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WirtschaftsnobelpreisEs kommt Bewegung in den Wahnsinn

Ulrike Herrmann
Kommentar von Ulrike Herrmann

Die Volkswirtschaftslehre ignorierte lange Probleme wie Ungleichheit und Klimaschutz. Die neuen Nobelpreisträger stehen für ein Umdenken.

Daron Acemoglu, Simon Johnson und James A. Robinson Foto: Christine Olsson//TT/ap

W as würden Laien wohl sagen, wenn man sie fragte, was die drei wichtigsten Themen sind, um die sich Volkswirte kümmern sollen? Die Antwort dürfte eindeutig ausfallen: Ungleichheit, Geld, Klimaschutz.

Doch zu diesen Themen kam von den meisten Volkswirten lange nichts Vernünftiges. Die dominierende Neoklassik hatte sich in ihrem Glauben an den „Markt“ gemütlich eingerichtet. Zum Thema Ungleichheit behauptete sie, dass jeder verdient, was er verdient. Die Armen seien arm, weil sie „unproduktiv“ seien. Das Phänomen Macht kam nirgends vor.

Ähnlich dämlich waren die Ansätze beim Thema Geld. Die weltweite Spekulation wurde von den meisten Ökonomen konsequent ignoriert – und stattdessen dekretiert, dass sich die Finanzmärkte niemals irren könnten.

Auch beim Klimaschutz ist dieser Marktglaube bis heute dominant: Ein CO2-Preis soll alles richten. Die meisten Ökonomen fragen sich nie, ob es physikalisch oder technisch überhaupt möglich ist, genug erneuerbare Energie herzustellen, um ewiges Wachstum zu garantieren.

Merkwürdiger Preis

Die Volkswirtschaftslehre ist also eine seltsame Wissenschaft – und die Nobelpreise für Ökonomie sind sogar noch merkwürdiger. Sie wurden 1968 von der Schwedischen Reichsbank erfunden, um neoliberale Theorien mit einem hübschen Titel zu adeln.

Aber langsam kommt Bewegung in den Wahnsinn. Die weltweite Finanzkrise ab 2007 hat den Marktglauben erschüttert, und selbst die Schwedische Reichsbank ist seit einigen Jahren bereit, realitätsnahe Ökonomen auszuzeichnen.

Dazu gehören die diesjährigen Preisträger: Daron Acemoğlu, Simon Johnson und James Robinson haben sich mit der Frage befasst, warum viele Länder arm bleiben, obwohl sie sich entwickeln könnten. Die Antwort: Diese Staaten werden von einer kleinen Elite ausgeplündert, wie das etwa in Lateinamerika zu beobachten ist.

Andere hätten es mehr verdient

Aber auch dieser „institutionelle“ Ansatz hat Schwächen: Die drei Ökonomen konzentrieren sich vor allem auf Eigentumsrechte. Die Rolle von hohen Löhnen, Gewerkschaften oder einer gerechten Steuerpolitik kommt nicht vertieft vor. Diese Lücke wurde von anderen Ökonomen geschlossen – vor allem von den beiden Franzosen Emmanuel Saez und Gabriel Zucman.

Sie haben völlig neue Datensätze erschaffen, die die globale Steuerflucht und Steuergestaltung dokumentieren. Dieses Modell hätte den Nobelpreis für Ökonomie tatsächlich verdient – aber dafür müsste die Schwedische Reichsbank in der Wirklichkeit ankommen.

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Ulrike Herrmann
Wirtschaftsredakteurin
Der Kapitalismus fasziniert Ulrike schon seit der Schulzeit, als sie kurz vor dem Abitur in Gemeinschaftskunde mit dem Streit zwischen Angebots- und Nachfragetheorie konfrontiert wurde. Der weitere Weg wirkt nur von außen zufällig: Zunächst machte Ulrike eine Banklehre, absolvierte dann die Henri-Nannen-Schule für Journalismus, um anschließend an der FU Berlin Geschichte und Philosophie zu studieren. Sie war wissenschaftliche Mitarbeiterin der Körber-Stiftung in Hamburg und Pressesprecherin der Hamburger Gleichstellungssenatorin Krista Sager (Grüne). Seit 2000 ist sie bei der taz und schreibt nebenher Bücher. Ihr neuester Bestseller heißt: "Das Ende des Kapitalismus. Warum Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind - und wie wir in Zukunft leben werden". Von ihr stammen auch die Bestseller „Hurra, wir dürfen zahlen. Der Selbstbetrug der Mittelschicht“ (Piper 2012), „Der Sieg des Kapitals. Wie der Reichtum in die Welt kam: Die Geschichte von Wachstum, Geld und Krisen“ (Piper 2015), "Kein Kapitalismus ist auch keine Lösung. Die Krise der heutigen Ökonomie - oder was wir von Smith, Marx und Keynes lernen können" (Piper 2018) sowie "Deutschland, ein Wirtschaftsmärchen. Warum es kein Wunder ist, dass wir reich geworden sind" (Piper 2022).
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15 Kommentare

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  • Masche Volkswirtschaften, die von Lebensmittelimporten u. a. alltäglichen Importgütern abhängig sind, über Rohstoffe, Gas, Kohle, Öl, seltene Erden, Lithium, Kobalt, Kupfer, Natururan verfügen, trotz guter Ausgangslage für Entwicklung, Wohlstand von intransparent dritter Seite in Armut, Bildungs-. Infrastrukturnotstand bei Daseinsvorsorge, Ruinerfahren, könnte sein, währungsschwache an währungsstarke Währungsräume anzukoppeln mit überhöht festen statt flexiblen Kursen, damit kollaborierende Eliten mit konvertierbarer Kaufkraft in New York, London, Berlin, München, Brüssel, Paris Shopping gehen können zulasten Mehrheitsbinnenkaufkraft in ihren Ländern, aktuell argentinischer Peso einmal mehr an den US $ gekoppelt wurde



    Anderes Beispiel Eurozone EU riskiert seit € Gründung 1999 politisch Klumprisiko durch Ankoppeln französisch postkolonialer CFA Franc Währungszone in dessen Ex- Kolonien, 14 Sahelzone Staaten mit CFA Franc Landeswährung: Benin, Burkina Faso, Guinea-Bissau, Elfenbeinküste, Mali, Niger, Senegal, Togo, Kamerun, Zentralafrikanische Republik, Tschad, Kongo, Äquatorialguinea, Gabun bei 180 Millionen Einwohnern, mit überbewertet festem Kurs seit 2002 an EZB € gekoppelt

  • Es gibt keinen Nobelpreis für Wirtschaftsastrologie.

  • Ich kann Ulrike Herrmanns Einspruch auch bei dieser Entscheidung des Nobel-Komitees nachvollziehen. Aber geht es heute nicht um eine komplette Neubestimmung einer Ökonomie, die von den Bedürfnissen einer MEHRHEIT ausgehen müsste, die eben nicht von feudalen oder Profitineressen einer Minderheit bestimmt wird. Wenn sich Versorgung und Überleben so organisiert wird, dass jede/r seinen Anteil am gesellschaftlichen Reichtum über ein RECHT auf Arbeit und damit Auskommen, Emanzipation (=Bildung) sowie Unterkunft garantiert bekommt als Kernpunkt einer anderen Freiheit, als einen Zugriff auf (ererbten) oder nicht selbst erreichten Reichtum als der aus Freibeuterzeiten entwickelte Freiheitsbegriff, zum Beispiel juristisch sanktioniert durch ein 'Grundgesetz'. Der in der klassischen Ökonomie als Wohlstandsbringer verstandene (und Verschwendung und Klimakrise mit sich bringende) Kapitalismus führt letztenendes doch zur Ungleichheit, wenn die Marktmechanismen versagen und Menschen (auch als Kunden) dank neuesten Technologien und Computern (in einem auch nicht mehr funktionsfähigen) System überflüssig werden und Schwurblern und Nazis auf den Leim gehen, um überhaupt noch beachtet zu werden.

  • Nein Taz, nicht auch noch du,

    es gibt keinen "Wirtschaftsnobelpreis"!

    Herr Nobel würde sich im Grab umdrehen. Es ist zum Heulen...

  • DAS untersucht & dokumentiert kein Wirtschaftswissenschaftler, der nicht "den Ast absägen will, auf dem er sitzt!"



    Denn wie lautet der alte Satz:



    "Kapital ist wie ein scheues Reh! Wenn das erschreckt wird, ist es ganz schnell weg!"



    Ps. Das wir die "Oasen" leicht stilllegen könnten, wenn wir denn wollten, z.B. Irland. Niederlande, Panama, "die Inseln"... reden wir besser nicht drüber! :-(

  • Immer wieder ist auch die Rolle der Weltbank und des IWF im Zusammenhang mit der zementierten Ungleichheit und vertieften Abhängigkeit von Volkswirtschaften adressiert worden. Es sind politische Fragen mit Systemrelevanz, die sich nach den profunden Analysen der Wissenschaftler:innen dann eigentlich zwangsläufig irgendwann stellen müssen.



    /



    "De facto dient der IWF auch als Gatekeeper zu weiteren multilateralen und bilateralen Finanzierungen sowie zum Schuldenerlass durch öffentliche Gläubiger. Diese machen ein IWF-Programm zur Voraussetzung, um mit kritisch verschuldeten Ländern überhaupt nur über die Restrukturierungen ihrer Schulden zu verhandeln. Die Rolle des IWF ist daher weitaus stärker, als es dem Umfang seiner eigenen Kreditvergabe entsprechen würde."



    /



    Quelle



    www.ipg-journal.de...der-schulden-7034/

  • Schonn. Frauman kann das bei allem Bemühen der Rettung dieser nunja Wertungswissenschaft durch Ulrike Herrmann mit einem vergleichbaren Aperçu - zu einer ähnlich gestrickten Materie gehörig ins Licht 💡 setzen!Woll



    “Es gibt keinen Nobelpreis für Jura. Dieser Mangel ist an sich kein Grund zur Sorge, da die Disziplin des Rechtswesens voller eigener Auszeichnungen steckt. Ein gewisser Grund zur Sorge besteht jedoch darin, dass die Rechtswissenschaft nur sehr wenige Beispiele für die Art von Beiträgen zur Menschheit liefert, die einen Nobelpreis verdienen.“ - 🙀🥳🥺 -



    repository-law-umi...t%20Nobel%20prizes.

    Never mind and always at your servíce -

    • @Lowandorder:

      ERRATA avec he techné - Who knows

      War als Antwort zu @STOFFEL - 🙀 -



      Justitia distributiva & Tusch -



      Geht - Zu guter Letzt - auffen ollen Busch

      Daneben

      Stoffel hackte mit dem Beile.



      Dabei tat er sich sehr wehe,



      Denn er traf in aller Eile



      Ganz genau die große Zehe.

      Ohne jedes Schmerzgewimmer,



      Nur mit Ruh, mit einer festen,



      Sprach er: Ja, ich sag es immer,



      Nebenzu trifft man am besten.

      unterm——servíce



      www.wilhelm-busch-...ichte/letzt20.html - 🍻 -



      “Verteilungs- oder Ergebnisgerechtigkeit, auch distributive Gerechtigkeit (lateinisch iustitia distributiva), bezeichnet die Bewertung der Art und Weise, wie die Menge der in einer Sozialen Gruppe vorhandenen Güter auf deren Mitglieder verteilt wurde. Sie ist Teil der Sozialen Gerechtigkeit und Voraussetzung für die Soziale Gleichheit: Fehlende Verteilungsgerechtigkeit bestimmt in modernen Staaten die Spanne zwischen Armut und Reichtum.“



      Womit mer wieder mittenmang - aber eben nicht beie 🥇 🏆🎖️🥈🥉🥇sünn!



      Normal! Woll



      de.wikipedia.org/w...lungsgerechtigkeit

  • taz: *Die meisten Ökonomen fragen sich nie, ob es physikalisch oder technisch überhaupt möglich ist, genug erneuerbare Energie herzustellen, um ewiges Wachstum zu garantieren.*

    Natürlich fragen Ökonomen sich so etwas nicht, sonst wären sie ja auch Physiker oder Ingenieure. Aber wie man den Klimawandel mit noch mehr Wirtschaftswachstum 'besiegen' kann, wissen Ökonomen anscheinend ganz genau. Ein weiteres Wirtschaftswachstum lässt nur den Klimawandel stetig ansteigen, das blendet man aber immer noch gerne aus. Übrigens kann die Wirtschaft nicht ewig wachsen (wie alles andere auch nicht ewig wachsen kann). Um das zu begreifen muss man auch kein studierter Ökonom sein, dazu reicht der gesunde Menschenverstand vollkommen aus.

    taz: *Die Volkswirtschaftslehre ist also eine seltsame Wissenschaft – und die Nobelpreise für Ökonomie sind sogar noch merkwürdiger. Sie wurden 1968 von der Schwedischen Reichsbank erfunden, um neoliberale Theorien mit einem hübschen Titel zu adeln.*

    Das wusste ich nicht, aber jetzt wird mir so einiges klar.

  • Und dafür gibt es den Nobelpreis? Is a besserl dürftig.

    • @Stoffel:

      Es ist ja eben kein Nobelpreis, sondern nur der "Preis der Schwedischen Nationalbank in Wirtschaftswissenschaft in Erinnerung an Alfred Nobel". Wie im Artikel angedeutet im Nachhinein von der Reichsbank eingekauft.



      Und wie sie schon richtig erfassen, ist der Beitrag der Ausgezeichneten zum Allgemeinwohl oft dürftig.

    • @Stoffel:

      Ich bin der Meinung, dass Ulrike Herrmann den zu Recht bekommen hat.



      [/ironie]

      • @starsheep:

        Frau Herrmann ist auf jeden Fall für jedwede öko-logische und -nomische Würdigung qualifiziert und prädestiniert, ob sie jetzt von einer Bank kommt, oder von Onkel Nobel.

    • @Stoffel:

      Stimmt, aber wie der Artikel schon erwähnt, es handelt sich nur um den Zitat:



      "Alfred-Nobel-Gedächtnispreis für Wirtschaftswissenschaften" der 1968 von der Schwedischen Reichsbank erfunden wurde, um neoliberale Theorien mit einem hübschen Titel zu adeln.

      • @Semon:

        Vielleicht sind diejenigen hier mit zu benennen, die mit der gnadenlosen Stützung des "ancienten Systems" die darauf folgenden kritischen Arbeiten der aktuellen Preisträger erst richtig beflügelt haben.



        Irrungen bei Preisen sind "Berufsrisiko" für die Komitees, nicht nur bei Frieden und Naturwissenschaften.



        "Kandidaten für Wirtschaftsnobelpreis



        Eine zweifelhafte Ehre



        An diesem Montag wird eine Auszeichnung vergeben, die selbst manche Empfänger schon abschaffen wollten: Der Wirtschaftsnobelpreis ging lange an die Prediger einer kaum beschränkten Ökonomie. Zuletzt wurden oft Marktkritiker ausgezeichnet - die auch 2012 zum Kreis der Favoriten zählen."



        spiegel.de 2012 als Quelle