Atomare Abschreckung der Nato: Operation „Steadfast Noon“
Europa rüstet sich in Anbetracht Russlands Drohungen: Die Nato probt den Umgang mit Atomangriffen. Deutschland kündigt eine europäische Luftverteidigung an.
Die lange geheim gehaltene Übung soll in der kommenden Woche stattfinden und der atomaren Abschreckung dienen. Die 14 Teilnehmerländer, darunter Deutschland, proben den Abtransport von Wasserstoffbomben vom Typ B-61 aus Lagern, die Beladung von Kampfflugzeugen und den Abwurf über simulierten Zielen.
Ein Großteil der Übung werde in Belgien und über der Nordsee stattfinden, teilte die belgische Verteidigungsministerin Ludivine Dedonder mit. Die Bevölkerung müsse sich aber keine Sorgen machen, da keine scharfen Bomben eingesetzt würden. Auch Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg wiegelte ab. Es handele sich um eine Routineübung ohne Bezug zum Krieg in der Ukraine.
Dennoch ist der Einsatz diesmal besonders brisant. Schließlich hat Kremlchef Wladimir Putin mit dem Einsatz von (taktischen) Atomwaffen gedroht, wenn die vitalen Interessen Russlands bedroht würden. Zugleich hat er mit dem Finger auf den „kollektiven Westen“ und die Nato gezeigt – sie würden sich aktiv in den Krieg in der Ukraine einschalten und müssten mit Vergeltung rechnen.
Düstere Warnungen
In Brüssel geht man deshalb davon aus, dass Russland auf die Nato-Übung reagieren wird. „Russland wird ebenfalls seine jährliche Übung durchführen, ich denke, in der Woche nach oder kurz nach der jährlichen Übung“, sagte der britische Verteidigungsminister Ben Wallace. Davon dürfe sich die Nato jedoch nicht einschüchtern lassen. Vielmehr gehe es darum, Flagge zu zeigen.
Das Treffen der nuklearen Planungsgruppe war von düsteren Warnungen begleitet. Sollte die Regierung in Moskau tatsächlich Atomwaffen einsetzen, würde dies wohl eine „physische Antwort“ der Verbündeten der Ukraine und möglicherweise auch der Nato selbst zur Folge haben, sagte ein Insider. Der Schritt würde „noch nie da gewesene Konsequenzen“ für Russland nach sich ziehen.
Was damit gemeint ist, blieb offen – die nukleare Planungsgruppe tagt unter strikter Geheimhaltung. Sollten alle Bündnispartner zustimmen, könnte die Militärallianz versuchen, die russischen Invasionstruppen in der Ukraine militärisch auszuschalten, hieß es in Brüssel. Auch ein massiver Cyberangriff auf russische Infrastruktur wird nicht mehr ausgeschlossen.
Dabei hatte Stoltenberg vor Beginn des zweitägigen Nato-Treffens noch erklärt, dass sich die Nato nicht in den Krieg ziehen lassen werde. Man werde die Alliierten bei Waffenlieferungen unterstützen, jedoch nicht selbst eingreifen. Nun ist nicht mehr klar, ob diese „rote Linie“, die auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) immer wieder betont, hält.
Unterdessen kündigte Bundesverteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) den Aufbau einer europäischen Luftverteidigung an. Das Ziel der deutschen Initiative für einen „European Sky Shield“ sei es, „Lücken zu schließen“, sagte Lambrecht. Die Nato begrüßte den Vorstoß. Laut einer in Brüssel verbreiteten Erklärung haben sich der Initiative bisher 14 Bündnispartner und das Anwärterland Finnland angeschlossen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Interner Zwist bei Springer
Musk spaltet die „Welt“
Gastbeitrag in der „Welt am Sonntag“
Bequem gemacht im Pseudoliberalismus