Karlsruhe vor Wahlrechtsurteil: Wie heftig wird die Klatsche?

Die Opposition klagt vor dem Bundesverfassungsgericht gegen das neue Bundestagswahlrecht. Kommt am Dienstag die Grundmandateklausel zurück?

leere blaue Sitze im Bundestag

Das Bundesverfassungsgericht wird am Dienstag sein Urteil über das neue Bundestagswahlrecht verkünden Foto: Michael Kappeler/dpa

KARLSRUHE taz | An diesem Dienstag wird das Bundesverfassungsgericht sein Urteil über das neue Bundestagswahlrecht verkünden. Die Rich­te­r:in­nen müssen dabei nicht zuletzt entscheiden, wie 2025 der nächste Bundestag gewählt wird.

Karlsruhe urteilt über das neue Wahlrecht, das der Bundestag im März 2023 mit den Stimmen der Ampelkoalition beschlossen hat. SPD, Grüne und FDP wollten damit den Bundestag, der aktuell 734 Abgeordnete umfasst, dauerhaft auf 630 Sitze verkleinern. Deshalb wurden Überhang- und Ausgleichsmandate abgeschafft, ebenso die Grundmandateklausel.

Das Konzept ist aber sehr umstritten. Gegen das reformierte Bundeswahlgesetz klagten beim Bundesverfassungsgericht die CSU, das Land Bayern, die CDU/CSU-Abgeordneten im Bundestag, die Linkspartei und Tausende Bürger:innen, die der Verein „Mehr Demokratie“ koordinierte.

Bei der mündlichen Verhandlung im April zeichnete sich deutlich ab, dass das Bundesverfassungsgericht wohl den ersatzlosen Wegfall der Grundmandateklausel rügen wird. Diese Regelung ermöglichte bisher Parteien den Einzug in den Bundestag, wenn sie zwar an der Fünfprozenthürde scheitern, aber mindestens drei Direktmandate in den Wahlkreisen holen. 2021 profitierte die Linke davon, die bundesweit nur 4,9 Prozent der Stimmen erreichte, jedoch in Berlin und Leipzig insgesamt drei Direktmandate holen konnte.

Spezialfall CSU

Die Ver­fas­sungs­rich­te­r:in­nen interessierten sich aber weniger für die Linkspartei, sondern vor allem für die CSU, die 2021 mit 5,2 Prozent der Stimmen nur knapp über der Fünfprozenthürde lag. Sollte bei der kommenden Bundestagswahl der Prozentanteil der CSU unter 5 Prozent fallen, wäre die CSU nicht im Bundestag vertreten. Sie bekäme also keinen einzigen Abgeordnetensitz, selbst wenn sie in jedem einzelnen der rund 40 bayerischen Wahlkreise die meisten Stimmen erzielte. Dies hielten viele Rich­te­r:in­nen für inakzeptabel, so sei die Integrationsfunktion der Wahl gefährdet.

Dagegen dürfte der Kern der Reform, der Wegfall von Überhang- und Ausgleichsmandaten, in Karlsruhe wohl Bestand haben. Bisher gab es Überhangmandate, wenn eine Partei mehr Wahlkreise gewann, als ihr nach dem Zweitstimmenergebnis Sitze zustanden. Die anderen Parteien bekamen dann Ausgleichsmandate, damit das Wahlergebnis nicht verzerrt wird. So wurde der Bundestag aufgebläht. Das neue Wahlrecht sieht dagegen vor, dass die Wahl­kreis­sie­ge­r:in­nen mit den schwächsten Ergebnissen leer ausgehen, wenn ihrer Partei weniger Sitze zustehen, als sie Wahlkreise gewonnen hat.

Die Union hält dadurch das Demokratieprinzip für gefährdet. Es könne nicht sein, dass ein örtlicher Wahlsieger kein Mandat erhält. An diesem Punkt dürften CDU und CSU aber wohl keinen Erfolg haben. Denn die geladenen Sachverständigen machten in der mündlichen Verhandlung deutlich, dass die Wahl der Wahlkreisabgeordneten für die Wäh­le­r:in­nen keine große Bedeutung hat. Die Integrationsfunktion der Wahl sei nicht gefährdet, wenn es am Ende einige Wahlkreise ohne direkt gewählten Abgeordneten gibt.

Auswirkungen auf kommende Bundestagswahl

Auch wenn sich der verfassungsrechtliche Korrekturbedarf auf die weggefallene Grundmandateklausel beschränken sollte, so wäre die Lösung nicht einfach. Denn der Bundestag hätte unterschiedliche Möglichkeiten, das Problem zu lösen. So könnte er eine neue Grundmandateklausel einführen, die sicherstellt, dass regional stark verankerte Parteien auch im Bundestag vertreten sind.

Aber sollen wie bisher bereits drei Direktmandate reichen? Es könnten ebenso 15 oder 20 sein. Alternativ könnte aber auch die Fünfprozenthürde abgesenkt werden, zum Beispiel auf drei Prozent. Wahrscheinlich würde das Bundesverfassungsgericht dem Bundestag genug Zeit für eine gründliche Beratung geben. Für die kommende Bundestagswahl käme das Ergebnis dann freilich zu spät.

Für die Wahl 2025 müsste das Bundesverfassungsgericht in dieser Konstellation dann selbst per Vollstreckungsanordnung das Wahlrecht vorgeben. Naheliegend wäre, dass es noch einmal eine Grundmandateklausel mit drei Direktmandaten gibt. Immerhin war diese Regelung fast bis zuletzt auch noch im Gesetzentwurf der Ampel vorgesehen. Aber auch das ist nur eine Spekulation. Das Urteil am Dienstag wird mit großer Spannung erwartet.

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