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Bewerbung um den Grünen-ParteivorsitzLinke Grüne gehen knapp in Führung

Kein Durchmarsch für Robert Habeck: Der linke Parteiflügel ist mit den jüngsten Personalien zufrieden. Um den Kurs der Partei gibt es dennoch Sorgen.

Wollen die Neuen an der Spitze der Grünen werden: Felix Banaszak und Franziska Brantner Foto: Anna Ross/dpa

Berlin taz | Die Veranstaltung war perfekt getimt, auch wenn das niemand so geplant hatte. In Berlin kamen am Samstag mehr als 200 Mitglieder des linken Flügels der Grünen zusammen, Funk­tio­nä­r*in­nen wie Basismitglieder, um über die Lage ihrer Partei zu debattieren. Zum ersten Mal seit dem Ende der Coronapandemie fand eine solche Runde wieder in Präsenz statt.

Und unverhofft gab es nach den vorangegangenen Tagen eine Menge zu besprechen: Der bisherige Parteivorstand hatte am Mittwoch seinen Rücktritt angekündigt, der neue steht in den Startlöchern. Und dann ist da ja noch die Grüne Jugend, deren Bundesspitze der Partei den Rücken kehrt und eine neue Organisation gründet. Mittlerweile ist klar: Mehrere Landesvorstände wie NRW und Bayern schließen sich aus Protest gegen den Mittekurs der Grünen an.

Was macht man da als linker Flügel? Erst mal: Wunden lecken. Zum Auftakt der nicht öffentlichen Konferenz in Berlin sprachen die scheidenden Vorstandsmitglieder Ricarda Lang und Emily Büning. Nach Angaben von Teilnehmenden ein emotionaler Programmpunkt, der mit Standing Ovations endete.

Danach: Selbstkritik üben. Dass die Grünen in den letzten Regierungsjahren viele schmerzhafte Kompromisse eingegangen sind und aktuell in der Migrationspolitik etliche Verschärfungen mittragen, kreidet man auch der eigenen Schwäche an. In der Aussprache war Anwesenden zufolge immer wieder Thema, dass der linke Flügel zuletzt nicht gut funktioniert habe und den Kurs von Vizekanzler Robert Habeck zu oft stützte. Das solle sich in Zukunft ändern.

Skepsis gegenüber Brantner

Einen Erfolg gab es jetzt zumindest schon mit Blick auf das Personaltableau für den neuen Bundesvorstand, das sich in den letzten Tagen abzeichnete. Skepsis habe es am Samstag zwar gegenüber Franziska Brantner gegeben, die als Vertreterin des Realo-Flügels Bundesvorsitzende werden möchte, hieß es. Während manche Parteilinke sie loben und ihr zutrauen, integrativ zu wirken, befürchten andere, sie wolle in der Parteizentrale Habecks Positionen durchfechten. „Wenn sie auf dem Parteitag ein gutes Ergebnis holen möchte, muss sie vorher Signale in den linken Flügel senden, dass sie Vorsitzende der gesamten Partei werden will“, sagte eine Teilnehmerin des Flügeltreffens.

Unterm Strich haben die Linken mit den Wechseln im Bundesvorstand trotzdem ein gutes Geschäft gemacht. Brantner war bis vergangene Woche noch als Wahlkampfmanagerin eingeplant. Zusammen mit Parteichef Omid Nouripour wären im Wahljahr in der Zentrale also zwei Realo-Vertreter*innen an entscheidender Stelle gesessen. Nun könnte es bei Brantner alleine bleiben.

Denn seit Freitag ist ja auch klar: Als Co-Vorsitzender kandidiert der Abgeordnete Felix Banaszak. Wahlkampfmanager soll Fraktionsvize Andreas Audretsch werden. Beide entstammen dem linken Flügel. Dass alle drei Genannten die Posten auch tatsächlich bekommen, ist wahrscheinlich: Sie treten als Team an, und die Personalien waren flügelübergreifend abgestimmt. Prominente Gegenkandidaturen sind also nicht zu erwarten.

Bleibt noch ein vakanter Posten, und zwar der des Politischen Geschäftsführers. Parteilinke gehen davon aus, dass auch dieser Posten wie bisher aus ihren Reihen besetzt wird – womit es an der Spitze künftig 3:1 statt wie bisher 2:2 stehen würde.

Und die Parität?

Auf der Konferenz am Samstag meldete sich in der Aussprache Sven Giegold zu Wort und brachte sich für das Amt ins Spiel. Das kam für manche überraschend, wurde aber positiv aufgenommen: Auch wenn Giegold bislang Staatssekretär in Habecks Wirtschaftsministerium ist, wird er nicht als dessen Gesandter wahrgenommen. „Er ist inhaltlich einer unserer klügsten Köpfe und lässt sich auch nicht so schnell die Butter vom Brot nehmen“, sagte ein anderer Parteilinker über Giegold.

Wenn der ehemalige Attac-Mann den Job am Ende wirklich macht, gibt es nur an anderer Stelle ein Problem: Laut Satzung muss der Vorstand geschlechterparitätisch besetzt sein. Letztlich wäre vielleicht kein Platz mehr für den Vize-Vorsitzenden Heiko Knopf – der eigentlich wieder kandidieren will und in der Partei geschätzt wird. Flügelübergreifend.

Bis zum Parteitag im November müssen also weiterhin ein paar Personalfragen geklärt werden. Vor allem aber: Die inhaltlichen Auseinandersetzungen sind längst nicht abgeschlossen. Von Seiten der Realos legte am Wochenende Landwirtschaftsminister Cem Özdemir nach. In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung forderte er erneute Verschärfungen in der Asylpolitik und argumentierte damit, dass seine Tochter häufig von Ausländern belästigt werde.

Auf der Berliner Konferenz hingegen zeigten linke Basismitglieder dem Vernehmen nach „viel Wut und Konfliktbereitschaft“. Timon Dzienus, ehemaliger Sprecher der Grünen Jugend, habe gewarnt: Wenn die Partei nicht noch größere Teile ihres Nachwuchses verlieren wolle, müsse sie unter anderem in der Flüchtlingspolitik wieder umkehren. Ein anderes Mitglied habe angekündigt: Wenn bis zum Parteitag kein linkeres Profil sichtbar sei, zünde er dort die Hütte an.

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23 Kommentare

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  • Käptn Blaubär , Moderator*in

    Vielen Dank für eure Beiträge, die Kommentarfunktion ist jetzt geschlossen.

  • Danke für den Artikel. Es kommt gut heraus, wie sehr es bei dem ganzen Gerangel um Inhalte geht: sie sind marginal.

  • Die jungen 'Grünen' haben recht: Durch die Habeck-Politik (die zu vertreten Frau Lang ja immer schwerer fiel, wie die ARD-Dokumentation bewiesen hat, sie fällt aber leicht, weil sie sich jetzt ganz um ihr Bundesragsmandat 'kümmern' kann) muss ein neuer Name her, auch müssen sich viele Mandatsträger damit abfinden, dass es so halt nicht weitergeht. Wir brauchen jetzt ein paar Monate, um die neue Klimapartei zum Laufen zu bringen. Klima muss im Namen sein, jeder Tag ohne den radikalen Schnitt zählt und jeder Tag, an dem die Ampel weiter hampelt, auch. Es geht vor Allem (und das war auch ein Teil des AfD-Wordings!) gegen die Reaktionäre und Postenjäger in den Parteien, die die wahren Interessen der Mneschen, vor Allem der Ärmeren nicht im Blick hatten, es ging ihnen nur um sich selbst, auch wenn sie dabei in Verschiedenen Gruppen im Wettbewerb standen. Damit muss SCHLUSS sein: Ade Christian,Olaf,Markus, Friedrich, aber auch ROBERT, der mit ihnen können wollte. Haben wir keine (konsequenteren) Frauen, z.B. Luisa ?

  • "schmerzhafte Kompromisse "



    Süß.



    Welch schnuckeliger Euphemismus für Wählertäuschung, Mitgliederverarsche und neoliberales Getue.

  • Die „Linken“ lassen grüßen!



    Recht haben = billig



    Etwas verändern = anstrengend, dreckig, Kompromisse

    Gründen wir doch einfach drei neue Parteien:



    1. Ganz links



    2. ziemlich links



    3. etwas links



    alle zwischen 0,2 und 1,1%

    und dann noch die Tier, Baum-,Vogelschutzpartei.



    Regieren werden dann andere, aber die Schuldfrage ist geklärt.

    • @Achim A.:

      "Etwas verändern = anstrengend, dreckig, Kompromisse"

      Jaja, die unfassbar großartige Umsetzung grüner Inhalte durch den rechten Parteiflügel der Grünen in den letzten Jahren gebietet Bewunderung, wenn nicht Ehrfurcht

      • @Kaboom:

        Daniel Günther bittet die jungen 'noch Grünen' um 'Vernunft'. Das sagt doch alles. Eibige CDU-Größen, meiste Reaktionäre brauchen noch 'Politiker' zu ihrer Machterhaltung, Söder lässt lieber die freien Wähler mitspielen, sie binden das Abgleiten einiger zur AfD.

  • " der linke Flügel zuletzt nicht gut funktioniert habe und den Kurs von Vizekanzler Robert Habeck zu oft stützte. Das solle sich in Zukunft ändern."

    Super. Also kloppen sich im letzten Jahr des Grauens nicht nur die drei Koalitionsparteien, sondern es werden auch noch parteiinterne Grabenkämpfe hinzu kommen. Und das hält man für eine gute Idee? Naja, kommt auf das Ziel an. Über oder unter 5%?

    • @QuerBeetLeser:

      Das hält man nicht für eine gute Idee, es ist einfach Realität.

      Und jeder, der auch nur mal für ein Essen oder einen Urlaub versucht hat, 20 Leute unter einen Hut zu bekommen, der wird verstehen, dass das normal ist.

      Man sollte eher hellhörig werden bei Parteien, bei denen das nicht so ist. Dann werden entweder andere Meinungen diktatorisch weggewischt, oder die Mitglieder haben keine eigenen Gedanken/Meinungen.

  • "Linke Grüne gehen knapp in Führung!"



    Das ist ein Schönverkaufen in Bezug auf den Umbruch in der Parteispitze, deren ehemalige Mitglieder doch - bis auf die laue Haltung gegenüber der FDP - eine gute Arbeit gemacht haben.



    Warum also der Wechsel? Weil Habeck es will?



    Leider ducken sich Omnipour und Lang bei der Klärung des Sachverhalts weg, was deren Glaubwürdigkeit schmälert.



    Wie konnte es zum dem massenhaften Austritt der Günen Jugend kommen, der auf der Linken scheinbar schnell abgebucht wird, um sich schnell personell aufzustellen. Wo waren denn die Linken im Bundestag beim Diskurs um die Kritik der Grünen Jugend?



    Özdemir beklagt öffentlich die Belästigung seiner Tochter durch Ausländer, eine subjektive Beobachtung, die zum Ton von Bild und Merz gegenüber Asylsuchenden passt. Hier geht es also um einen massiven Schwenk in der Asylpolitik, angestoßen von den Realos.

    • @Lindenberg:

      Insbesondere haben nicht die den Kopf herhalten müssen, die mit der Wahlschlappe am meisten zu tun haben. Denn die Leute waren mit der Ampelregierung unzufrieden und haben das abgestraft. Aber weder Omid noch Ricarda waren in der Regierung. Schon komisch, oder?

      Mindestens mit Ricarda Lang haben die Grünen eine wesentliche Person verloren. Sie ist zwar nicht ausgetreten, aber jetzt nicht mehr am Ruder und nicht mehr Gesicht der Grünen in der Öffentlichkeit. Sie ist eine sehr integre Person, was ich nicht für jeden anderen unterschreiben würde.

  • @DER ALLGÄUER

    Nennt sich Demokratie. Da müssen verschiedene Positionen gegeneinander ausgehandelt werden. Dieser Prozess braucht eben Ressourcen.

    Unter einer totalen Herrschaft gibt es vermeintlich diese Verluste nicht. Ich sage "vermeintlich", weil man die toten oder eingekerkerten Dissident*innen nicht sieht. Oder besser: über sie nicht spricht.

    Vorlieben Ihrerseits?

  • Mein Eindruck - von aussen, wohlgemerkt - ist, dass innerhalb der Grünen (sowie auch innerhalb der SPD) viel zu viel Zeit, Kraft und Aufmerksamkeit aufgewendet wird, um die parteiinternen Machtgefüge auszubalancieren.



    Wichtiger wäre nach meiner Einschätzung, sich innerparteilich zusammenzusetzen um miteinander nicht nur eine Agenda, sondern auch um Probleme zu besprechen (Analyse und Diagnose) und deren Lösungen zu konzipieren (Therapie).

    • @Der Allgäuer:

      Das ist doch alles längst geschehen.



      Es gab ein Wahlprogramm, auf das sich alle verständigt haben.



      Mit dem die Grünen ein gutes Ergebnis erzielt haben.



      Das Problem war und ist, das die grünen MinisterInnen und Realos im Vorstand dieses Programm nicht umsetzen wollen.



      Es wurde einfach zur „Nische“ erklärt, aus der man rauskommen müsse.

      Stattdessen verfolgen die grünen MinisterInnen nun die politische Annäherung an die Union, freie Wähler und radikalen Bauernverbände.

      Dafür wurden sie jedoch nie gewählt.

      • @hsqmyp:

        Das sehe ich zu 100% auch so.

  • Für mich der nächste Schritt, bei der Bundestagswahl 2025 noch mehr zu verlieren, als man jetzt schon befürchten muss. Wenn "Grün" und "Mitte" nicht mehr zusammen passen, wird es noch weiter bergab gehen.

  • In 2/3 des Artikels geht es um die Besetzung von Posten.

    Wunderbar, wie die Linken bei den Grünen erkannt haben, was die Linke insgesamt und unser Land im Moment braucht.

    Deprimierend.

  • Warum bedeutet "Linkes Profil" heutzutage Flüchtlinge und Arme unterstützen und nicht mehr gegen Ultra-Reiche vorgehen und die Ungleichheit der Gesellschaft bekmpfen?

  • Leider steht Brantner für Pragmatismus, aber nicht die originären Werte der Grünen, weder im Umweltschutz noch in der Friedenspolitik.

    In Brantners Bundestagswahlkreis Heidelberg, gibt es massive Debatten zwischen Büger und Stadt (Grünenmehrheit im Stadtrat), was die Nutzung des Waldes in der "Stadt des Waldes" Heidelberg angeht. In an wichtige Naturschutz-und Wassergebiete anschliessende Gebiete (bzw noch innerhalb der Naturschutzgebiete) ging es um die Gefahr, dass beim Raushauen gesunder Buchen, danach auch weitere Buchen geschädigt würden (direkte Sonneneinstrahlung auf Borke führt bei Buchen zT zum Platzen der darunterliegenden Leitgefässe). Die Stadt HD stimmte zuerst einem Kompromiss zu, um dann in einem überraschungscoup doch die Bäume rauszuhauen.

    Details siehe



    waldwende-heidelberg.de/starte-hier/

    Wo waren da die Grünen? Wo war da Brantner?



    Brantner steht für Gruenen, denen die Bürger in Sachen Umweltschutz genauso hilflos ausgleifert sind wie früher unter der CDU.

  • "Linke Grüne gehen knapp in Führung"

    Das wars dann wohl für diese Partei - mit offenen Augen gegen den Wählerwillen.

    • @Andere Meinung:

      Leider eine völlig falsche Einschätzung. Die Grünen wurden wegen ihres Wahlprogramms (Ökologie, Menschenrechte) gewählt und niemand braucht die Grünen mit CDU-Programm.

      • @Anna Bell:

        Der harte Grünen-Kern wählt die Partei wegen dem linken Programm. Das sind nicht ganz 10% der Wähler.



        Diese wird die Partei auch sicherlich weiter behalten.



        Wenn die Partei allerdings ernsthaft Regierungsbeteiligung möchte bis hin zum Stellen eines Kanzlerkandidaten, dann wird dieser harte Kern beileibe nicht reichen.



        Das Gegenteil ist der Fall. Gerne kann und sollte die Partei auf diesen Kern verzichten um mit einem vernünftigen Programm dann auch wieder Anschlussfähig für andere Parteien zu werden.

        • @Andere Meinung:

          Das Gegenteil ist der Fall. Gerne kann und sollte die Partei auf diesen Kern verzichten um mit einem vernünftigen Programm dann auch wieder Anschlussfähig für andere Parteien zu werden.

          Selbstredend können die Grünen sich in Zukunft noch mehr Rechts anbiedern. Wie das allerdings mit "Vernunft" zusammengehen soll, erschließt sich mir nicht. FDP, Union und BSW wollen gerade mit aller Macht Klimaziele aufweichen oder gar canceln. Das ist nicht vernünftig, das ist schlicht und ergreifend völliger Irrsinn.