Asylsuchende aus Russland: Mobilmachung als Fluchtgrund
Die Zahl russischer Asylsuchender in Deutschland steigt. Tun die Behörden hierzulande genug, um deren Einberufung zu verhindern?
So habe es einen deutlichen Anstieg in der Altersgruppe der 19- bis 30-jährigen Männer und Frauen aus Russland gegeben, ebenso sei der Anteil männlicher Asylsuchender aus Russland von 59 auf 64 Prozent gestiegen. Die Behörde führt die Zunahme auf Moskaus Mobilmachung im Krieg gegen die Ukraine zurück. Bundeskanzler Olaf Scholz und Innenministerin Nancy Faeser (SPD) hatten ebenso wie viele andere deutsche Politiker*innen im vergangenen Jahr betont, jenen helfen zu wollen, die nicht in Russlands Krieg kämpfen wollen. Entsprechend erklärte das Bundesinnenministerium (BMI): „Deserteure, die sich an Putins Krieg nicht beteiligen wollen“, erhielten „im Regelfall internationalen Schutz“.
Deutlich schwieriger aber ist die Situation für Militärdienstentzieher, die nicht als Soldat fliehen, sondern nach Erhalt ihrer Einberufung – oder sogar davor, aus Sorge, danach das Land nicht mehr verlassen zu können. Im Dezember erklärte das BMI auf taz-Anfrage, für diese Personengruppe überprüfe das Bamf derzeit die Entscheidungspraxis. Diese Prüfung dauere noch immer an, erklärte das Bamf auf Nachfrage. „Gleichwohl wird in jedem Einzelfall geprüft, ob individuelle Verfolgungsgründe und damit ein Schutzanspruch vorliegen.“
Tatsächlich sind die Aussichten auf Asyl für russische Staatsangehörige gestiegen – auf geringem Niveau. Demnach bekamen 2023 bislang rund 27 Prozent der russischen Asylsuchenden Schutz. Im Vorjahr waren es rund 18 Prozent. Das zeigt die bereinigte Schutzquote, die nur jene Asylgesuche berücksichtigt, bei denen der Antrag inhaltlich geprüft wurde.
Gelöst ist das Problem der Kriegsdienstentzieher aber nicht. So berichtet der Verein Connection vom Fall eines Russen, dessen Asylantrag Ende Januar abgelehnt wurde. Es sei „nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass der Antragsteller gegen seinen Willen zwangsweise zu den Streitkräften eingezogen würde“, zitiert der Verein, der Kriegsdienstverweigerer weltweit unterstützt, aus dem Bescheid. Der Mann sei über 40 Jahre alt, Russland berufe aber Männer bis 27 Jahre ein. Connection weist jedoch darauf hin, dass seit einer Gesetzesänderung vom Mai 2022 auch Männer bis 65 eingezogen würden.
Zudem berichtet der Verein vom Fall eines Russen, dessen Antrag auf ein Visum von einer deutschen Botschaft abgelehnt wurde. Er gehöre zu dem Personenkreis, „der in Russland potentiell von der Teilmobilisierung für die russischen Streitkräfte betroffen ist“, daher sei seine „Rückkehrbereitschaft“ gering. „Die einen sagen, es drohe keine Rekrutierung, die anderen erklären, es drohe eine Rekrutierung“, kritisiert Rudi Friedrich von Connection. Und alles nur mit dem Ziel, russische Kriegsdienstverweigerer „außer Landes zu halten“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Pistorius lässt Scholz den Vortritt
Der beschädigte Kandidat
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Haftbefehl gegen Netanjahu
Begründeter Verdacht für Kriegsverbrechen