piwik no script img

Vorwürfe gegen UkrainerHaftbefehl nach Nord-Stream-Anschlag

Nach dem Anschlag auf die Nord-Stream-Pipelines gibt es laut Berichten einen Haftbefehl gegen einen Ukrainer. Politiker loben den Ermittlungserfolg.

Seit dem Anschlag auf die Nord-Stream-Pipeline im September 2022 brodeln die Gerüchte Foto: Danish Defence Command, dpa

Berlin taz/afp/dpa | Seit fast zwei Jahren wird gerätselt, wer den Anschlag auf die Nord-Stream-Pipeline verübt hat. Laut Medienberichten verdichtete die Bundesanwaltschaft nun einen Verdacht und erwirkte einen Haftbefehl gegen einen Ukrainer – der bisher aber nicht festgenommen werden konnte.

Mehrere Po­li­ti­ke­r*in­nen lobten den Ermittlungserfolg. „Es ist erfreulich, dass es endlich erste Ermittlungsergebnisse und einen Haftbefehl in Sachen Anschlag auf die Nord-Stream-Pipeline gibt. Das hat ja lange genug gedauert“, sagte der SPD-Sicherheitspolitiker Ralf Stegner der taz. Es habe in dieser Sache „reichlich Verschwörungstheorien, abenteuerliche Räuberpistolen und angebliche Beweise für eine ‚False Flag‘ Operation“ gegeben. „In einer Demokratie handeln Ermittlungsbehörden unabhängig von gewünschten Ergebnissen – deshalb ist der Fortschritt zu begrüßen“, erklärte Stegner. „Hoffentlich ist die vollständige Aufklärung der Umstände und Täter dieses Terroranschlags bald in Sichtweite.“

Auch die Grünen-Fraktionsgeschäftsführerin Irene Mihalic sagte der taz, sollten die Berichte zutreffen, wäre das „ein großer Erfolg für unsere Ermittlungsbehörden“. Der Generalbundesanwalt sei „hartnäckig weiter am Ball geblieben“, auch nachdem Schweden und Dänemark die Ermittlungen zu dem Fall Anfang des Jahres bereits eingestellt hatten. „Es ist ein wichtiges Signal, dass unser Rechtsstaat bei solch herausragenden Straftaten Ausdauer beweist und alles versucht, diese restlos aufzuklären“, so Mihalic.

Die beiden Gaspipelines Nord Stream 1 und 2 waren am 26. September 2022 durch mehrere Sprengungen in der Nähe der dänischen Ostseeinsel Bornholm beschädigt worden. Durch Nord Stream 1 floss zuvor russisches Erdgas nach Deutschland, Nord Stream 2 war wegen des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine und der folgenden politischen Auseinandersetzungen noch nicht in Betrieb.

Die Behörden mehrerer Länder nahmen Ermittlungen zu dem Fall auf, darunter auch die deutsche Bundesanwaltschaft. Mittlerweile stellten Dänemark und Schweden die Verfahren ein. Die Bundesanwaltschaft aber ermittelte weiter. Und laut Berichten von Die Zeit, ARD und Süddeutsche Zeitung erwirkte sie bereits im Juni einen Haftbefehl gegen den Ukrainer Wolodymyr Z., ein Tauchlehrer, dessen letzter Aufenthaltsort in Polen gewesen sein soll. Er konnte von den Behörden aber bisher nicht festgenommen werden, wo er sich aktuell befindet sei unbekannt.

Der Beschuldigte soll die Vorwürfe bestreiten

Eine Sprecherin der Bundesanwaltschaft wollte sich zu den Berichten nicht äußern. Man kommentiere grundsätzlich keine Medienberichte, sagte sie der taz.

Zeit, ARD und Süddeutsche berichten, der Verdächtige habe sich in einem Telefonat überrascht über die Vorwürfe gezeigt. Er bestritt dort, an den Anschlägen beteiligt gewesen zu sein. Weiter unklar ist, wer den Anschlag in Auftrag gab. Die ukrainische Regierung bestreitet, dies getan zu haben.

Nach Recherchen der drei Medien stehen auch zwei weitere ukrainische Staatsangehörige unter Tatverdacht – darunter eine Frau. Sie könnten als Taucher die Sprengsätze an den Pipelines angebrachten haben. Die nun veröffentlichten Informationen stützen sich demnach auch auf „Hinweise eines ausländischen Nachrichtendienstes“.

Bisherige Ermittlungen hatten eine Segeljacht namens Andromeda im Visier gehabt, auf der im Juli 2023 Sprengstoffspuren entdeckt wurden. Es wurde vermutet, dass die „Andromeda“ möglicherweise zum Transport des Sprengstoffs für die Sabotage zum Einsatz kam.

Die Verantwortung für die Anschläge sorgt seit zwei Jahren für Spekulationen und politische Vorwürfe. Die Grünen-Politiker Mihalic kündigte an, unabhängig von den Ermittlungen im Bundestag weiter darauf zu drängen, das „längst überfällige“ Kritis-Dachgesetz zum Schutz der Kritischen Infrastrukturen „nun endlich zügig zu beraten“. Hier bestehe „offensichtlich dringender Handlungsbedarf“, so Mihalic zur taz.

Der Text wurde am 14. August 2024 um 10 Uhr aktualisiert.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

25 Kommentare

 / 
  • Alles nicht so schlimm, da sowieso die Gaslieferungen eingestellt wurden?



    Leckagen der Nord Stream-Pipeline waren "katastrophal für das Klima" es ist der größte Ausbruch des starken Treibhausgases in einem der am stärksten verschmutzten Gewässer, den es je gab.



    Methan, das aus den Pipelines Nord Stream 1 und 2 ausgetreten ist, ist wahrscheinlich der größte Ausbruch des potenten Treibhausgases in der Geschichte, was neue Befürchtungen hinsichtlich der Auswirkungen auf den Klimawandel weckt. Die Nord Stream-Pipeline von Russland nach Deutschland hat riesige Mengen Methan in die Ostsee und in die Atmosphäre gepumpt - fünfmal mehr als bei der Aliso-Canyon-Katastrophe, der größten bekannten Freisetzung von Methan in der Geschichte der USA, ausgetreten ist.



    Methan ist ein Hauptverursacher des Klimawandels und für einen erheblichen Teil der Klimastörungen verantwortlich, die die Menschen bereits erleben. Das liegt daran, dass Methan die Sonnenwärme 82,5-mal stärker absorbiert als Kohlendioxid und die Erde erwärmt.



    Die Ostsee ist eines der am stärksten verschmutzten Gewässer der Erde, bedingt durch Industriechemikalien und städtische Abfälle.

    • @Des247:

      An allem Leid dieses Krieges ist letzten Endes Russland schuld.

    • @Des247:

      Der Ukrainekrieg ist insgesamt eine Umweltkatastrophe. Daran besteht kein Zweifel. Ob die durch diese Sprengung eine neue Dimension bekommen hat, ist aber eine andere Frage.

      Wie schmutzig die Ostsee ohnehin schon ist, dürfte irrelevant sein. Methan ist ja in dem Sinne kein Umweltgift, sondern ein hochflüchtiges Naturprodukt. Außer dem punktuellen Effekt, dass es am Austrittsort vorübergehend sauerstoffreiche Luft verdrängt, sehe ich wenig Einfluss auf den Verschmutzungsgrad der Umgebung.

      Was den Treibhauseffekt betrifft, sind Einzelereignisse wie dieses immer in Relation zur Gesamtemission zu sehen. Da rangieren die Anschläge - je nach Schätzung, wieviel tatsächlich austrat - bei 0,01-0,04% aller menschengemachten Methanemmissionen.

      Falls Sie auf mein Posting reagierten: Ich sprach von "strategisch sinnlos", nicht von generell unschädlich. Der Treibhauseffekt schadet ALLEN. Eine derartige Großemmission zu verursachen, ist also in niemandes strategischem Interesse. Allenfalls wäre vielleicht gewissen Akteuren zuzutrauen, dass sie sowas als "false flag" lostreten, um ihre Feinde schlecht dastehen zu lassen.

      • @Normalo:

        Bei den Sprengungen der Nord-Stream-Pipelines ist die Ostsee stark mit Giftstoffen verunreinigt worden - mit dramatischen Folgen für die Meeresumwelt.



        Die Explosionen in rund 70 Metern Wassertiefe und das ausströmende Gas wirbelten 250.000 Tonnen teils giftiges Sediment vom Meeresboden auf, wie eine Forschergruppe um Hans Sanderson ausgerechnet hat. Der Umweltchemiker von der dänischen Universität Aarhus beschreibt das Szenario unter Wasser so: "Stellt Euch vor: ein Druck von 100 bar, dazu aufgerissene Stahlleitungen mit einem Rohrdurchmesser von knapp über einem Meter. Das Ergebnis ist eine gigantische Gasdüse." Mehrere Tage konnte dieser Strahl Sedimente in die Wassersäule wirbeln. Insgesamt elf Kubikkilometer Ostseewasser seien von der Sedimentwolke betroffen gewesen, schätzen die Forscher.



        Das Bornholm-Becken wirkt wie ein Trichter, in dem sich Schwermetalle und verunreinigte organische Stoffe am Meeresboden ablagern und im Sediment anreichern. Das Ergebnis: eine feinkörnige, moderartige Schicht, die schnell aufgewirbelt werden kann und toxische Stoffe enthält. Nach den Explosionen haben die Forscher hohe Konzentrationen an Blei und Tributylzinn (TBT) nachgewiesen.

  • Es war wohl eine der strategisch sinnloseren Kommandoaktionen der Geschichte: In der Energiebranche waren die Pipelines zu dem Zeitpunkt längst abgehakt: Es war allen Insidern klar, dass nach dem russischen Überfall und seinen darauffolgenden Erpressungsversuchen durch sie nie (wieder) Gas fließen würde. Der Unwert der Sprengung ist also nur symbolischer Natur.

    Trotzdem ist es natürlich spannend herauszufinden, wer dahintersteckt. Sollten die verdächtigen Ukrainer es gewesen sein, reduziert das den Kreis der wahrscheinlichen Hinterleute gewaltig. Denn nur Wenige außerhal der Ukraine hätten ein Interesse daran, die Anschläge gerade von Uktainern durchführen zu lassen. Schaumer mal...

  • Wenn unter den bisher mutmaßlich Verantwortlichen für die Pipeline-Sprengung ein Land überhaupt kein Interesse daran haben konnte, dann war es (natürlich neben MVP) Russland (auch wenn ich dem Land bisher und weiterhin jede nur denkbare schlimme Handlung zutraue).



    Wenn in dem Artikel jetzt erwartungsgemäß Herr Stegner, einer der Anti-Ukraine-Bedenkenträger in der SPD, zwischen den Zeilen geradezu triumphiert, ahne ich nichts Gutes für die zukünftige Ukraine-Unterstützung durch die Bundesregierung (Also: Wenn der Ukrainer geheimdienstmäßig sogar Gasleitungen in die Luft jagt, kann der Russe so schlimm nicht sein).



    Nichtsdestotrotz bin ich auf die Schlusspointe des Nord-Stream-Krimis gespannt.

    • @Vigoleis:

      Kleiner Widerspruch: Auch für Russland hatte der Erhalt der Pipelines keinen wirklichen Wert mehr. Die Projekte waren schon mausetot, und das wussten auch die Russen.

  • Das würde ja ganz Gut in das Puzzle passen. Da war ja schon die Segelyacht an Bord derer wohl Taucher gewesen sind. Anscheinend war dieser Ukrainer dort mit an Bord.



    Das er dann in Polen abgetaucht ist und die Polen anscheinend es nicht für nötig gehalten haben ihn auf Antrag festzunehmen passt auch ins Bild. Schließlich waren die Polen ja schon vor Jahren extrem Sauer auf die Nordstream, da wir dann von der durch Polen gehenden Pipeline unabhängig geworden wären. Damit wäre Polen für Russland erpressbar geworden und es wäre auch ein Druckmittel der Polen gegenüber Deutschland verloren gegangen. Das nun die Polen offensichtlich EU-Recht eiskalt missachten und dem Typen helfen spricht Bände.

  • Und das vor den wichtigen Landtagswahlen.



    So was aber auch....

  • Man lese einmal zum Vergleich den Artikel vor einem Jahr



    taz.de/Anschlag-au...ipelines/!5918517/

    "Einige Hinterbänkler sehen trotzdem die Chance, aus den Vermutungen Profit zu schlagen. Über „Terrorismus mit Staatshilfe“ spekuliert etwa Ralf Stegner und behauptet, die Medienberichte legten nahe, dass „Putin es nicht war“. Er raunt über „politische Turbulenzen, die sich gewaschen haben dürften“."

    "„Es ist ein wichtiges Signal, dass unser Rechtsstaat bei solch herausragenden Straftaten Ausdauer beweist und alles versucht, diese restlos aufzuklären“



    Nein, das ist ja wohl selbstverständlich. Wieviele Milliarden wurden hier versenkt?

  • Zwei polnische Taucher waren es, Lolek und Bolek.

    • @Beobachter0123:

      Herrlich. Danke!

  • Ich glaube Stegner sollte sich da nicht zu weit aus dem Fenster lehnen, ein Haftbefehl ist noch kein Schuldspruch und für wenn der Beschuldigte gearbeitet hat wenn er es den war weiß auch keiner.

  • Ich kann mir kaum vorstellen, dass der Mann das alleine und ohne staatliche Unterstützung hinbekommen hat.



    Wenn sich herausstellt, dass staatliche Akteure verwickelt sind, wäre das eine echte diplomatische Krise.

    • @Sybille Bergi:

      Warum? Es handelte sich entgegen der hartnäckigen Behauptungen der Russlandfreunde nicht um deutsche Infrastruktur. Es fand nicht mal in deutschen Hoheitsgewässern statt. Und es war schon gar kein Terroranschlag, wie Stegner faselt.

      Echte diplomatische Schwierigkeiten bewirkte das sture Festhalten Deutschlands an der Pipeline. Selbst Frankreich war dagegen.

      • @Suryo:

        Bitte keine Fake news hier verbeiten:



        "Eigentümer und Betreiber der Nord Stream 1 ist die Nord Stream AG, deren Anteile von Gazprom (51 %) sowie Wintershall Dea, E.ON, Gasunie und Engie gehalten werden." aus Wikipedia



        Damit sind deutsche Firmen natürlich dran beteiligt und damit auch deutsche Interessen.



        Und selbst wenn dem nicht so wäre, handelt es sich bei Energiesicherheit um ureigenste Interessen jedes Landes.



        Und wie sehr andere Länder wie Frankreich in ihrem ureigensten Interesse agieren, liest man zum



        Beispiel hier



        www.politico.eu/ar...p-more-russia-gas/

        "France has paid Russia over €600 million this year for liquefied natural gas, new data shows. That’s an EU-leading rise from last year. "

        Es geht hier also bei weitem nicht darum ob man nun "Russlandfreund" ist oder nicht. Es geht um handfeste Interessen. Wie naiv muss man eigentlich sein, dies nicht zu erkennen?

        • @Werner2:

          Also wenn irgendwer eine VW-Fabrik in Brasilien anzündet, ist das ein Terroranschlag gegen deutsche Interessen?

          • @Suryo:

            Gegenfrage



            Ist eine VW-Fabrik in Brasilien wichtig für unsere Energiesicherheit ? (und damit auch den Strompreis, den Sie zu zahlen haben?)

            • @Werner2:

              Es floss doch gar kein Gas mehr durch die Pipeline.

              • @Suryo:

                Wie naiv ist das denn?



                Und es wird da nun auch nie wieder fließen.

                • @Werner2:

                  Wie naiv war es denn, sich vom faschistischen Russland abhängig gemacht zu haben?

                  Übrigens: wäre eine Pipeline auf russischem Gebiet von den Ukrainern gesprengt worden, würden wir dann auch so tun, als sei das ein Terroranschlag gegen Deutschland?

  • "Terroranschlag", Herr Stegner?

    Terror?

    Wer wurde denn durch dieses Ereignis in Angst und Schrecken, also Terror, versetzt?

    • @Suryo:

      Ähm, ziemlich viele Leute, die sich Sorgen darüber gemacht haben, wie (1) sie ggf. ohne ausreichend Gas durch den Winter kommen werden, (2) hoch ihre Heizungskosten ausfallen werden?

      Terror muss ja nicht unbedingt was mit Tod und Verletzung zu tun haben, in jedem Fall aber mit Angst (s.o.).

      • @EffeJoSiebenZwo:

        Da gar kein Gas mehr durch die Pipeline strömte, haben sich die Leute völlig zu Unrecht Angst gemacht.

        • @Suryo:

          Zu Urecht oder nicht: die Angst gab es. Deswegen auch die Preisexplosion an den Märkten und das aus dem Boden Stampfen einer komplett neuen Infrastruktur für Flüssiggas über den Seeweg.