Junge Wähler*innen im Osten: „Auf jeden Fall Blau“
Viele junge Menschen wählen die AfD. Drei Gespräche entlang der deutsch-polnischen Grenze mit jungen Brandenburger*innen vor der Landtagswahl.
Eisenhüttenstadt
Über die Straße der Republik ist Darius, 21, auf dem Weg zu seinen Freunden. Eisenhüttenstadt ist sein Zuhause. Beim Stahlwerk hat er seine Ausbildung zum Schlosser gemacht, jetzt arbeitet er hier. Auf jeden Fall will er Blau wählen, sagt der junge Mann mit Hoodie und Kopfhörern. Viele beim EKO, wie das ehemalige Eisenhüttenkombinat Ost in der Stadt noch immer genannt wird, wählten die AfD.
„Im Vergleich zu den anderen Parteien kannst du ja nur die wählen. Grün und Rot haben das Land in den letzten vier Jahren komplett an die Wand gefahren. Ich arbeite hier in der Schwerindustrie. Der Industriestrompreis, den kannst du nicht bezahlen. Allgemein Strom. So was wie Russland verurteilen und dann Israel unterstützen, das macht auch keinen Sinn. Das Wahlprogramm von der AfD finde ich da überzeugender. Und man sollte jedem Mal ’ne Chance geben.“
Viele Jugendliche und junge Erwachsene denken so wie Darius. Bei den Landtagswahlen in Thüringen wählten 38 Prozent der unter 25-Jährigen die AfD, vor fünf Jahren waren es noch 22 Prozent. In Sachsen kam die AfD bei den Jungen auf 31 Prozent. Die Altersgruppe wählte damit etwas häufiger AfD als die gesamte Bevölkerung.
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Die Landtagswahlen bestätigen damit einen Trend, den Forschende seit mehreren Jahren ausmachen: Immer mehr Jugendliche und junge Erwachsene wählen rechtsextrem oder haben vor, es zu tun. So war es jüngst bei der Europawahl, und das zeigte auch die im April veröffentlichte Studie „Jugend in Deutschland“. Demnach würden 22 Prozent der 14- bis 29-Jährigen, die wählen wollen und sich für eine Partei entschieden haben, der AfD ihre Stimme geben.
Forst
Ein paar Kilometer südlich von Forst packt Anton seine Angelausrüstung zusammen. „War nicht so erfolgreich heute“, sagt der 15-Jährige in orangefarbener Signaljacke. „Wir haben leider nichts gefangen.“ An guten Tagen angeln Anton und seine Freunde vor den Toren der Stadt, wo das Wasser der Neiße gestaut ist, Hecht und Zander. In Forst, wo Fabrikgebäude verfallen und Bäume auf den Balkonen von unbewohnten Villen wachsen, geht er zur Schule.
„Bei den U16-Wahlen an unserer Schule haben 58 Prozent für die AfD gestimmt. Ich habe gehört, dass viele das aus Spaß gemacht haben sollen, es hat ja keinen Effekt. Viele sind auch genervt von solchen Vielfalt-Projekten, die wir jetzt machen sollen. Zum Beispiel sollten wir in T-Shirts mit unterschiedlichen Farben einen Regenbogen nachstellen. Ich glaube auch, dass viele junge Leute von der Bildungspolitik frustriert sind. Bei uns am Gymnasium geht es noch, aber an anderen Schulen hier in der Gegend ist die Ausstattung richtig schlecht. Aber da ist es meiner Meinung nach auch keine Lösung, die AfD zu wählen.
Es gibt hier in der Gegend schon viele extreme Leute. Im Angelverein zum Beispiel hab ich schon Hakenkreuze an den Wänden gesehen. Parteien wie CDU und SPD werden da eher für Lügner gehalten. Und es ist teils auch so, dass diese Gedanken von der älteren Generation auf die jüngere Generation übertragen werden. Zumindest sehe ich das so bei Leuten um mich herum.“
Es gibt mehrere Ansätze, um das Wahlverhalten der Jugendlichen zu erklären, sagt Ina Weigelt, die am Deutschen Jugendinstitut unter anderem zu politischen Einstellungen von jungen Menschen forscht. „Eine These ist, dass die Erstwähler die Kinder derer sind, die in der Rechtsextremismuswelle der 90er Jahre politisch geprägt wurden.“
In den sogenannten Baseballschlägerjahren hatten Rechtsextreme vielerorts das Sagen und machten Jagd auf alternative Jugendliche und Migrant*innen. Nun räche sich, dass die Jahre nie richtig aufgearbeitet wurden. „Ein Negativbeispiel dafür, wie politische Orientierungen weitergegeben werden“, nennt Soziologin Weigelt, was Anton beobachtet. Hinzu komme, dass die AfD es besser als alle anderen Parteien verstehe, Jugendliche auf Tiktok mit ihren Angeboten zu erreichen.
Neuzelle
Lena, die ihren echten Namen nicht in der Zeitung lesen will, arbeitet in der Küche einer Gaststätte in Neuzelle. Über dem kleinen Ort thront eine barocke Klosteranlage, sie bringt Tourismus ins Dorf. Es gibt eine Brauerei, mehrere Cafés und ein Kosmetikstudio. Doch viele von Lenas Freund*innen sind längst aus Neuzelle weggegangen.
„In meinem Alter sagen viele: Ich will hier nicht wohnen. Sobald ich mit der Schule fertig bin, gehe ich weg. Hier in Neuzelle geht es noch, aber in den Dörfern drum herum, wo ich wohne, machen die Geschäfte eher zu als auf. Es gibt zwar noch ein Schwimmbad, aber da willst du auch nicht jeden Tag hin. Irgendwann fragst du dich: Warum bin ich eigentlich noch hier?
Viele meiner Kollegen in der Küche gehen bald in Ruhestand. Wie sie dann die Miete bezahlen sollen, wissen sie noch nicht. Die Arbeit in der Küche ist körperlich schwer, da kann man nicht einfach noch ein paar Jahre dranhängen. Als ich noch in der Schule war, ist mal der Bürgermeister zu Besuch gekommen und hat mit uns geredet. Geändert hat sich danach nichts.
Man hat hier das Gefühl, dass die Politik nichts für uns tut und man nicht wirklich mitbestimmen kann, selbst wenn man wählen geht. Die machen am Ende eh nur, was sie persönlich wichtig finden. Ich vertraue der AfD nicht wirklich. Ich denke, die wollen eher andere Dinge umsetzen, die sie jetzt nicht zugeben. Aber die anderen Parteien halten auch nicht, was sie versprechen.“
Lena, 21, will bei der Landtagswahl für die AfD stimmen – oder sich enthalten.
Für fast alle Landkreise an der Grenze zu Polen werden sinkende Bevölkerungszahlen bis 2045 prognostiziert – im Landkreis Spree-Neiße, zu dem auch Forst gehört, sind es in etwa minus 20 Prozent. Im deutschlandweiten Vergleich sind die mittleren Einkommen in der Grenzregion unterdurchschnittlich – so auch im Landkreis Oder-Spree, wo Neuzelle liegt.
„Wenn ich als Jugendliche in einer brandenburgischen Kleinstadt sitzen würde, hätte ich wahrscheinlich auch dieses Gefühl, dass für alle was gemacht wird, außer für uns“, sagt Forscherin Weigelt. Die Krisen der vergangenen Jahre könnten ein weiterer Ansatz sein, um das Wahlverhalten zu erklären: „Viele haben nach der Pandemie Sorgen vor der eigenen Zukunft entwickelt, oft verbunden mit einem Vertrauensverlust in politische Institutionen.“ In dieser als unsicher wahrgenommenen Situation entschieden sie sich häufiger gegen progressive Parteien, „übrigens auch verstärkt für die CDU“.
Ob die Zukunftssorgen der Jugendlichen begründet sind oder nicht, spiele dabei keine Rolle. Auch nicht, dass die AfD „keine besseren Antworten“ für die strukturschwachen Regionen hat. Solange die Jugendlichen die Krise subjektiv wahrnähmen, kann der Trend weitergehen, so Weigelt. „Wenn die einzigen Angebote für Jugendliche, die vermeintlich gemacht werden, von der AfD kommen, ist das sehr gefährlich.“ Es brauche „echte Beteiligungsformate, also keine fiktiven Planspiele und auch keine gespielten Jugendparlamente, die am Ende doch nichts entscheiden dürfen“.
Weigelt ist dennoch optimistisch, dass sich der Pro-AfD-Trend unter den jungen Menschen umkehren kann, wenn anstatt Migration wieder Themen wie der Klimaschutz ins Zentrum der politischen Debatte rücken. Die jungen Menschen seien noch nicht so stark an Parteien gebunden. Außerdem entschied sich der Großteil der Jugendlichen auch bei den Wahlen in Thüringen und Sachsen für demokratische Parteien.
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