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Verschobener Ukraine-GipfelBidens Absage kommt zur Unzeit

Kommentar von Barbara Oertel

Wegen des Hurrikans Milton hat US-Präsident Biden seine Reise zum Ukraine-Treffen für weitere Militärhilfen abgesagt. Die Ukraine trifft das hart.

Ein 14-jähriger Junges steht nach einem Luftangriff vor den Trümmern seiner Wohnung in Saporischja Foto: reuters

D ie Menschen in der Ukraine leben von Tag zu Tag, von Angriff zu Angriff – so, als gebe es kein Morgen – nolens volens wohlgemerkt. Gebannt starren sie auf jedes Treffen ihrer westlichen Verbündeten, wohl wissend, dass deren schwindende Geberlaune und ein wachsender Druck auf Kyjiw, sich endlich an den Verhandlungstisch zu begeben, den Anfang vom Ende der Ukraine bedeuten könnte.

Ausgerechnet jetzt sagt US-Präsident Joe Biden seine Teilnahme an einem hochkarätigen Ukraine-Treffen in Ramstein ab und lässt damit den gesamten Gipfel platzen. Ob der erwartete Jahrhunderthurrikan „Milton“ im Bundesstaat Florida der einzige Grund für den Rückzieher ist, sei dahingestellt, doch Fakt ist: Die Absage kommt zur Unzeit und trifft die Ukraine ins Mark.

Die Lage an der Front vor allem im Osten des Landes ist desolat. Stück für Stück kämpfen sich die russischen Truppen vor, zwar unter hohen Verlusten, aber das hat im Kreml noch nie jemanden interessiert. Dank gut gefüllter Gefängnisse und Straflager, in denen gerne rekrutiert wird, gibt es offensichtlich noch reichlich Kanonenfutter.

Demgegenüber gehen den ukrainischen Streitkräften die personellen Ressourcen und Kräfte aus. Unüberhörbar sind die Rufe derer, die sich seit über zweieinhalb Jahren in den Schützengräben aufreiben, doch die angekündigte Rotation greift kaum. Immer häufiger werden Fälle von Soldaten bekannt, die der Belastung nicht mehr standhalten und sich der Hölle durch Desertion zu entziehen versuchen.

Steuererhöhungen gegen das Loch im Staatshaushalt

Das Parlament hat jetzt ein Gesetz verabschiedet, wonach bis zum 25. Lebensjahr niemand gegen seinen Willen eingezogen werden darf. Dieser Schritt erfolgt wohl nicht nur, weil die Demografie in eine Schieflage geraten ist. Vielmehr dürfte es auch darum gehen, einem wachsenden Unmut in der Gesellschaft entgegenzuwirken.

Auch finanziell steht Kyjiw trotz bislang noch umfangreicher Hilfen aus dem Westen mit dem Rücken zur Wand. Russlands Angriffskrieg hat ein riesiges Loch in den Staatshaushalt gerissen, das die Regierung durch massive Steuererhöhungen schließen will. Das dürfte die Ukrai­ne­r*in­nen empfindlich treffen, die nicht wissen, wie lange dieser Wahnsinn dauern wird. Noch keimt die Hoffnung, der Gipfel werde zeitnah nachgeholt– doch wer weiß das schon.

As long as it takes? „Die USA lassen uns im Stich“ ist eine Aussage, die aktuell in ukrainischen sozialen Medien die Runde macht. Sollte der schlimmste Fall eintreten und Donald Trump im November ins Weiße Haus gewählt werden, könnte das ganz schnell Realität werden.

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Ressortleiterin Ausland
Geboren 1964, ist seit 1995 Osteuropa-Redakteurin der taz und seit 2011 eine der beiden Chefs der Auslandsredaktion. Sie hat Slawistik und Politikwissenschaft in Hamburg, Paris und St. Petersburg sowie Medien und interkulturelle Kommunikation in Frankfurt/Oder und Sofia studiert. Sie schreibt hin und wieder für das Journal von amnesty international. Bislang meidet sie Facebook und Twitter und weiß auch warum.
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8 Kommentare

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  • Das Problem dabei ist:



    Für die Russen ist dies ein Krieg im Nachbarland, wo strategische Kerninteressen berührt sind.



    Für die Amis ist das ein Krieg "Irgendwo in Eurasien", so wie Vietnam, Irak, Afghanistan. Am Ende des Tages eben nicht Kuba oder Mexiko.



    Und wer Realist war, konnte dies schon sehen.

  • Bidens Absage kommt nicht zur Unzeit, sondern ist eine logische Folge des Unwetters in den USA. Und ja, auch dort geht es um viel Geld. Da bleibt natürlich die Frage: Gebe ich das für mein Land aus oder finanziere ich damit einen Krieg. Ich meine hier: USA first



    Siehe: www.spiegel.de/aus...-8a34-cde4aad97d63

  • "As long as it takes? „Die USA lassen uns im Stich“"

    Letztendlich sind solche Zusicherungen immer mit Vorsicht zu genießen wie die Geschichte zeigt. Das weiß eigentlich auch Selenski. Vermutlich ist das vielen Bürgern der Ukraine nicht klar was mir natürlich sehr Leid tut.

    Der USA geht es (verständlicherweise) vor allen Dingen um ihre geopolitische Ziele und Sicherheitsinteressen.

    Ein NATO - Beitritt der Ukraine und/oder von Georgien wäre da zwar wünschenswert gewesen, aber er ist nicht essentiell wichtig.



    Die USA halten zu Recht Russland für einen imperialistischen Staat, der nicht bereit ist seine Einflusssphäre zu verkleinern. Anders als in Europa geht man aber in Washington nicht davon aus, dass Moskau versuchen wird seine traditionelle Einflusssphäre zu vergrößern. Natürlich ist Moskau Denken und Handeln völkerrechtswidrig und auf das Schärfste zu verurteilen, aber die Risikoanalyse fällt dann natürlich ganz anders aus. Washington wird sich vermutlich nach den Wahlen mit Moskau einigen und Europa wird wahrscheinlich nicht versuchen eine Einigung zu torpedieren. Letztendlich wird dadurch auch unsere Sicherheit geschützt.

  • Einerseits braucht die Ukraine rasch Hilfe, und der Westen könnte sie ihm geben.



    Andererseits ist in den USA bald Wahl. Auch im Interesse der Ukraine gewinnen besser die Demokraten, und die wohl eigentlich sonst hinfliegende Vizepräsidentin hat da ja gerade auch etwas zu tun. Ein Verteidigungsminister wäre aber zu niedrig aufgehängt.

    Schade also, aber doch auch verständlich.

  • Die europäischen Länder könnten ja einfach mal anfangen, die Ukraine so zu unterstützen, wie es nötig wäre.

    Warum nicht einfach unabhängig von den USA alles an Waffen liefern, was verfügbar ist und parallel dazu neu produzieren. Wir werden die Waffen sowieso brauchen, wenn Putin weiter vorrückt.

  • Putin hat seine "Verbündeten" also auch bei den Wettergöttern?



    Stay strong Ukraine!

  • Die Kommentatorin sieht den Wald vor lauter Bäumen nicht.



    Einmal über den eigenen Schlusssatz nachgedacht, fällt doch auf, dass Biden wenig Wahl hat, als innenpolitisch stark zu agieren, sodass Trump nicht gewählt wird. Dann muss er den Gipfel absagen, wenn es einen riesigen Notstand im eigenen Land gibt.

  • Es hilft nichts, der Druck auf Moskau muss schneller erhöht werden. Da haben die Ukrainer wohl schon länger recht.