Eurofighter fliegt mit brennenden Turbinen unter grauem Himmel

Airbus, Entwickler des Eurofighters, lobbyierte in der EU fleißig mit Foto: Reuters/Axel Schmidt

Waffenlobby in der EU:Wie Rüstung nachhaltig werden soll

Die EU erwägt, Rüstungsfirmen als nachhaltig zu klassifizieren. Recherchen von Taz und LobbyControl zeigen: Die Branche hat dafür lobbyiert.

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8.10.2024, 12:01  Uhr

Immer mehr Menschen in Deutschland wollen ihr Geld nachhaltig anlegen. Sie entscheiden sich für „grüne“ Fonds, sogenannte ESG-Fonds. ESG steht für Umwelt (Environment), Soziales (Social) und gute Unternehmensführung (Governance). Das sind die drei zentralen Nachhaltigkeitskriterien.

In diesen Fonds sollen Unternehmen enthalten sein, die besonders ressourcenschonend arbeiten, die umweltfreundliche Produkte entwickeln und sich sozial engagieren. Diese EU-Kriterien sind teilweise verwaschen. Zum Beispiel finden auch die Energieunternehmen BP, Shell und Total – die bekannt sind für Öl- und Gasgeschäfte – ihren Weg in nachhaltige Fonds. Nicht enthalten sein dürfen Glücksspiel-, Tabak- und Rüstungsunternehmen. Das liegt an dieser EU-Regel: Auch wenn ein Unternehmen in einem der Nachhaltigkeitsbereiche sehr positiv bewertet ist, muss es noch eine zweite Bedingung erfüllen: Es darf in den beiden anderen Bereichen keinen Schaden anrichten.

Studien zeigen, dass die Nachfrage nach ESG-Fonds in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen ist. Laut dem Geschäftsbericht des Forums Nachhaltige Geldanlagen sind 2024 knapp ein Achtel des verwalteten Fondsvermögen in Deutschland in nachhaltigen Geldanlagen angelegt – 542 Milliarden Euro insgesamt.

ESG-Fonds sind also ein Markt – einer, den sich offenbar auch diejenigen Unternehmen zu erschließen versuchen, deren Image nicht zum Thema Nachhaltigkeit passt: Rüstungsunternehmen. Dennoch will die EU Rüstungsunternehmen in Zukunft als nachhaltig einstufen, und somit in ESG-Fonds zulassen.

Fonds funktionieren so: An­le­ge­r*in­nen investieren ihr Geld in einen Fonds. Ein Algorithmus oder ein Manager investieren dann dieses Geld in verschiedenste Unternehmen. Es gibt unterschiedliche Arten von Fonds. Es gibt zum Beispiel Tech-Fonds, bei denen das Geld in Apple, Microsoft und Co. angelegt wird. Es gibt Fonds, die den Dax abbilden – bei denen also nur in Unternehmen investiert sind, die im Dax sind. Und es gibt ESG-Fonds, in denen nur Unternehmen sein sollen, die den Nachhaltigkeitskriterien der EU entsprechen.

Massive Kampagne der Rüstungsindustrie

Recherchen von taz und Lobbycontrol zeigen, dass hinter diesem Vorhaben eine massive Kampagne der Rüstungslobby steckt. Wir haben recherchiert, wie oft sich Rüstungslobbyisten und EU-Politiker*innen getroffen haben. Wir können zeigen, dass in der vergangene EU-Legislaturperiode nahezu keine andere Branche so stark lobbyiert hat wie Rüstungsunternehmen. Und wir können belegen, dass sich Forderungen der Rüstungslobby nahezu wortgleich in wichtigen Strategiepapieren und Regularien der EU zu nachhaltiger Finanzwirtschaft finden.

All das zeigt zweierlei: Lag der Fokus der EU-Kommission und deren Vorsitzenden Ursula von der Leyen in der abgelaufenen Legistlaturperiode noch auf der ökologischen Transformation der EU, dem Green New Deal, steht das just formierte Kommissionskabinett von der Leyen II nun ganz im Zeichen der Wirtschaftsinteressen. Das geht womöglich zu Lasten der Verbraucher*innen: Denn sollte die EU-Kommission tatsächlich Rüstungsunternehmen als nachhaltig klassifizieren und somit in ESG-Fonds zulassen, dürfte das nicht mehr dem entsprechen, was die meisten An­le­ge­r*in­nen sich von diesen Fonds wünschen.

Die Umsetzung der Pariser Klimaziele von 2015 hat die EU-Politik in vielen Bereichen durchdrungen. 2018 hat die EU einen Aktionsplan für ein nachhaltiges Finanzwesen ins Leben gerufen. Der mündete in einer Verordnung „über nachhaltigkeitsbezogene Offenlegungspflichten im Finanzdienstleistungssektor“. Diese Verordnung hat Transparenzpflichten und Kriterien für Geldanlagen festgelegt, mit denen Greenwashing in der Finanzwelt verhindert werden soll. Die EU will damit sowohl die Ver­brau­che­r*in­nen als auch das Klima schützen. Als die Kommission 2022 Erdgas und Atomstrom als nachhaltig einstufte, gab es unter Umweltverbänden einen Aufschrei. Auch aus der taz kam der „Greenwashing“-Vorwurf.

Bei anderen Branchen ist die EU-Kommission da bislang deutlich härter: Tabak, Glücksspiel und Rüstung gelten bis heute nicht als nachhaltig und sind für ESG-Fonds eigentlich Tabu – bis jetzt.

Treffen mit der Waffenlobby, nicht mit der Zivilgesellschaft

Im Mai 2024 beschloss die europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde, dass nur noch Rüstungsunternehmen, die völkerrechtlich geächtete Waffen herstellen, aus sogenannten ESG-Fonds auszuschließen sind. Firmen wie RollsRoyce – der zweitgrößte Hersteller von militärischen Triebwerken, Airbus – die Firma, die an der Herstellung des Eurofighter beteiligt ist, oder Leonardo – der Konzern, der mit über 15 Milliarden Euro Umsatz einer der größten Rüstungsproduzenten der Welt ist, könnten damit nun plötzlich in nachhaltigen ESG-Fonds landen.

Wie kam es dazu?

Nach Recherchen der taz und LobbyControl gab es in den Jahren 2023 und 2024 insgesamt 44 Treffen zwischen Ver­tre­te­r*in­nen der Rüstungsindustrie und hohen Ver­tre­te­r*in­nen der EU-Kommission zum Thema Verteidigung. Zu den EU-Vertreter*innen gehörten Thierry Breton, der ehemalige EU-Kommissar für Verteidigung, Josep Borrell, der hohe Vertreter der Außen- und Sicherheitspolitik und Margarethe Vestager, der Kommissarin für Digitales. Auffällig ist, dass die Kommission zu diesem Thema ausschließlich die Rüstungsindustrie getroffen zu haben scheint. Zumindest findet sich kein Treffen mit Ver­tre­te­r*in­nen der Zivilgesellschaft zum Thema Verteidigung.

Insgesamt haben sich Ver­te­te­r*in­nen der Rüstungsindustrie und der EU-Kommission seit der EU-Wahl 2019 356 Mal getroffen – also etwa einmal pro Woche. Zum Vergleich: Zu dem Gesetz über digitale Dienste, dem Digital Services Act, der Google und Facebook regulieren, Whist­leb­lo­wer*­in­nen schützen und Fakenews eindämmen soll, finden sich nur 298 Treffen im gleichen Zeitraum. Die Rüstungsindustrie hat seit 2019 also intensiver lobbyiert, als Ver­tre­te­r*in­nen von Digitalkonzernen zu einer der wichtigsten Gesetzgebungen der vergangenen Jahre.

Josep Borrell blickt ernst zur Seite. Er hat schütteres weißes Haar, trägt einen Anzug mit Krawatte und hinter ihm hängt eine EU-Flagge

Josep Borrell, der hohe Vertreter der Außen- und Sicherheitspolitik in der EU, traf sich mit der Rüstungslobby Foto: Reuters/Mohamed Azakir/File Photo

Nicht immer, wenn sich Rüstungslobbyisten und EU-Politiker*innen getroffen haben, dürfte es dabei um die Klassifizierung der Rüstungsindustrie als nachhaltige Geldanlage gegangen sein. Zwischen Ende 2022 und Mitte 2024 gab es sieben Treffen von Ver­tre­te­r*in­nen der Konzerne Leonardo, Airbus, Patria Oyi, Rolls Royce, der Rüstungslobbygruppe ASD – in der alle großen europäischen Rüstungsunternehmen Mitglied sind – und der EU-Kommission, in denen es offiziell um die EU-Taxonomie, „Sustainable Finance“ oder die „Defense Industry Policy“ ging.

Worum es in diesen Treffen ging, daraus macht die Rüstungslobbygruppe ASD keinen Hehl. Adrian Schmitz, Sprecher der ASD, sagt auf taz-Anfrage: „Wir haben mit großer Besorgnis eine Tendenz beobachtet, die Verteidigungsindustrie als „sozial schädlich“ zu betrachten.“ Die ASD habe also die Europäische Kommission und die Mitgesetzgeber aufgefordert, dafür zu sorgen, dass die europäische Regulierung die Rüstungsindustrie als nachhaltig qualifizieren solle.

Nach Recherchen von taz und Lobbycontrol traf sich Timo Pesonen, der Chef der Generaldirektion Verteidigungsindustrie und Weltraum der Europäischen Kommission, am 29. März 2023 mit der ASD, um über die „Weiterverfolgung des Zugangs zu Finanzmitteln für die Verteidigungsindustrie“ zu sprechen. Pesonens Sprecherin antwortet dazu auf taz-Anfrage, die EU habe sich im Herbst 2023 mit dem Finanzsektor, der Verteidigungsindustrie, den Mitgliedstaaten und Thinktanks beraten, um über das Europäische Verteidigungsprogramm (EDIP) zu sprechen.

Nach Recherchen der taz und LobbyControl fanden die Treffen zwischen Rüstungsindustrie und EU allerdings weit vor diesen offiziellen Gesprächen statt: Allein für das Frühjahr 2023 finden wir sechs Treffen zwischen Ver­tre­te­r*in­nen der Rüstungsindustrie und der EU-Kommission. Die Rüstungsindustrie hatte demnach genug Zeit, ihre Anliegen in persönlichen Gesprächen zu vermitteln. Die Zivilgesellschaft hatte dazu offenbar keine Gelegenheit.

EU reformiert ihre Verteidigungsstrategie

Die Lobby-Treffen fallen in eine Zeit, in der die EU ihre Verteidigungsstrategie grundlegend reformiert. Dabei entstehen Programme mit den Namen EDIP, EDIRPA und ASAP. Sie sollen die technologische und industrielle Grundlage der europäischen Verteidigungspolitik bilden, die gemeinsame Beschaffung von Kriegsgütern vereinfachen und die Produktion von Munition ankurbeln. Eine Neubewertung der europäischen Rüstungsunternehmen passt da gut ins Bild.

Einer der wichtigsten Player der Rüstungsbranche ist der Bundesverband der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie, kurz: BDSV. Er hat 220 Mitglieder, und laut Lobbyregister ein jährliches Lobby-Budget von gut einer Millionen Euro. Sein Präsident ist der Vorstandsvorsitzende von Rheinmetall Armin Papperger. Auf Anfrage der taz legt Hans Christoph Atzpodien, ein Sprecher des BDSV, dar, warum die Rüstungsindustrie als nachhaltige Geldanlage gelten sollte: „Krieg bedeutet das Gegenteil von Umweltschutz und auch den Verlust aller elementaren sozialen Rechte. Also sollten auch Banken und Fonds Rüstung als Beitrag zur Nachhaltigkeit behandeln.“ Wer in Rüstung investiert, soll das also heißen, investiert in Frieden, und damit in Klimaschutz und das Wohlergehen aller.

Der BSDV lobbyiert dafür nicht nur auf EU-Ebene. Auch an die Mitglieder des Deutschen Bundestags und das Wirtschafts-, Finanz- und Verteidigungsministerium hat der Verband im Jahr 2024 zwei Stellungnahmen verschickt, um die „Positive Inklusion von Rüstung in Nachhaltigkeitsregulatorik“ voranzutreiben. Im Lobbyregister schreibt der BDSV dazu, die Rüstungsindustrie stehe immer noch vor dem Problem, dass Investmentfonds und bis zu einem gewissen Grad auch Privatbanken immer noch zögern, in Rüstungsgüter zu investieren. Daher fordere man ein „bindendes Regelungsvorhaben, das Rüstung für EU und NATO-Streitkräfte als positiv nachhaltig kategorisiert,“

Wer sich nun genauer die neuesten Papiere der EU zum Thema anschaut, der findet überraschend ähnliche Passagen.

Im März 2024 veröffentlicht die EU ihr neues Verteidigungsprogramm EDIP. Es ist eine Industriestrategie für den Verteidigungsbereich. Verantwortet wird sie von Josep Borrell, dem Hohen Vertreter für Außen- und Sicherheitspolitik. Im EDIP heißt es: „Die Bereitschaft der Finanzakteure, mit der Verteidigungsindustrie zusammenzuarbeiten, dürfte durch die Besonderheiten des Verteidigungsmarkts (…) bzw. durch Mutmaßungen in Bezug auf die Faktoren Umwelt, Soziales und Governance (ESG) beeinträchtigt sein.“ Josep Borrell war für eine Stellungnahme nicht zu erreichen.

Die EU befürchtet also, dass die Finanzbranche keine Rüstungsunternehmen in ihre nachhaltigen Anlagen aufnehmen will, solange sie laut EU-Regeln als nicht nachhaltig gelten. Das gleiche befürchtet auch die Rüstungsindustrie.

Lobby-Statements finden ihren Weg in EU-Papiere

Im EDIP findet sich ein Satz, der dem ähnelt, was der BDSV anführt: „Die Verteidigungsindustrie der Union trägt entscheidend zur Resilienz und Sicherheit der Union und damit zu Frieden und sozialer Nachhaltigkeit bei.“ Damit begründet die EU, warum Rüstungsunternehmen als nachhaltig gelten sollten und damit auch als nachhaltige Geldanlage.

Das reicht dem Lobbyverband BDSV allerdings offenbar nicht: In einer Stellungnahme vom April 2024 und in einer weiteren aus dem Juni 2024 fordert der Lobbyverband, dass die Regularien noch weiter aufgeweicht werden müssten, damit die Finanzbranche bedenkenlos Rüstung in ihre nachhaltigen Geldanlagen aufnehmen kann. Das würde bedeuten, dass An­le­ge­r*in­nen in Zukunft in häufiger als bisher schon Unternehmen wie RheinMetall, Leonardo oder Airbus in nachhaltigen Fonds finden könnten.

Die Rüstungsindustrie würde sich damit neue Finanzquellen erschließen. Für die An­le­ge­r*in­nen hingegen wäre das fatal: Menschen, die sich bewusst dafür entscheiden, ihr Geld in ökologische und soziale Unternehmen zu stecken, würden damit letztlich die Produktion von Panzern und Granaten mitfinanzieren.

Verbraucher-Schützer*innen beobachten die Entwicklung mit großer Sorge. Der Verein FairFinance beobachtet, dass Rürstungsunternehmen jetzt schon vereinzelt in ESG-Fonds stecken. Thomas Küchenmeister, Sprecher von FairFinance sagt dazu: „Da brechen Dämme. Alles, was uns heilig war, geben wir auf.“ Auch das Forum Nachhaltige Geldanlagen ist alarmiert. Ein Sprecher sagt auf taz-Anfrage, es stehe außer Frage, dass die Rüstungsindustrie signifikanten Schaden anrichte. „Damit ist Rüstung nicht nachhaltig.“

Noch ist die Einstufung der Rüstungsindustrie als „nachhaltige“ Branche keine beschlossene Sache. Die Formulierungen aus den entsprechenden EU-Papieren beschreiben das Vorhaben, die neue EU-Kommission hat entsprechende Regeln dafür noch nicht umgesetzt. Das könnte aber in den kommenden Monaten passieren.

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