Waldzustandsbericht 2022: Fichte schlägt keine Wurzeln mehr

Dürre, Hitze und Landwirtschaft: Das Waldsterben in Deutschland schreitet immer mehr voran. Vier von fünf Bäumen sind erkrankt.

Aufforstung auf dem Gelände eines Fichtenwalds

Aufforsten gegen den Klimawandel? Junge Nadelbäume im Arnsberger Wald bei Hirschberg Foto: Jocjhen Tack/imago

BERLIN taz | Die Spitze abgeknickt, kein Grün an den Ästen, alles abgestorben: So steht eine Fichte neben der anderen an den Berghängen vielerorts im Harz. Die Fichte – bei der Holzwirtschaft beliebt, weil sie eigentlich schnell und gerade wächst und Bauholz liefert – leidet unter Dürre, Hitze und dem Borkenkäfer. Für ihn sind die geschwächten Bäume ein gutes Fressen. Waldbrände und Stürme erledigen ihr Übriges. Nicht nur im Harz.

„Die Fichte wird es in tieferen Lagen unterhalb von 700 Metern nicht schaffen, sie stirbt großflächig“, sagt Nicole Wellbrock, Expertin für Waldökosysteme am Thünen-Institut im Brandenburgischen Eberswalde. Sie hat die Erhebungen zum neuen Waldzustandsbericht koordiniert, den der grüne Bundesagrarminister Cem Özdemir am Dienstag vorgestellt hat. Es ist eine Art Bauminventur. „Der Wald ist ein Patient, der unsere Hilfe braucht“, resümierte Özdemir.

Forstwirte müssen sich Sorgen machen, alle anderen auch. Und zwar nicht nur, weil den Deutschen ein romantischer Hang zum Wald nachgesagt wird. Der Wald soll Holz liefern für Möbel und anderes, Tieren und Pflanzen ein Zuhause geben, die Luft kühlen, Trinkwasser einlagern, Jagdrevier und ein Ort der Erholung sein.

Und: Er ist fest eingeplant als Klimaschützer. Denn Holz bindet Kohlenstoff, wenn es wächst. Doch die Natur macht in einer Art schlapp, die selbst die Experten überrascht. Die Fichte stammt ursprünglich aus kühlen Gebieten oder Höhenlagen. Dass für sie der Klimawandel reiner Stress ist, verwundert Wellbrock nicht mehr. Doch die Picea Abies – so der lateinische Name – stirbt nicht allein. Plötzlich trifft es auch eine Baumart, von der es heißt, sie komme ­eigentlich mit den widrigsten Bedingungen zurecht: die Kiefer.

Sie, die Pinus sylvestris, gedeiht auf trockenen Sandböden, auf Felsen, an den Rändern von Mooren, trotzte der Erderhitzung lange. Mittlerweile wird es ihr aber doch zu heiß. Sie stirbt noch nicht in dem Maße wie die Fichte, die derzeit die höchste Mortalitätsrate aufweist. Sie schwächelt auch nicht so stark wie die Buche oder die Eiche. „Der Kiefer geht es aber so schlecht wie nie zuvor“, sagt Wellbrock.

Regionale Unterschiede

Die Diagnose im Einzelnen: Der Wald bedeckt ein Drittel der Fläche in Deutschland, vier von fünf Bäumen, die dort wachsen, sind krank. Nur noch 21 Prozent der Bäume verlieren gewöhnlich viele Blätter oder Nadeln, 35 Prozent weisen hingegen deutliche Schäden auf.

Dabei gibt es regionale Unterschiede, je nach Baumarten, Boden, Höhenlagen und Klima. In Nordrhein-Westfalen zeigen zum Beispiel bereits 38 Prozent der Bäume deutliche Schäden, in Hessen 39 Prozent, in Rheinland-Pfalz 41, in Baden-Württemberg 46, in Thüringen sogar 50. Dagegen sind es etwa in Bayern, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern jeweils 26 Prozent, in Brandenburg nur 20.

Die Kronenverlichtung, die den Blatt- und Nadelverlust beschreibt, gilt als Vitalitätsmaßstab: Je lichter, desto weniger Laub oder Nadeln, umso kränkelnder der Baum. Und es trifft alle vier wichtigen Baum­arten in Deutschland: Deutliche Schäden haben von den Buchen 45 Prozent, von den Eichen und Fichten jeweils 40 Prozent und von den Kiefern 28 Prozent. Noch 2018 waren es bei Kiefern erst 15 Prozent.

Nichts ist mehr astrein. Die Ausscheiderate, also der Anteil aller Bäume, die seit der vorangegangenen Erhebung abgestorben sind, liegt mit 6,7 Prozent nun höher als je zuvor. Es hat nicht viel geholfen, dass es im Jahr 2021 etwas mehr geregnet hat. Der Wald hat sich von den Dürren 2018, 2019, 2020 nicht erholt. Und das Klima komme jetzt „einfach on top“, zu belasteten und schon geschädigten Böden hinzu, sagt Wellbrock.

Landwirtschaft macht Bäumen zu schaffen

Bereits in den 1980er Jahren sprach man von einem Waldsterben: Damals fiel saurer Regen auf die Wälder. Dieser wurde durch Luftverschmutzung verursacht und belastete die Böden. Um den entgegenzuwirken, wurden zum Beispiel in Fabriken Filter eingebaut, der Rauch der Kraftwerke wurde gereinigt, so konnte sich der Wald kurzzeitig erholen. Nun machen Stickstoffeinträge aus der Landwirtschaft und Abgase aus dem Verkehr den Bäumen zu schaffen.

Der Stickstoff wirkt wie Dünger, die Bäume wachsen dadurch mehr, was sich zunächst gut anhöre, erklärt Wellbrock. Aber Buchen stecken dann zu viel Energie in das Holzwachstum und die vermehrte Fruchtbildung, heißt: in Bucheckern. Das sei ein Kraftakt – und die Reserven an anderen Nährstoffen würden aufgebraucht, an Kalium etwa. So entstünde ein Ungleichgewicht, das die Buche anfälliger mache. Es ist wie bei einer zu einseitigen Ernährung des Menschen. Der Boden versauert zudem, wenn zu viel Stickstoff da ist.

Doch wie kann den Wäldern geholfen werden? Wellbrock plädiert für eine Aufforstung und den Umbau zu „klimastabilen, standortangepassten“ Mischwäldern statt Monokulturen, in denen sich gefräßige Insekten schneller breitmachen. Seit November 2022 werden alle privaten und kommunalen Waldbesitzer dabei unterstützt, erklärte Agrarminister Özdemir am Donnerstag. Bis 2026 stünden dafür 900 Millionen Euro bereit. Der Wald soll so wieder grüner werden.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.