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Deutsche Geheimdienste warnen„Hurrikan“ russischer Aggressionen

Cyberangriffe, Desinformation, Brandsätze: Bei einer Bundestagsanhörung warnen die Chefs deutscher Geheimdienste deutlich vor Russlands hybridem Krieg.

Auf dem Weg zur öffentlichen Sitzung: Bruno Kahl, Präsident des BNDs, Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang und Martina Rosenberg, Präsidentin des Militärischen Abschirmdienstes (von links nach rechts) Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa

Berlin taz | Drohnen über Bundeswehrkasernen, Cyberangriffe, Desinformation, ein explodierter Brandsatz in einem DHL-Paket am Flughafen Leipzig: Die Präsidenten der deutschen Geheimdienste warnen mit auffälliger Deutlichkeit vor immer aggressiveren Ausspäh- und Sabotageaktionen Russlands in Deutschland. BND-Präsident Bruno Kahl erklärte am Montag bei einer Anhörung im Bundestag, russische Geheimdienste gingen dabei „mit allen Mitteln, ohne rechtliche Beschränkungen, ohne jeglichen Skrupel“ vor, auf einem bisher „ungekannten Niveau“.

Bundesverfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang hatte schon vor zwei Jahren vor einem „Sturm“ Russlands gewarnt, bei dem China indes der „Klimawandel“ sei. Am Montag sagte er, aus dem Sturm sei ein „Hurrikan“ geworden, der von der Ukraine und dem Baltikum „mit Macht von Ost nach West“ ziehe. Haldenwang benannte „massive“ Cyberangriffe, Desinformationen wie die sogenannte Doppelgängerkampagne oder Drohnenflüge über Kasernen und Anlagen Kritischer Infrastruktur.

Auch das DHL-Paket, das im Juli kurz vor der Verladung in ein Flugzeug in Leipzig explodierte und einen Frachtcontainer in Brand setzte, führte er mit auf. Wäre der Brandsatz etwas später auf dem Flug gezündet, wäre es zum Absturz gekommen, sagte Haldenwang. „Die Trümmer hätten hier in Deutschland auch all die Menschen treffen können, die mit Putin und seinem Regime sympathisieren.“ Tatsächlich gab es Glück in dem Fall: Das Flugzeug war damals verspätet, das Paket deshalb noch nicht verladen. Zu dem Vorfall ermittelt inzwischen die Bundesanwaltschaft. In Polen und Großbritannien gab es ähnliche Vorfälle.

Gefahr eines Nato-Bündnisfalls

BND-Chef Kahl warnte, Putin werde fortlaufend „rote Linien“ des Westens austesten und die „Konfrontation weiter eskalieren“. Die „Feinderklärung“ auch an Deutschland sei dabei längst geschehen. Russland ziele bei Weitem nicht nur auf die Ukraine, sondern auf eine neue Weltordnung. Kahl warnte auch, dass das Risiko steige, dass es zu einem Nato-Bündnisfall komme. Russland rüste massiv auf, investiere hier in diesem Jahr einen mittleren dreistelligen Milliarden-Euro-Betrag. Laut Kahl wären russische Streitkräfte ab Ende des Jahrzehnts in der Lage, einen Angriff auf die Nato durchzuführen – und vorher werde versucht, die Bündnisländer zu spalten.

Auch Martina Rosenberg, Präsidentin des Militärischen Abschirmdienstes der Bundeswehr, nannte die russischen Ausspähversuche „besorgniserregend“. Sie zwängen zu „erhöhter Wachsamkeit“. Gerade die Bundeswehr stehe hier im Fokus: wegen deutscher Waffenlieferungen an die Ukraine, der Ausbildung ukrainischer Soldaten, hiesiger Rüstungsprojekte oder der Stationierung einer deutschen Brigade in Litauen.

Die Prä­si­den­t*in­nen sprachen am Montag bei der alljährlichen öffentlichen Anhörung im Parlamentarischen Kontrollgremium der Geheimdienste im Bundestag, der inzwischen achten. Das Gremium tagt sonst hinter verschlossenen Türen.

Sahen die Sicherheitsbehörden anfangs vor allem russische Desinformation und Cyberangriffe in Deutschland, sollen sie zuletzt zunehmend auch Sabotagefälle gezählt haben, die sie Russland zurechnen. Einer wurde im April wohl vereitelt: Da nahm die Bundesanwaltschaft zwei Deutschrussen fest, die unter anderem den Truppenübungsplatz im bayrischen Grafenwöhr ausgespäht und sich zu Anschlägen bereit erklärt haben sollen.

Bis Jahresende wird über AfD-Einstufung entschieden

Die Sicherheitsbehörden sehen auch ein neues Muster, wie Russland vorgeht: Auch weil zuletzt europaweit rund 700 russische Agenten ausgewiesen wurden, bediene sich Moskau inzwischen sogenannter „Low Level Agents“ – Kleinkriminelle, die über Telegram nur für Ausspäh- oder Sabotageaktionen angeworben und bezahlt würden.

Haldenwang warnte auch vor islamistischen Gefahren. Die Gewaltbereitschaft der Szene wachse, der Terrorismus sei zurück in Europa, die Welle des Antisemitismus „eine Schande“ für Deutschland. Die größte Bedrohung für die Demokratie bleibe aber der Rechtsextremismus, sagte der Verfassungsschutzchef. Er verwies auf die AfD, die zuletzt bei der konstituierenden Sitzung des Thüringer Landtags die demokratischen Prozesse „ad absurdum“ geführt habe. Dies sei „vielleicht ein Vorgeschmack auf das, was uns noch bevorsteht“. Haldenwang kündigte an, dass es noch in diesem Jahr ein neues Prüfergebnis seines Amts zur AfD geben werde – entweder eine Fortführung der Einstufung als rechtsextremer Verdachtsfall oder eine Hochstufung als bundesweit gesicherte rechtsextreme Partei.

Alle drei Ge­heim­dienst­che­f*in­nen warben zudem für weitere Befugnisse für ihre Dienste. Er mache sich „ernsthafte Sorgen“, dass immer mehr Kontrolle und Einschränkungen zulasten der „Effizienz“ der Dienste gehe, sagte BND-Präsident Kahl. Es brauche „deutlich mehr operative Beinfreiheit“. Die Ampel kommt dem bereits entgegen: Mit dem geplanten Sicherheitspaket soll der Verfassungsschutz etwa mehr Möglichkeiten für Finanzermittlungen bekommen – und die Polizei die Möglichkeit einer biometrischen Gesichtserkennung anhand von Fotos aus dem Internet.

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4 Kommentare

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  • Wie naiv soll man bitte sein? Geheimdienste haben es so an sich, dass ihr Operieren geheim ist. Merkwürdig ist aber, dass hier für mehr "Freiheit" geworben wird, obwohl zumindest vom BND schon hinlängig bekannt ist, dass er diese für politische Einflussnahme missbraucht hatte. Über die braunen Wurzeln wurde auch erst kürzlich wieder auf ARD in der Dokumentation "Mörder bevorzugt" berichtet.



    Der BfV hatte vor nicht allzu langer Zeit unter Hans-Georg Maaßen auch rechtspopulistisch als rechtsstaatlich von sich Reden gemacht.



    Das das BAMAD ebenso rechts ist erschließt sich ebensoschnell, wenn man einen Blick auf die jüngsten Bundeswehr-Skandale wirft. Rassismus ist dort jedenfalls kein Thema: Dort kann man auch schon einmal einen schwarzen Offiziersanwärter mit den "freundlichen" Worten begrüßen, dass "endlich wer zum Schuheputzen" käme. Oder man teilt wie Whatsapp "lustige" Bukkake-Bilder mit der Unterschrift "ich wollte nur den Asylanten helfen"... jaja alles erlebt. Nur warum werden diese Leute von dem ach so gewissenhaften MAD nicht aussortiert.. ?



    Jetzt wollen wir wahrscheinlich alle einen Prinz Reuß II, da der erste Putsch der Bundeswehr nicht geklappt hat. Danke Geheimdienste!

  • So sieht's aus. Aber wir schlafwandeln weiter, lassen Frau Wagenknecht ihr russische Propaganda verbreiten, am liebsten über die Medien, und pissen den Amis an's Bein: Sollen sie doch ihre Raketen mal schön bei sich daheim lassen. Und die Putinfreunde im Osten warten auf den Tag X. Schönes vereintes Deutschland.

    • @shitstormcowboy:

      Das sehe ich wie Sie, dankeschön

    • @shitstormcowboy:

      leider haben Sie so was von Recht - es ist beschämend, wie viele naiven Dumpfb... BWK und AFD folgen!