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Neonazis im InternetRechtsextremer Problemfall Telegram

Der Verfassungsschutz warnt in einer Analyse, wie vielfältig Rechtsextreme das Internet für sich nutzen. Vor allem Telegram bereitet ihnen Sorge.

Rechtsextreme können auf Telegram fast frei hetzen und sich vernetzen Foto: Dado Ruvic, Reuters

Berlin taz | Die Warnung ist deutlich. Rechtsextremisten würden inzwischen alle Kanäle im Internet nutzen – um für sich zu werben, sich zu vernetzen oder sich bis hin zu Terrortaten aufzuputschen. So notiert es das Bundesamt für Verfassungsschutz. Und vor allem der Messengerdienst Telegram macht dem Geheimdienst Sorgen: Dieser sei inzwischen „die zentrale Kommunikationsplattform des rechtsextremistischen Spektrums in Deutschland“ – fast ohne dass die Betreiber hier einschreiten würden.

Die Warnung geht aus einer aktuellen Analyse des Bundesamts hervor, die der taz vorliegt. Auf gut 50 Seiten wird darin ausgeführt, in welcher Breite Rechtsextremisten inzwischen im Internet ihre Botschaften verbreiten: auf Onlineportalen, Messengerdiensten, Gamingplattformen oder Imageboards, mit Trollaktionen oder in Onlinegames. Das Internet eröffne „Rechtsextremisten immer neue Möglichkeiten zu dessen Instrumentalisierung“, warnt der Verfassungsschutz. Agitation und Radikalisierung fänden dabei „schon lange nicht mehr“ in klassischen Onlineforen statt. Und das Internet sei der zentrale Raum für rechtsextremistische Radikalisierung.

Allen voran Telegram sehen die Verfassungsschützer dabei als Problem. Für Rechtsextreme sei der Messengedienst ein „nahezu unmoderierter und unregulierter digitaler Wirkungsraum“, heißt es in der Analyse. Telegram habe sich zur „Anker- und Sammelstelle verschiedener rechtsextremistischer Szenen entwickelt“, mit Großgruppen bis zu 200.000 Fol­lo­wer*­in­nen oder klandestinen, geschlossenen Kleingruppen. Hier werde Ideologie „ungefiltert verbreitet“, für rechtsextreme Veranstaltungen mobilisiert und für die Szene rekrutiert. Selbst konkrete Tötungsabsichten blieben oftmals unwidersprochen oder fänden gar Zustimmung.

Es finde ein starker „Echokammereffekt“ statt, eine Dynamik der permanenten Selbstbestätigung, die wiederum Radikalisierung befeuere. Gerade weil es nur selten zu Accountsperren oder anderweitigen Reglementierungen komme, sei Telegram in der Szene sehr beliebt.

Camouflage mit Lifestyle-Themen oder Fashwave

Aber auch andere Onlinephänomene besorgen den Verfassungsschutz. So nutzten Rechtsextreme ebenso Tiktok, Instagram, X oder Facebook, dort vor allem, um von den großen Reichweiten zu profitieren, um „in die Mitte der Gesellschaft zu streuen“. Das wiederkehrende Schema: Auf komplexe Fragen werden einfache Antworten geboten. Und gerade auf Tiktok oder Instagram würden Ideologie mit Lifestyle-Themen wie Ernährung, Sport oder Natur verknüpft und so Jugendliche erreicht, eine besonders vulnerable Zielgruppe, so der Verfassungsschutz.

Komme es doch zu Accountsperrungen, weiche die Szene teils auf kleinere Plattformen wie Gettr und Minds aus, wo uneingeschränkte Meinungsfreiheit versprochen werde, deren Reichweite aber weit begrenzter sei. Oder auf Videoportale wie BitChute, frei3 oder Odysee.

Beliebt in der Szene seien weiterhin auch die registrierungsfreien Imageboards wie 4chan, Kohlchan oder 8kun, notiert das Bundesamt. Und hier agiere die Szene besonders unverhohlen: Gewalt und Rechtsterror würden beschworen, Attentäter gefeiert, der Nationalsozialismus werde verherrlicht. International komme es auf den Boards immer wieder zu Anschlagsankündigungen. Auf einem Imageboard war etwa auch der rechtsextreme Attentäter von Halle aktiv, der 2019 eine Synagoge und einen Dönerimbiss angriff und zwei Menschen tötete – und seine Tat live ins Internet übertrug. Auch die deutschen QAnon-Anhänger*innen seien auf dem Imageboard 8kun aktiv. Verbreitet würden dort auch Memes, ironische Bilder, welche die Szene aber mit menschenverachtenden Inhalten versehe – wie die des „Moon Man“ oder „Pepe the frog“.

Gruppen wie „Reconquista Germanica“ sammelten sich dagegen auf Gruppenchatdiensten wie Discord und organisierten von dort Shitstorms und Trollaktionen gegen Andersdenkende. Andere Gruppen, wie das identitärennahe „Ein Prozent“-Netzwerk, würden wiederum mit Onlinegames wie „Heimat Defender“ um Nachwuchs buhlen. Auch in einigen Egoshootern könnten Spieler etwa durch umprogrammierte „Mods“ die rechtsterroristische „Atomwaffen Division“ als spielbare Gruppe auswählen und Rechtsterrortaten nachzuspielen.

Auch Vaporwave, ein eigentlich unpolitisches Genre, das nostalgisch Bildelementen der 1980er und 1990er Jahre aufgreift, wird in der Szene instrumentalisiert – als „Fashwave“, den „fascism“ verherrlichend: Gezeigt werden dann Wehrmachtssoldaten oder historische NS-Aufnahme in Neonfarben oder mit Glitch-Effekt.

Das Bundesamt betont bei all dem, dass soziale Medien kein alleiniger Auslöser für Radikalisierungen seien – aber ein zentraler Einflussfaktor. Der Verfassungsschutz hält hier nach eigener Auskunft mit Aufklärungsarbeit dagegen, überwacht online rechtsextreme Netzwerke und Radikalisierte, versucht anonyme Hetzer zu identifizieren, auch zusammen mit internationalen Partnerdiensten. Die Antwort aber müsse „eine gesamtgesellschaftliche Reaktion“ sein, erklärt der Verfassungsschutz. Auch die Onlinecommunity selbst müsse aktiv werden, zudem brauche es eine „konsequente juristische Ahndung“ von Straftaten im Internet und eine „nachhaltige“ Selbstregulierung der Plattformbetreiber.

Das BKA setzte eine Telegram-Taskforce ein und wieder ab

Die Warnungen sind nicht neu. Schon im vergangenen Jahr erklärte auch der Thinktank Cemas Telegram „zur wichtigsten Bühne“ des Rechtsextremismus im deutschsprachigen Raum. Auch Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hatte bereits 2022 in ihrem ersten Aktionsplan gegen Rechtsextremismus angekündigt, „Hetze im Internet ganzheitlich bekämpfen“ zu wollen, explizit auch mit Verweis auf Telegram. Das BKA solle dafür seine Strukturen ausbauen und Netzwerke beobachten.

Tatsächlich hatte das BKA Anfang 2022 eine Taskforce Telegram eingerichtet – die aber bereits Ende 2022 wieder eingestellt wurde, auch weil Telegram immer wieder die Kooperation mit den Behörden verweigerte. Ende August war allerdings Telegram-Chef Pawel Durow in Frankreich zwischenzeitlich festgenommen worden. Auch dortige Ermittler werfen ihm vor, nicht ausreichend mit Behörden bei der Bekämpfung von Straftaten zu kooperieren. Er habe sich in Fällen von Drogenhandel, Geldwäsche und weiterer Delikten mitschuldig gemacht. Durow weist die Vorwürfe zurück.

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4 Kommentare

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  • "Auch die Onlinecommunity selbst müsse aktiv werden"

    Nein, sicherlich nicht - keine Zusammenarbeit mit den Schnüffelbehörden welche die ganze Bevölkerung am liebsten flächendeckend ausleuchten möchte.

    Details auf Netzpolitik.org in beliebigen Varianten / Ebenen.

    • @Thorsten Gorch:

      Aber stattdessen alles so weiter schleifen lassen?

  • Telegram & Co kann man sperren (Musks X ist auch nicht viel besser). Aber bei 4Chan & Co. sehe ich das nicht.

  • Alles in allem klingt das für mich so, als könnte man eigentlich nur akzeptieren, dass die Verbreitung nicht zu verhindern ist - es gibt zu viele Ausweichmöglichkeiten.

    Die Frage wäre dann eher, wie man die Leute inhaltlich erreichhen kann, dass sie diesen Wahnsinn nicht glauben - aber auch das ist schwer, wenn man erst mal nur diesen Wahnsinn hört.