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Woher kommt das Ekelgefühl?Das widerliche Reich der Männer

Unsere Kolumnistin arbeitete als Putzkraft und merkte, dass sie sich nicht vor allem gleich ekelte. Ist Ekel selektiv?

Duschen waren das Reich der Männer Foto: YAY Images/imago

E kel war immer Teil meines Lebens. Ich habe ihn zu meinem größten Feind gemacht, versucht ihn zu bekämpfen, ihn wegzumeditieren, ihn an mich heranzulassen, ihn zu verharmlosen. Nur die Konfrontation mit Ekel half mit dabei, ihn zu überwinden.

Als ich im Ausland wohnte und pleite war, entschied ich mich, in einem Hostel zu putzen, um umsonst dort wohnen zu können. Und so wurde mir mit dem Schlüssel zum Vielbettzimmer ein Putzlappen in die Hand gedrückt. Die Rezeptionistin weckte mich am ersten Morgen, wir gingen in das erste Bad und es roch bestialisch. „Das ist nicht ideal für deinen ersten Tag“, sagte sie. In der Nacht hatte jemand sowohl die Toilette als auch die Wand vollgeschissen wie ein modernes Kunstwerk. Meine erste Schicht bestand daraus, die Schüssel und Fliesen weiß zu schrubben.

Komischerweise ekelte ich mich nicht. Obwohl ich einige Jahre zuvor noch eine dieser Personen war, die niemanden aus ihrer Flasche trinken ließ. Oder wenn ich irgendeinen Typen auf die Straße rotzen sah, reichte die Erinnerung daran, auch noch eine Stunde später einen Würgereflex auszulösen. Aber diese Szene ließ mich kalt.

Scheiße war nie das Schlimmste. Auch nicht vollgepisste Betten, die bei besoffenen Engländern im Hostel nicht selten waren. Erbrochenes war irgendwann erträglich, fast harmlos. Mir gelang es nicht, Ekel gegenüber etwas zu entwickeln, das im weitesten Sinne aus Versehen passiert ist, ein Unfall war. Was in den Duschen passierte, war aber kein Unfall. Die Duschen waren der Höhepunkt des Ekels. Duschen waren das Reich der Männer.

Der beißende Geruch von Sperma

Die rotzten dort die Plastikwände voll, da die heiße Luft ihre Schleimhäute befreite. Rotze, die Blut enthielt, weil derjenige, der sie dort platzierte, am Abend zuvor vermutlich irgendwas durch die Nase gezogen hatte. Ich wusste, dass es Männer waren, die hier die Wände vollschmierten. Ihnen hatte man nie beigebracht, sich für ihre Körperausscheidungen zu schämen.

Die Duschen waren neben den Toi­letten der einzige Ort im Hostel, wo man allein war. So blieb Nasenschleim nicht das einzige Sekret, das sich an den Duschwänden und in den Abflüssen sammelte. Der beißende Geruch von Sperma bestimmte wochenlang meine Morgen. Ich zog ihn an langen Haarklumpen aus den immer verstopften Abflüssen heraus, beseitigte ihn und wartete darauf, dass die fleißigen Männer ihn über Nacht wieder dort platzieren würden. Hiervor ekelte ich mich ohne Frage. Warum?

Unser Ekelgefühl ist eigentlich dazu da, uns vor Krankheiten zu schützen, vor Keimen in verdorbenem Fleisch, vor Bakterien, vor Kontamination. Ekel bleibt aber nicht rein intuitiv. Das erklärt William Ian Miller, Professor an der University of Michigan, in „Die Anatomie des Ekels“. Er schreibt: „Ein Teil von Ekel ist das Bewusstsein darüber, angeekelt zu sein […] Ekel geht immer mit bestimmten Gedanken einher, die aufdringlich und unausweichlich sind und die die Abscheu gegenüber dem Objekt des Ekels verstärken.“

Je mehr ich über die Männer in den Duschen nachdachte, desto stärker wurde mein Ekel. Er richtete sich nicht gegen den Geruch oder die Körperflüssigkeit an sich. Mein Ekel galt dem Mann, der die Körperflüssigkeit dort platziert hatte. Es war die Anmaßung, einen Raum auf diese Weise einzunehmen. Eine Intention, die ich ihnen unterstellte. Würden mich die Duschen heute weniger anekeln, jetzt wo ich das weiß? Wahrscheinlich nicht.

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Valerie Catil
Gesellschaftsredakteurin
Redakteurin bei taz zwei, dem Ressort für Gesellschaft und Medien. Schreibt über Drogen, Soziales und Internetspaß. Studierte Philosophie und Französisch in Berlin. Seit 2023 bei der taz.
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14 Kommentare

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  • Nach zehn Jahren in der Altenpflege und weiteren zehn Jahren als private Reinigungs/Haushaltshilfe kann mich nicht mehr soviel erschüttern. Ich glaube, dass es darauf ankommt, sich innerlich abzugrenzen und die Hygieneregeln sowie den Selbstschutz einzuhalten.

  • Wie der Artikel schon schreibt, ist die Funktion von Ekel der Schutz vor Krankheitserregern oder ähnlich Gefährdendem. Teils angeboren, zumeist aber anerzogen.

    Vielleicht war es da auch gar nicht Ekel, sondern Hass/Zorn/Wut auf eine gelesene Rücksichtslosigkeit, die Fr. Catil als "männlich" wahrnahm?



    Dies und den Erziehungs-Teil zu reflektieren können wir Frau Catil nicht abnehmen.

  • Liggers: “Gott erhalte mir meine Vorurteile - und die Arbeitskraft meines Mannes!“

    Dazu mal aus dem Skat!



    Im Appelhof in Kölle - hausen das Verwaltungsgericht & seit längerem auch das Finanzgericht!



    Wg der Toiletten wurde von den Bediensteten Klage geführt!



    (… … laß ich mal weg)



    Lösung: Seperate Toiletten abschließbar!



    Was später verschlug es meine Lieblingskollegin in die Präsi-Kammer!



    ua. für die Toiletten zuständig!



    & aufgemerkt - eines Tages haute sie sich vor meinen Schreibtisch in den Deliquentensessel “Ich halt‘s nicht aus!



    Ich fass es nicht!“ “Männertoiletten?“



    “Ach was! Mal n Papierschnipsel!



    Nee. Die Frauentoiletten. Das hälste nicht aus! Ich weiß echt nicht - was meine Geschlechtsgenossinnen da so alles anstellen! Weiß mir echt keinen Rat mehr!“



    “Na komm - erst mal ☕️☕️ !“

    kurz - always at your servíce



    “Natalije - un no komms du“



    (🤫 Ok Ok - 🚿 - nur für Radler & die 🎸Rock Band 🤫 ;))

  • Auch das (dieser Artikel) ist Sexismus.

  • Interessant. Männer rotzen und spermieren morgens in der Dusche?



    Vielleicht wäre dann dieWiedereinführung des Wehrdienstes, mit eigener Reinigung der Sanitäranlagen, nicht schlecht. Wo sollen sie es sonst lernen?

    • @fly:

      Soll ich ihnen verraten was in Toiletten an die Decke werfen und was da dann kleben bleibt ? Wie kreativ sie neue Orte als Abort nutzen ? Ich habe es bereits weiter unten beschrieben. Sich zu benehmen ist vollkommen geschlechtsunabhängig.

  • Der Artikel ist ja völlig okay, Frau Catil…aber was soll diese Überschrift? Wenn ein junger Mann ähnliche Erfahrungen mit Menstruationsblut usw. gemacht hätte, wäre dann der Titel „Das widerliche Reich der Frauen“ in Ordnung?

  • Ich habe auf St Pauli Toiletten geputzt…Ich kann genau dasselbe andersherum erzählen. Ich glaube es ist wie bei allem , es gibt Menschen die können sich benehmen und andere nicht. Vollkommen geschlechtsunabhängig. Schade , genau immer wieder diese kleine Spitzen , wenn auch nur um mm , vertiefen den Graben immer weiter zwischen den Geschlechtern.

    • @Mr Ambivalent:

      Das ist die richtige Antwort auf einen Text, dessen Intention schwer zu verstehen ist

  • Es ist sehr traurig, die richtige Beobachtung mit dem falschen Schluss und der falschen Aufforderung zum Selbstekel verbunden zu sehen.

    Ja, ich kenne das Problem. Ich habe auch in einer Herberge gearbeitet, im Ausland, um kostenlose Logie und Frühstück zu erhalten. Ich kann ungefähr nachvollziehen, was die Autorin so erlebt hat. Das war natürlich nicht immer so heftig, wie sie es geschildert hat, aber sowas kann natürlich vorkommen. Nun war ich damals gerade mit meinem Zivildienst durch, und mein Ekellevel wahrscheinlich noch sehr viel höher als bei ihr.

    Man versteht, worauf die Autorin hinaus möchte. Sie verknüpft es aber, meiner Meinung nach, und ich lese gerne auch Antworten dazu, mit der falschen Emotion. Jahrtausende lang wurden Frauen dazu angeleitet, sich ihrer körperlichen Ausscheidungen zu schämen. Ich spreche von Menstruation und so weiter. Das war ein Verbrechen ohne Frage. Und jetzt soll das Ganze umgekehrt werden, und jetzt sollen sich die Männer ihre Ausscheidungen auch noch schämen? Ist das die schöne neue Welt, die gerecht ist?

    Wäre es nicht sehr viel erstrebenswerter, statt einer negativen Konditionierung zu mehr Rücksichtnahme und Mitgefühl aufzurufen?

    • @Numitor:

      naja...wenn Sie das so deuten, daß die Autorin möchte, daß Männer sich für Ihre Ausscheidungen schämen sollen...Da haben Sie das missverstanden.



      Es ist möglich, seinen Auswurf Richtung Abfluss zu lenken...oder noch wagemutiger: er kann sogar die Fliesen anspucken...aber er kann es dann auch einfach wegspülen...



      DAS ist doch der Punkt...er macht es, weil er so ein Gefühl von Überlegenheit empfängt...vor allem wenn er weiß, daß die Person, die das saubermachen muss...



      keine Ahnung...ich finde es auch schrecklich...aber das war vor 40 Jahren schon so, daß bestimmte Individuen sich abzuheben versuchen, indem Sie sich weit mehr als völlig daneben benehmen.



      In meiner Lehrzeit hat ein Mechaniker immer an die Wand der Pissoirs gerotzt...dann stehst da...mit dem Gesicht und kannst lesen, was er für ein wertvoller Bestandteil der Menschheit war oder (hoffentlich?) noch ist...

      • @Klaus Witzmann:

        Nein, großer Irrtum. "Er" macht es nicht weil er "so ein Gefühl von Überlegenheit empfängt"!

        Das klingt wie eine persönliche Angst und ist schlicht ein Vorurteil.

        Für jede Handlung gibt es 1000 Gründe! Solche Vorurteile machen daraus erst ein Problem.

    • @Numitor:

      Menstruationsblut auf waenden ist eher selten, spermaspuren hingegen nicht . Ein kleiner, aber feiner unterschied .

    • @Numitor:

      Ihr Kommentar scheint mir ein absichtliches Missverständnis. Es geht ja gerade nicht um unfreiwillige Ausscheidungen, sondern dass bewusste "Markieren" von Räumen. Zugegeben habe ich das auch schon auf Frauentoiletten gesehen, aber die männliche Sozialisation fördert solches Verhalten fraglos.