Migrationsdebatte im Bundestag: Schneller, schärfer, härter
Im Bundestag übertrumpfen sich fast alle mit Anti-Migrationsrhetorik. Nur die Linkspartei kritisiert die Richtung grundsätzlich.
Berlin taz | Innenministerin Nancy Faeser (SPD) gibt am Mittwoch Morgen im Parlament den Ton vor. Die Sicherheitsgesetze der Ampel würden „Augenmaß und die notwendige Härte“ verbinden. Die Betonung liegt nicht auf Augenmaß.
Faeser zählt auf, was an repressiven Maßnahmen geplant ist: mehr Befugnisse für den Verfassungsschutz, verschärftes Waffenrecht, so genannte Dublin-Flüchtlinge, die aus sicheren Drittstaaten einreisen, bekommen keine Sozialleistungen mehr.
Außerdem gibt es seit drei Tagen Grenzkontrollen, so Faeser. Seit Oktober 2023 habe es 30.000 Zurückweisungen gegeben – von MigrantInnen, die kein Asyl beantragt haben. Im August 2024 gebe es, so Faeser, ein Drittel weniger Asylanträge als ein Jahr zuvor. Das bremst aber die Energie, Migration weiter zu reduzieren, keineswegs. Faeser verspricht, man werde künftig „verstärkt zurückweisen“ und „alles tun, was rechtlich möglich ist“.
Das ist der Dissens mit der Union: Die will auch Asylbewerber an der Grenze zurückweisen. Das halten Grüne und SPD europarechtlich für unmöglich.
„Wettbewerb der Schäbigkeit“
Das Wort „unmöglich“ hat in der deutschen Migrationsdebatte derzeit keine allzu lange Halbwertzeit. Thorsten Frei, parlamentarischer Geschäftsführer (PGF) der Union, hält Faeser vor, dass genau das, was in der Ampel lang als unmöglich galt, jetzt Ampel-Politik ist: Abschiebungen nach Afghanistan, Null Sozialleistungen für Dublin Flüchtlinge, umfassende Grenzkontrollen. „Sie tun das, was wir schon lange gefordert haben“, so Frei.
Das ist eine Art Refrain der Debatte. Die Union hält der Ampel vor zu tun, was sie schon lange forderte. Die AfD hält der Union vor, zu tun, was sie schon lange forderte. Bernd Baumann, PGF der AfD-Fraktion, verkündet, dass die Union die zentrale Forderung der AfD übernommen habe: Zurückweisung von Asylbewerbern an der deutschen Grenze. „Wir haben Recht gehabt“, so Baumann in triumphalem Tonfall.
In diesem rhetorischem Überbietungswettbewerb ist die rechtsextreme AfD nur schwer zu schlagen. FDP-Justizminister Marco Buschmann ruft Baumann zwar hinterher, er schäme sich für dessen Rede, die AfD missbrauche das Thema Migration ja nur. Aber das klingt etwas pflichtschuldig.
Der grüne Innenpolitiker Konstantin von Notz bescheinigt der Union „politischen Wahnsinn“, weil Parteichef Friedrich Merz islamistischen Terror mit Migration verknüpfe. Das „Maulheldentum“ der Union helfe nichts, dafür um so mehr Geld für Staatsanwälte, Ausländerbehörden, Richter. Aber das ist vom Tonfall eine Ausnahme. In der Debatte regierte die Dramaturgie von schneller, schärfer, härter.
Interessant sind von der Seite der Ampel zwei Reden. Der FDP-Innenpolitiker Konstantin Kuhle kündigt an, im parlamentarischen Verfahren das verschärfte Waffenrecht und die neuen, opulenten Überwachungsmöglichkeiten in Frage zu stellen.
Der Grüne Andreas Audretsch fordert das Gleiche für die Streichung von jeder Unterstützung für Dublin-Flüchtlinge. Das ist ein vernünftiger Einwand. Denn völlig verarmte MigrantInnen, die womöglich kriminell werden, können kein Ziel von Asylpolitik sein. Dass es den Grünen gelingt, diesen zentral Punkt zu kippen, ist indes unwahrscheinlich. FDP-Minister Marco Buschmann lobt genau diese Maßnahme als Mittel, um endlich „die magnetische Wirkung unseres Sozialstaates“ auf MigrantInnen zu beenden.
Allein Janine Wissler erhebt grundlegenden Einspruch. Die Linksparteipolitikerin kritisiert, dass „der feuchte Traum der AfD Regierungshandeln geworden ist“. Alle würden mehr Abschiebung wollen, „während im Mittelmeer Menschen ertrinken“. Die Mitte-Parteien glauben die AfD zu bekämpfen, indem sie deren Forderung übernehmen. Diesen „Wettbewerb der Schäbigkeit“ werde SPD-Innenminister Faeser verlieren. Denn egal was sie tue, es werde „den Rechten nie reichen“.
Die Aussichten der Linkspartei, dem nächsten Bundestag anzugehören, sind derzeit übersichtlich. Die Vorstellung, dass dann im Parlament grundlegende Kritik an solchen Verschärfungsrhetoriken fehlen wird, hat etwas Beklemmendes.
Leser*innenkommentare
Kriebs
"Die Vorstellung, dass dann im Parlament grundlegende Kritik an solchen Verschärfungsrhetoriken fehlen wird, hat etwas Beklemmendes."
-->nö. Die Wahlbevölkerung will einen solchen Kurs nicht (mehr). Also will das Wahlvolk entsprechende Stimmen nicht mehr im Bundestag hören. Einfache Wahlarithmetik.
Die Linke hat einen ausdrücklichen pro Asyl und Flüchtlinge Wahlkampf bei der Europawahl geführt. Mit einer parteilosen Spitzenkandidat die glaubhaft diese Themen vertreten kann, ja geradezu für diese Themen steht.
Und sie ist gnadenlos mit diesem Thema untergegangen. Offensichtlich ist eine solche Politik momentan nicht vom Wähler gewünscht.
Land of plenty
Die Aussichten der Linkspartei, dem nächsten Bundestag anzugehören, sind derzeit übersichtlich. Die Vorstellung, dass dann im Parlament grundlegende Kritik an solchen Verschärfungsrhetoriken fehlen wird, hat etwas Beklemmendes.
Genau das ist es.
Stoersender
Im Bundestag läuft das Programm ab, dass die Logik der Wahlrepublik (der Nicht‑Demokratie) vorgibt. Da es als ausgemacht gilt, dass die Mehrheit der Mitte der Gesellschaft sich Sorgen macht, dass zu viele MigrantInnen Wohlstand und Sicherheit im Land gefährden, liefert sich die Elite der gewählten PolitikerInnen einen Überbietungswettbewerb darin, die Autorität des Staates, dessen Institutionen ihnen ihre Macht verleihen, zu sichern bzw. wiederherzustellen. Auf dem Spiel steht dabei nicht nur die menschenrechtlich gebotene Hilfe für Menschen, in naher Zukunft drohen auch mehr polizeiliche Überwachungsbefugnisse und Verbote, die alle BürgerInnen betreffen, und eine weitere Stärkung des Nationalismus. Der tausendjährige Muff unter den Talaren ist das Parfum der Zeitenwende.
Das die Grünen, die irgendwie ein Produkt der Bürgerrechtsbewegungen nach 1968 sind, da voll mitziehen, lässt keine Hoffnung aufkommen, dass die Politik noch einmal die Kurve kriegt. Dafür sorgt auch der wesensgleiche Wettbewerb zwischen den EU-Staaten.
Mr.Henry
Man hätte ja von den Linken erwarten können dass sie in Panik verfallen würde.
Dass sie jetzt im Bundestag zu Vernunft und Grundgesetz steht ist eine gute Nachricht. Dass sie die einzige ist ist keine gute Nachricht.
In Panik zu verfallen oder Notlagen auszurufen führt kaum zur Rettung. In Panik herumrennende Feuerwehrleute löschen auch kein Feuer. Die UnfallVerhütungsVorschrift (UVV) verbietet Rennen, vermutlich weil man beim Rennen so leicht auf die Fresse fällt.
Walterismus
Man muss sich halt früher um die Probleme kümmern! Jetzt kann die AfD natürlich jubeln. Aber von Linker Seite muss endlich verstanden werden, dass Probleme, oder auch nur gefühlte Probleme der Gesellschaft, nicht tabuisiert werden darf, sondern aufgegriffen werden muss um Lösungen präsentieren zu können!
My Sharona
@Walterismus Wieso "von Linker Seite"? Dass sich nicht um die Probleme gekümmert wurde, hat doch vor allem mit der durchideologisierten migrationspolitischen Betonfraktion der Union zu tun (CSU-Zimmermanns "Türkenfrage", kein "Beileidstourismus" (Kohl) nach Solingen, "kein Einwanderungsland", Kampagnen gegen die doppelte Staatsbürgerschaft, "Mutter aller Probleme" usw.). Dass zu wenig Mittel für die Bewältigung der Probleme zur Verfügung stehen, die die Bevölkerung empfänglich für die intellektuell, moralisch und politisch beleidigenden Politikangebote von ganz rechts machen, hat mit den neoliberalen Rot/Grünen-Jahren und dem Wahnsinn der Schuldenbremse zu tun. Die Lösung für zu wenig Wohnungen beispielsweise sind nicht Abschiebungen, sondern mehr Wohnungen (im Zweifelsfall gebaut, besser aber dem Airbnb-Loop entzogen).
Tom Farmer
@Walterismus Ich sehe das ähnlich. Früher den Leuten zuhören anstatt hinterher den Falschen hinterherlaufen müssen.
Andreas J
@Walterismus "Das gefühlte Probleme der Gesellschaft, nicht tabuisiert werden dürfen". Dagegen an zu gehen schafft man nur mit Fakten, von denen sich aber alle Parteien zunehmend entfernen. Sie fachen die rassistische Stimmung für Wählerstimmen an und verstärken noch die "gefühlten" Probleme. Die Linke macht da nicht mit und das ist gut so. Ihr daraus den Vorwurf zu machen sie ignorierte diese "gefühlten" Probleme ist Blödsinn. Das Problem ist ganz real und nennt sich Rassismus.
Michael84
Ich bin da kein Experte, glaube aber nicht, dass eine verschärfte Asyldebatte durch Union und Ampel die AfD schwächen würde. Was ich in meinem beruflichen Umfeld wahrnehme, ist eine Art Solidarisierungseffekt für die vom politischen und journalistischen Mainstream immer nur öffentlich gebrandmarkte AfD. Eine Kollegin sagte jüngst metaphorisch, sie käme sich inzwischen vor wie jemand, der 1938 heimlich Juden im Keller versteckte, wenn sie die AfD nicht mit Hass übersäht, sondern eher Mitleid bekommt. Sie müsse sich dafür rechtfertigen.
Elise Hampel
@Michael84 Dann fragen Sie einmal Ihre Kollegin, was möglicherweise bei ihr schief läuft, glaubt Sie sich in einer widerständigen Haltung, verteidigt sie reflexhaft Faschisten, während sie darüber phantasiert "Juden im Keller zu verstecken"
Präziser kann man die -zweifellos vorhandene- krude Psychologie der deutschen Bourgeoisie (genannt "Maß & Mitte) kaum beschreiben.
Auch wenn sie sich damit im Mainstream befindet. Der glaubt man führe einen Kampf gegen den Antisemitismus, schlachtet man mindestens im Geiste zusammen mit Rechtsradikalen, Ultrareligiösen Zehntausende in Gaza ab. Während hier jeder als Antisemit niedergemäht wird, der dem nicht folgen will.
Der glaubt man besiege in Russland Nationalsten und Nationalismus, verbündet man sich mit Nationalisten und Nationalismus. Bei dem hernach wunderbarerweise Demokratie in der Ukraine ersteht.
Wähnt man seit Jahrzehnten alles mit irgendwie "links" in Schuld. Obwohl die seit mehr als 30 Jahren weder in Deutschland, Bundes- noch Europa, noch von Bedeutung in und für die Welt irgendwo Regierung, Gesetz, Verordnung Haushaltsplan und Budgetverteilung bestimmen.
Wessen Rezepte und Konzepte sind es denn, die so gewaltvoll scheitern?
Kaboom
@Michael84 Sie müssen ein seltsames berufliches Umfeld haben, wenn Leute in signifikanten Mengen den gleichen hanebüchenen Unsinn verzapfen.
Garak
@Michael84 Also in der ersten Hälfte zu Union und Ampel können Sie sich den Konjunktiv sparen, das zeigt der Artikel ja recht deutlich.
Bei der Kollegin sehen sie klassische rechte Täter-Opfer-Umkehr bei der Arbeit - und ganz abgesehen davon: Inhaltliche Kritik an Abschiebefantasien sieht man fast nur noch bei taz und ARD, während Andere im "journalistischen mainstream" grade mal noch drumrumrudern wie man gute Zurückweisungen durch die Ampel/CDU von bösen durch die AfD unterscheidet.
Wär ich nicht ein in meinem Umfeld bekannt regebogenbunter Hund würd ich selber Schlafplätze im Keller herrichten - aber ob es so effektiv ist, sich bei mir zu verstecken...
rero
@Michael84 Eine verschärfte Debatte wird mit Sicherheit nicht die AfD schwächen, weil die aktuellen Vorschläge von CDU und Ampel entweder rechtlich nicht umsetzbar sind oder den gewünschten Effekt nicht haben werden.
Sie werden also die Parteien als handlungsunfähig vorführen.
Ich bin ja immer kein Freund von Vergleichen mit der Nazizeit.
Aber es sind definitiv nicht nur Rechte, die illiberaler geworden sind.
Goodfella
@rero Die Mehrheit der Bevölkerung wünscht sich eine andere Migrationspolitik. Das kann man auf Dauer nicht einfach ignorieren und sich darauf berufen, dass das "rechtlich nicht geht". Das "Recht" ist kein abgehobenes Spielzeug für EU Juristen, sondern muss breite Akzeptanz finden. Im Zweifel muss man das Recht ändern.
Es ist doch nicht vermittelbar, dass man unkontrollierte Migration nicht in den Griff kriegen kann ("rechtlich nicht möglich") während man die Erhebung von Steuern perfekt im Griff hat.
Jeder weiß doch, dass dieses Land Migration braucht. Sie muss nur kontrolliert gemanagt werden, dann hat doch niemand ein Problem damit. Das würde auch der AfD den Stecker ziehen, daran habe ich überhaupt keinen Zweifel.