wegen einer spontanen Querdenker-Demo. Für die Ordnungsamt-Mitarbeiter*innen bedeutet dies das Ende der Coronakontrolle. „Fahrgäste ohne die Polizei zu kontrollieren, das wäre Selbstmord“, sagt die Beamtin und ergänzt kurze Zeit später, dass das natürlich überspitzt formuliert sei. „Aber an einem Freitagabend, wo manche vielleicht schon Alkohol getrunken haben, wären Kontrollen einfach zu gefährlich ohne Polizei.“
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