Besorgniserregender Zustand: Die Kiefer ersetzt die Fichte
Die Bundeswaldinventur zeigt: Der Wald verändert sich rasant, vor allem die Fichte verschwindet. Ein positiver Effekt ist die Zunahme von Totholz.
Berlin taz | Das ganze Ausmaß der Krise im deutschen Wald hat diese vierte Bundeswaldiventur gar nicht erfasst, die Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) am Dienstag in Berlin vorgestellt hat. Amtlich erhoben ist, dass die Forste keine Senke für Treibhausgase mehr sind, sondern seit 2017 Kohlenstoff abgeben.
„Es ist, als ob die Klimaanlage heizt, anstatt zu kühlen“, sagte Özdemir. Vor sieben Jahren hatten zunächst Stürme die Bäume geschädigt, dann folgten sehr trockene Jahre mit zum Teil hohen Temperaturen. Schädlinge, wie Borkenkäfer oder Eichenprachtkäfer, vermehrten sich explosionsartig. Bäume starben massenhaft ab, die vorhandenen wuchsen langsamer.
Für die Klimabilanz Deutschland heißt das: Seit der letzten Kohlenstoffinventur 2017 ist der Kohlenstoffvorrat des Waldes um 41,5 Millionen Tonnen zurückgegangen. Entsprechend sind die Bäume weniger stark gewachsen. Getroffen hat es vor allem Fichten.
Der einstige „Brotbaum“ der Förster hat seit 2018 laut Bundeslandwirtschaftsministerium (BMEL) „erheblich an Bedeutung eingebüßt“. Sie findet sich noch auf 2,3 Millionen Hektar der insgesamt 11,5 Millionen Hektar Waldfläche in Deutschland. Somit haben die Fichtenbestände um 461.000 Hektar abgenommen, die häufigste heimische Baumart ist jetzt die Kiefer. Der Anteil von Buchen und Eichen hat im Vergleich zur Inventur 2012 zugenommen.
Laubbäume reagieren später auf Trockenheit
Für die Bundeswaldinventur haben die Bundesländer 100 „Inventurtrupps“ losgeschickt, die in ganz Deutschland rund 521.000 Bäume an fast 80.000 Stichproben vermaßen. Jede Stichprobe umfasste dabei ein Quadrat mit einer Seitenlänge von 150 Metern. Jeweils an den Ecken ermittelten die Trupps die Daten, die schließlich im dem BMEL unterstellten Thünen-Institut zusammenliefen und analysiert wurden.
Während der Datenerhebung 2022 waren die Schäden in den Fichtenbeständen schon deutlich zu erkennen. Laubbäume reagieren langsamer auf Trockenheit. Deshalb zeigten Buchen und Eichen erst in den vergangenen beiden Jahren, wie sehr sie unter den derzeitigen Bedingungen leiden. „Die Buche zeigt aktuell deutliche Schäden durch die Trockenheit und die hohen Temperaturen, die zum Zeitpunkt der Inventur noch nicht erkennbar waren“, heißt es im Bericht des BMEL. Den Eichen ergehe es ähnlich, ganze Bestände seien in Struktur und Existenz als Eichenwald gefährdet. Insofern ist es fraglich, ob die Berechnungen zur gespeicherten Kohlenstoffmenge der Waldiventur wirklich stimmen – die nächste Kohlenstoffinventur 2027 wird spannend.
Klaus Hennenberg, Experte für Wald und Biomassenutzung am Freiburger Öko-Institut, hält die Methode der Waldinventur deshalb nicht mehr für ausreichend, um über die Senkenfunktion des Waldes zu berichten. Er plädiert dafür, die zwar weniger umfassenden, aber jährlichen Daten aus den Waldzustandsberichten sowie Satellitenbilder zu nutzen, um Modellrechnungen über Holzzuwachs und gespeicherte Kohlenstoffmengen anzustellen, und diese Modelle dann zur Grundlage politischer Entscheidungen zu machen.
„Die Ergebnisse der Waldinventur liegen mit einer hohen zeitlichen Verzögerung vor“, sagt Hennenberg, „auf Basis der neuen Waldinventur liegen Ergebnisse für die Extremereignisse von 2018, 2019 und 2020 erst in 2025 vor“. Für eine zeitnah verlässlichere Klimaberichterstattung im Wald seien zusätzlich Modellergebnisse nötig, um die fundierten Zählungen der Waldinventur zu ergänzen, sagt Hennenberg.
Fichtensterben lässt Platz für Naturverjüngung
Während die Waldinventur im Bereich Klimaschutz eher negative Ergebnisse gebracht hat, sieht es im Bereich Artenvielfalt besser aus. So wachsen auf vielen ehemaligen Fichtenforsten junge Mischwälder heran, die von Laubbäumen geprägt sind. 91 Prozent der jungen Wälder entstehen laut Waldinventur dabei aus Naturverjüngung, also ohne gesonderte Saat oder Pflanzung. Dabei ermittelten die Inventurtrupps des Thünen-Instituts durchaus Unterschiede zwischen Wald in Privatbesitz und in staatlicher Hand. So ist der Anteil an Nadelbäumen in größeren Privatwäldern höher als in staatlichen oder kommunalen Wäldern.
Ein weiterer Kollateralnutzen des massenhaften Baumsterbens ist die gestiegene Menge an Totholz im Wald. Zahlreiche Pilze, Insekten und Pflanzen sind auf Totholz angewiesen, zudem trägt der Zersetzungsprozess zur Humusbildung des Waldbodens bei. Florian Schöne vom Deutschen Naturschutzring sieht die Ergebnisse der Waldinventur trotzdem äußerst kritisch: „Dass sich der Wald erstmals seit Jahrzehnten von einer Kohlenstoffsenke zur Kohlenstoffquelle entwickelt hat, ist ein fatales Signal und zeigt den dringenden politischen Handlungsbedarf, auch mit Blick auf die Klimaziele im Landsektor.“
Die Koalition habe noch die Chance, ein starkes Bundeswaldgesetz auf den Weg zu bringen, welches den Erhalt der Wälder ins Zentrum rückt und bundeseinheitliche Vorgaben für eine naturnähere Bewirtschaftung macht. Hierzu zählen unter anderem ein konsequentes Kahlschlagverbot, eine Begrenzung des Rückegassennetzes sowie konkrete Vorgaben für eine vorbildliche Bewirtschaftung öffentlicher Wälder, so Schöne.
Leser*innenkommentare
Lichtenhofer
Die Fichte dürfte als quasi immergrüner Nadelbaum für sich gesehen ein besserer CO2-Speicher als Laubbäume sein. Da früher aber verbreitet als Monokultur und an ungeeignten Standorten geforstet, ist sie einerseits besonders anfällig für Borkenkäferbefall und Abgang bei Trockenheit und hat man man ohnehin begonnen ihre Bestände hin zu standortgerechtem Mischwald umzubauen. Dass dabei ihr Anteil an der CO2-Senke extrem eingebrochen ist und die Bilanz so insgesamt hinuntergezogen hat, ist verständlich und dürfte durch den standortgerechten Umbau hin zu robusterem Laubmischwald waldbaulich nach und nach weitgehend kompensiert werden. Was sich aber nicht kurzfristig in der Bilanz niederschlägt.
hans darnok
Habe von meinen Schwiegereltern ein kleines Waldgrundstück geerbt. In diesem Wald sind fast ausschließlich Fichten mit ein paar wenigen Eichen. Die Fichten sind alle über 80/90 Jahre alt. Fichten sind nach ca. 80/90 Jahren am Ende ihres Lebenszyklus. Nach dem zweiten Weltkrieg wurden viele Bäume für den Wiederaufbau gefällt und es wurden damals viele Fichten gepflanzt, die jetzt am Ende ihres Lebenszyklus sind. Ich habe dann vor 5 Jahren 400 neue Tannen, 50 Douglasien und 350 Laubbäume (Ahorn, Wildbirne, Schwarznuss, Eichen, Buchen) gepflanzt. Diese jungen Setzlinge brauchen sehr viel Pflege. z.B Verbissschutz gegen Rehe (hier habe ich die Setzlinge zweimal jährlich mit Schafwolle eingewickelt und kein Plastik verwendet), Beseitigung von Dornenstauden, die die Setzlinge überwuchern. Die letzten zwei Jahre habe ich die Pflege drastisch reduziert aufgrund der stark angestiegenen Spritpreise ( das Waldstück liegt in 20km Entfernung).
Von den über 800 Setzlingen sind jetzt keine 400 mehr sichtbar. Solange die Wiederaufforstung nicht massiver unterstützt wird, werde ich keine neuen Setzlinge mehr pflanzen. Ich hätte noch Flächen für weitere 1000 Setzlinge. (davon zum Teil auch Grünland)
Andreas Dahlinger
Das Problem sind die (jetzigen) Grünen. Cem Özdemir ist nichts als ein Rohrkrepierer. Er hat schon im Kampf gegen die etablierte Bauernlobby nichts durchgesetzt, was eine grüne Handschrift verrät. So auch im neuen Bundeswaldgesetz, was jetzt auf dem Tisch liegt. Umweltpolitisch eine einzige Katastrophe nach dem Motto "weiter so". Die Grünen müssen sich nicht wundern, dass selbst ihre Stammwähler abwandern
Lichtenhofer
@Andreas Dahlinger Nö, weder die Grünen noch Özdemir persönlich sind verantwortlich für den schlechten Zustand der Waldökosysteme und ihrer Bewirtschaftung oder für Verschleppungen und negative Begleitumstände bei ihrer standortgerechten und nachhaltigen Diversifizierung!
Wolfgang Amadeus
Man sollte keinen einzigen Baum mehr fällen und die Natur einfach machen lassen. Jeder gefällte Baum ist angesichts der Klimakrise ein Verbrechen. Siehe dazu z.B. Videos von Peter Wohlleben.
Mr. woodkraft
@Wolfgang Amadeus Genau: viel Spaß beim CO2-emittieren durch Totholzüroduktion
Stoersender
Der deutsche Wald muss weg! Er ist zu einem Problem für den Klimawandel geworden. Vertikales Indoor-Farming mit Solardächern und in den Gebäudeschluchten Windturbinen zur Energieerzeugung für Erdgas-Fracking durch CO2-Einbringung, damit die Rechenzentren in klimatisierten Bunkern laufen und laufen und
Egal wer da gewählt wird und wer wirklich regiert, solange der normale Konsumirrsinn als höchster Ausdruck von Freiheit und Selbstverwirklichung gilt, wird sich nichts ändern.
denkenmachtschön
"Ein positiver Effekt sind steigende Mengen an Totholz."
Im zitierten Bericht liest sich das aber etwas anders:"Die Zunahme des Totholzanteils um 32 Prozent ist sowohl ein positives als auch ein negatives Zeichen."
Tom Farmer
@denkenmachtschön Totholz verrottet und setzt CO2 frei. Daher nicht mehr Senke, sondern Emittent.
Nikolai Nikitin
@Tom Farmer Die Bäume in unseren Köpfen
www.cicero.de/kult...eren-koepfen/42020
Nikolai Nikitin
@Tom Farmer Richtig, aber auch Habitat für Zig-Illionen von Insekten.
Brot&Rosen
das ist seit mehr als 40 jahren eigentlich klar, schon damals gabs das problem "waldsterben", daß mischwälder her müssen. passiert ist wenig, im osten scheints noch schlimmer als im westen zu sein, nur mal so meine privaten beobachtungen, ergebnisse + vergeiche ost-west: keine ahnung. im osten ist mir die kiefer-monokultur aufgefallen, die scheint doch recht anfällig für waldbrände zu sein?
Wurstfinger Joe
@Brot&Rosen Die Kiefer kommt mit der Trockenheit der brandenburgischen Streusandbüchse am besten zurecht, allerdings ist das auch sehr harziges Holz und brennt damit auch sehr gut. Deshalb wurde diese Baumart bevorzugt angepflanzt und nebenher auch noch mit Waldbrandwachtürmen gesichert. In den Mittelgebirge und in deren Vorland war eher Fichte und verschiedene Laubhölzer die Regel.
rero
@Brot&Rosen Kiefern lassen viel Licht durch.
In älteren Kiefernmonokulturen wächst unter den Bäumen viel Gras und Heidelbeeren. Hinzu kommen die herabgefallenen Nadeln.
Wenn das alles trocken ist, brennt das wie Zunder.
In einem richtigen Buchenwald als Gegenbeispiel wächst unten fast nichts, die Buchen mit ihren dichten Kronen das Licht fast komplett auffangen.
Ob da jetzt Ost-West-Vergleiche hilfreich sind, weiß ich nicht.
In Brandenburg ist es eine Frage des Bodens, weshalb dort so viele Kiefern angepflanzt wurden.
Waldumbau geht nicht innerhalb von 5 Jahren.
Aurego
Ich mochte Fichten noch nie besonders, daher werde ich ihnen nicht nachtrauern.
Am schönsten finde ich Mischwälder mit Eichen, nicht zu vielen Buchen, Ahorn, ein paar alten Kiefern und Birken.
Wer wärmeliebende Bäume sucht, kann es auch einmal mit Kastanien, Walnussbäumen und Platanen versuchen.
Stoffel
@Aurego Es gibt auch noch die Randfichtenö
Lebt denn der alte Holzmichel noch, Holzwickede noch ...
denkenmachtschön
@Aurego Am schönsten fände ich gesunde Wälder!
Und weil sie manche nicht besonders mögen, trauern sie ihnen nicht nach?
Ich trauere er den gesunden Bäumen nach. "80% der deutschen Waldbäume sind krank, 43% mit deutlich sichtbarem Blatt- und Nadelverlust."
Aurego
@denkenmachtschön Nun, es gibt Baumarten, die sehen auch nach 2-3 trockenen Sommermonaten noch recht gesund aus, z. B. die Eichen im Spessart.
Dass ein paar Bäume auch in einem sonst gesunden Wald krank sind, ist nicht allzu ungewöhnlich. Dass viele Bäume mit der Trockenheit nicht klarkommen, ist bekannt. Es gibt aber - wie gesagt - Baumarten, die einiges aushalten, aber die Fichtenmonokulturen, die man an manchen Orten kultiviert hat, sahen eigentlich noch nie gut aus. Darunter wächst auch praktisch nichts. Nur dunkle Lärchenwälder finde ich noch schlimmer ;)
denkenmachtschön
@Aurego "Dass ein paar Bäume auch in einem sonst gesunden Wald krank sind, ist nicht allzu ungewöhnlich."
80% sind vier von fünf Bäumen, und nicht ein paar!
"Großteil der Baumkronen geschädigt"
steht im aktuellen Waldzustandsbericht.
www.bundesregierun...richt-2022-2172592
Sicher haben sie ein Recht auf eine eigene Meinung, aber sie haben kein Recht auf eigen Fakten.
rero
@denkenmachtschön Aurego hat darauf hingewiesen, dass die Anfälligkeit sich nach der Zusammensetzung des Waldes richtet.
"Eigene Fakten " sind das nicht.
Zu den 80 % kranken Bäumen gehören die ganzen Fichten- und oft auch die Kieferplantagen.
Die hat Aurego in Ihrer Betrachtung rausgenommen.
Da 91% der jungen Wälder durch Naturverjüngung entstehen, werden wir in einigen Jahrzehnten einen einen sehr hohen Anteil an Wäldern haben, die gut an ihren Standort angepasst sind und deren Bäume deshalb viel resilienter sind.
Es gibt übrigens Studien, die prognostizieren, dass Eichen zu den Gewinnern des Klimawandels gehören könnten.
Auch da befindet sich Aurego also nicht jenseits der Fakten.