Kopftuchverbot bei Olympia: Freiheit zur Verhüllung
Jede Frau sollte das Recht haben, frei darüber zu entscheiden, was sie tragen möchte und was nicht. Wieder einmal bevormundet Paris muslimische Frauen.
Ene, mene, mu und raus bist du. Bereits vor dem Startschuss der Olympiade am 26. Juli wird die kopftuchtragende Muslima disqualifiziert. Dieses Jahr feiert doch das Internationale Olympische Komitee (IOC) die ersten geschlechtergerechten Olympischen Spiele? Liberté, Egalité, Fraternité gilt offenbar nicht für alle Teilnehmer*innen gleichermaßen. Eine klare Form der Diskriminierung, über die kaum jemand ein Wort verliert.
Nachdem das Tragen von Kopftüchern an Frankreichs Schulen verboten worden war, folgte letztes Jahr eine strikte Untersagung des Tragens der bis zu den Knöcheln reichenden Abayas an schulischen Einrichtungen. Nun trifft es die Sportwettkämpfe. Begründet wird das Verbot für französische Athletinnen mit dem Grundsatz des Laizismus. Wieder einmal möchte Paris muslimische Frauen bevormunden.
Sollte nicht jede Frau das Recht haben, frei darüber zu entscheiden, was sie tragen möchte und was nicht? Wäre es nicht ein vernünftiger Weg, Frauen in ihrer freien Entfaltung und ihren sportlichen Aktivitäten zu unterstützen, anstatt ihnen das Recht dazu zu nehmen? Liberté – die Freiheit, die den französischen Sportlerinnen mit Hijab genommen wird. Gelegentlich wird vergessen, dass zur Freiheit neben einer Enthüllung auch die Verhüllung gehört.
Bekleidungsverbote sind eben genau das, ein Gegenteil von Freiheit. Bei den Kopftuchdebatten geht es stets um die Unterdrückung der muslimischen Frauen. Warum melden sich kaum Stimmen gegen diese Form der Unterdrückung? Katharina Masoud, Expertin für Geschlechtergerechtigkeit von Amnesty International, hat sich klar dazu geäußert: „Weder ein Kopftuchzwang noch ein allgemeines Kopftuchverbot ist mit den Menschenrechten vereinbar.“
Frankreich verfolgt eine Diskriminierungskampagne gegen muslimische Frauen. Eine rückschrittliche Entscheidung, die klar zu verurteilen ist. In einer Zeit, in der muslimische positive Rollenmodelle mit Kopftuch mehr als gebraucht werden, wird ihnen der Weg versperrt.
Leser*innenkommentare
Käptn Blaubär
Moderator*in
Vielen Dank für eure Beiträge, wir haben die Kommentarfunktion nun geschlossen.
Normalo
Hmmm, aber wenn WM in Katar ist, müssen Alle brav umsetzen, was die dortigen Machthaber für das richtige Verhältnis zwischen Religion und öffentlichem Leben halten...
Frau Chaudhry hat natürlich Recht, dass bei strenger Anlegung liberaler Maßstäbe jegliche Kopfbekleidung bis zu gewissen Grenzen Privatsache ist. Im Sport dürfte das neben vorgeschriebener Sicherheitsbekleidung im Zweifel die Grenze zur Leistungsförderung sein (derer ein Koptuch wohl unverdächtig ist). Schirmmützen z. B. werden nicht dem strengen Regime des IOC zm Opfer fallen, oder?
Dafür sollte so eine Kopfbedeckung aber eben auch "privat" gemeint sein, und da liegt der Hase im Pfeffer. Ich hätte die Gegenfrage an Frau Chaudhry, warum es denn auf Teufel komm raus ein Kopftuch sein muss, wenn es sich dabei NICHT um ein - dem olympischne Gedanken sehr wohl widersprechendes - religiös-politisches Statement handelt (was das Koptuch nunmal in weiten Teilen der Welt ist)? Die Haare bedecken können auch andere Kleidungsstücke.
Und ob ein Staat kopftuchtragende Musliminnen als positives Rollenmodell zu fördern bereit ist, ist SEINE Sache. Ich kann die Franzosen gut verstehen, wenn sie da mehr als skeptisch sind.
aujau
Können sich denn Juden sicher und selbstbestimmt mit Kippa überall im öffentlichen Raum und im Sport bewegen?
Gleiches Recht für Alle.
Schalamow
"Sollte nicht jede Frau das Recht haben, frei darüber zu entscheiden, was sie tragen möchte und was nicht?"
Klar, sollte sie. Aber der Kommentar von Frau Chaudhry folgt mal wieder dem propagandistischen Muster von "Hands off my hijab!" bzw. "Touche pas a mon hijab", die das Kopftuch einseitig und gegen die Realität bestimmter Staaten und Milieus zum Emanzipationssymbol umzudeuten versuchen. Ich habe dazu mal einen alten Artikel hervorgekramt taz.de/Intersektio...minismus/!5533294/
Aber bei Gelegenheit kann uns Frau Chaudhry ja auch mal mitteilen, wie sie das Recht auf "Enthüllung" realisieren möchte. Oder uns gar mit einer Solidaritätserklärung zugunsten iranischer Frauen überraschen.
knackwurst
"Sollte nicht jede Frau das Recht haben, frei darüber zu entscheiden, was sie tragen möchte und was nicht?"
Hat sie doch. Sie kann dann nicht an Olympischen spielen teilnehmen, denn die Delegationen schreiben ihren Mitgliedern einheitliche Kleidung vor. Die kann ich auch nicht ablehnen und teilnehmen wollen. Und wo soll die Freiheit der muslimischen Frauen Grenzen haben? Dem Burkini? Beim Niqab? Der Abaya? Dem Hidschab?
Manfred Peter
Es ist ganz offensichtlich, daß man hier abwägen muß. Will man hunderttausenden Frauen, die durch ihre Gemeinschaft und Familen gezwungen werden sich zu verhüllen ein Stück ihrer Freiheit zurückgeben oder will man ein paar hundert Frauen erlauben sich aus angeblich freien Stücken zu verhüllen. Immer im Hinterkopf natürlich, daß in Staaten wie Iran oder Saudi-Arabien nicht "verhüllte" Frauen mit schwersten Strafen rechnen müssen
Kriebs
Bei der Frage des Kopftuchs müssen sich insbesondere linke die Frage stellen, ob man hier auf der richtigen Seite steht.
Im Großen Durchschnitt auf der Welt ist das Kopftuch ein Symbol der Unterdrückung. Die Frau muss es tragen und es ist keine freie Entscheidung für oder gegen das Kopftuch. Solange das Kopftuch ein solches Symbol der Unterdrückung ist, sollte sich die emanzipatorische linke fragen, ob man für die Unterdrückung (oder zumindest ihr Symbol) ist oder für die Befreiung der Frau.
Nansen
Ich find ja Atatürk ganz witzig - sofern die Geschichte stimmt:
Er hat angeblich die Burka nicht verboten, sondern das Tragen der Burka ausdrücklich vorgeschrieben - aber nur den Prostituierten.
Über Nacht war niemand mehr scharf drauf mit Burka herumzuziehen.
aujau
@Nansen Tatsächlich eine witzige Geschichte, die zeigen kann, dass die Verhüllung nur sehr bedingt etwas mit dem Glauben zu tun hat.
*Sabine*
Beim Tragen des Kopftuches geht es nicht um Religion*, sondern um Politik. Ich persönlich finde es gut, wenn bei sportlichen Wettbewerben politische Aussagen, Symbole und Zeichen untersagt sind. Den Wolfsgruß bei der EM 2024 fand ich auch äußerst unangenehm und habe es befürwortet, dass der Spieler gesperrt wurde.
*Ein Kopftuch zu tragen ist lt. mehreren Quellen, auch im Koran, keine religiöse Pflicht im Islam.
"In einer Zeit, in der muslimische positive Rollenmodelle mit Kopftuch mehr als gebraucht werden, wird ihnen der Weg versperrt."
Ich sehe das anders, trage allerdings selbst auch kein Kopftuch. Für meine Antwort habe ich versucht herauszufinden, ob etwas über die Religion von Frau Dr. Özlem Türeci, u.a. Mitgründerin von Biontech, bekannt ist. Ich habe leider nichts gefunden, hätte sie aber gerne als muslimisches positives Rollenmodell hervorgehoben, sofern sie Anhängerin des Islam ist/wäre.
insLot
Ja es sollte jedem frei stehen, die Insignien der Unterwerfung zu tragen. Und überhaupt ist ja Olympia eine individuelle Veranstaltung, ist ja nicht so, dass die Sportler ihre Staaten und deren Regime repräsentieren. Genauso wie Sport und dessen Leistungen nicht politische instrumentalisiert werden.
* Vorsicht, der erste Teil des Kommentars kann Spuren von Ironie enthalten.
Ich finde, Paris macht es genau richtig!
Nathaniel
Das Kopftuch ist nicht nur ein unschuldiges Kleidungsstück, sondern ein politisches Symbol für eine religös-konservativ begründete Geschlechtersegregation. Eigentlich ist es nicht anderes als die islamische Variante der amerikanischen antiliberalen Tradwives.
Herbert Eisenbeiß
Was genau von im Iran gehen die Frauen unter Lebensgefahr auf die Straßen, um endlich den Kopftuchzwang loszuwerden ist bisher bei der TAZ nicht angekommen?
Jim Hawkins
Ich werde nie verstehen, wie jemand darauf bestehen kann, ein Kleidungsstück zu tragen, für dessen Fehlen oder auch nur falschen Tragens Frauen im Iran verfolgt, verprügelt, gefoltert und ermordet werden.
Schleicher
@Jim Hawkins Und schwupps, eine Verbindung geschaffen zwischen friedliebenden Muslimen weltweit und Staatsterror im Iran.
In Deutschland wird man wohl eher verprügelt, weil man das Kopftuch trägt.
taz.de/Angriffe-au...gerinnen/!5619662/
Jim Hawkins
@Schleicher Dann erklären Sie mir mal, wie ein Symbol für die Unterdrückung und Entrechtung der Frauen dort hier eine ganz andere Bedeutung haben kann.
Die Religion ist dieselbe.
ke1ner
@Jim Hawkins Die naheliegendste denkbare Erklärung dafür ist doch, dass es von der jeweiligen Trägerin gar nicht in diese Beziehung gesetzt wird, sondern eher als ein Zeichen innerfamiliären Zusammenhalts, Solidarität aufzufassen ist.
U.U. der Preis dafür, als Frau entgegen überkommener religiöser Vorstellungen Sportlerin, Ingenieurin, Richterin werden zu können, ohne die Unterstützung der Familie zu verlieren, dieser gleichzeitig die Angst zu nehmen, von der Tochter im Stich gelassen zu werden (die dieses Symbol selbst von der nächsten Generation vielleicht gar nicht mehr einfordern wird)
Vor dem Hintergrund, dass solche Familien oft jahrzehntelange Diskriminierungserfahrungen bis in die aktuelle Gegenwart haben.
Das eigentliche Problem ist doch, dass Kleidung, religiöse Bekenntnisse einen freien Staat nichts angehen, ein Verbot automatisch zur anderen Seite der Medaille wird, die z.B. der Iran als staatlichen Zwang ausgibt, insofern dort eher als Bestätigung für die eigene repressive Haltung gelesen werden kann.
Seht her, trotz bzw. gerade wegen aller westlicher Freiheiten kann der Islam hier auch nach traditionellen Vorstellungen gelebt werden, wäre ein viel stärkeres Statement.
Jim Hawkins
@ke1ner Vor ein paar Jahren besuchte ich eine Fotoausstellung im Kreuzberg-Museum, die das Alltagsleben in den 80-er-Jahren in SO 36 zum Gegenstand hatte.
Zu sehen waren viele Menschen, hauptsächlich Türkinnen und Türken. Von den Frauen trug nicht eine ein Kopftuch.
Freunde und Bekannte, die damals dort lebten, bestätigten diesen Eindruck.
Heute ist grob gesprochen das Gegenteil der Fall.
Es gab und gibt also eine große Zuwendung zur Religion. Ich kann daran rein gar nichts gut finden.
Und: Warum verhüllen sich die Frauen?
Und dumm gefragt, warum nicht die Männer?
Genosse Luzifer
@Jim Hawkins Oder wie man erfolgreiche Indoktrination als "Freiheit" verstehen kann.
gyakusou
Ist die Frage, wie frei Frauen tatsächlich sind in der Entscheidung, ein Kopftuch zu tragen. Bei iranischen Athletinnen gilt das wohl kaum, dass sie frei und selbstbestimmt darüber zu entscheiden können.
Und wenn es nicht Druck von Seiten der Regierung/staatlichen Stellen ist, dann oft sozialer Druck der Gesellschaft oder der Familie.
Finde ich schwierig, dass der Artikel das gar nicht anspricht und nur die vermeintlich freie Entscheidung anspricht.
*Sabine*
@gyakusou " Bei iranischen Athletinnen gilt das wohl kaum, dass sie frei und selbstbestimmt darüber zu entscheiden können."
Gut, dass Sie das ansprechen. Folgendes habe ich soeben dazu gefunden und bin gspannt, wie die Debatte letztendlich ausgeht:
"Den Athleten stehe es frei, im Olympischen Dorf oder in den Sportstätten einen Hijab zu tragen. Für die Wettkämpfe selbst gelten die Regeln der internationalen Sportfachverbände."
Reisehank
Es ist völlig in Ordnung wenn ein Land die Religion ins Privatleben delegiert. Kopftücher, Kippas und Nonnenschleier haben bei einem sportlichen Wettkampf nichts verloren. Das als "Bevormundung von Frauen" zu bezeichnen ist grotesk.
testen
>Eine rückschrittliche Entscheidung, die klar zu verurteilen ist.<
Fortschritt = mehr Religion in der Gesellschaft?
Paul Meier
Wenn die Leute an diesen Orten auch keinen Davidstern und kein Kreuz tragen dürfen, sehe ich das Problem nicht.
Wenn Frankreich will, das Sportler*innen, die das Land vertreten auch dem Laizismus unterworfen sind, ist das nachvollziehbar.
Ich persönlich finde den Laizismus eine begrüßenswert Sache. Er macht Menschen im staatsbürgerlichen Raum nämlich vor dem Staat gleich.