Intersektionaler Feminismus: Kopftuch und Tabu

Seit Jahren beißen sich feministische Lager am Thema Kopftuch fest. Problematisch ist nicht nur die pauschale Kritik der Generation Alice Schwarzer.

Frauen mit und ohne Kopftuch lassen Luftballons steigen

Bedeutungsvoll gen Himmel: Protestaktion im Mai 2018 gegen das Kopftuchverbot in Berlin Foto: Stefanie Loos

Im Rahmen des Bundesfrauenkongresses der Grünen vergangene Woche in Leipzig ist ein Streit zwischen der Frauenbewegung der zweiten Welle sowie der dritten, jüngeren Welle von intersektional ausgerichteten Feminist*innen entfacht. Feministische Kreisverbandsmitglieder der Grünen schrieben einen offenen Brief an den Bundesvorstand, der vor Beginn des Zukunftskongresses von der Emma-Redaktion online veröffentlicht wurde. In dem Brief wurde u. a. kritisiert, dass es angesichts der Teilnehmer*innenauswahl auf dem Kongress gar nicht um Feminismus gehen könne. Kritisiert werden differenzfeministische Ansätze als „abgewürgter Feminismus“ und „Solidarität mit Unterdrückung und Opferkult“.

Auch andere Stimmen aus dem Umfeld der Grünen echauffierten sich im Vorfeld via Face­book über das Kopftuch der muslimischen Bloggerin Kübra Gümüşay, die unter den Speaker*innen im Kongress saß. „Kopftuch und Feminismus“ stünden „im diametralen Widerspruch zueinander“, „Vertreterinnen des politischen Islam gehörten nicht zum Feminismus“.

Nun kennen wir solche Art Kritik am Kopftuch von der zweiten Generation von Feminist*innen in Deutschland bereits. Seit Jahrzehnten wird er hauptsächlich von Alice Schwarzer geäußert, auf eine oftmals einseitige und bevormundende Weise unpräzise formuliert und auf alle Kopftuchträger*innen der Menschheit pauschal angewandt. Auch Frauen mit migrantisch-muslimischem Background wie das ehemalige Femen-Mitglied Zana Ramadani oder die Soziologin Necla Kelek ordnen sich bekanntlich in diese Reihen ein. Im Grunde genommen könnte man diese Kritik wieder einmal in die Schublade des sogenannten westlich kodierten, Schwarzer’schen Feminismus einordnen und weiter­ignorieren.

So einfach ist es aber eben nicht. Seit Jahren beißen sich beide feministischen Lager am Thema Kopftuch fest. Die einen pauschalisieren es als ausschließliche „Flagge des Islamismus“ und bedienen dabei antimuslimische Ressentiments. Die anderen sehen nur die Emanzipationsgeste in ihr und verharmlosen andere, für die Betroffenen sehr schmerzhafte Varianten. Die Wahrheit aber liegt dazwischen.

Mittlerweile lebt die dritte und vierte Generation der Nachkommen von Migrant*innen in Deutschland. Unter den Muslim*innen hat sich eine kleine Gruppe von jungen, größtenteils akademisierten Muslim*innen herauskristallisiert, die sich als deutsche Muslim*innen bekennen und zu islam- und migrationsbezogenen Themen die Stimme erheben. Ein großes Problem stellt die unkritische Haltung vieler dieser jungen Menschen gegenüber Islamismus dar.

Queerfeindliche Agenda

Eine bittere Realität ist aber auch, dass islamische Verbände und Organisationen in Deutschland (wie die Ditib, IGMG oder Atib) durch ihre islampolitische Agenda strukturell nationalistisch, frauen- und queerfeindlich und antisemitisch gefärbt sind. Diese Verbände haben in der Vergangenheit gezielte Vorarbeit bezüglich Mitgliederservice geleistet, indem sie diese junge Generation von Muslim*innen durch jahrzehntelange Jugend- und Erwachsenenarbeit verlässlich in ihre Strukturen eingebunden haben. Es liegt also in der Hand dieser jungen Menschen, vor allem der Frauen, solche islampolitischen Strukturen im emanzipatorischen Sinne zu hinterfragen.

Dies tut jedoch bis dato niemand – zumindest nicht so, dass es sichtbar wäre. Und es ist sicher nicht leicht. Allein die Tatsache, dass Moscheen in Deutschland überwiegend von diesen Verbänden gebaut werden, die Eingebundenheit vieler muslimischer Eltern in solchen Verbandsstrukturen plus das Erstarken von Rechtspopulismus und antimuslimischem Rassismus dürfte die Entscheidung, sich von solchen Strukturen kritisch zu distanzieren, zusätzlich erschweren.

Auch die Kritik an Kübra Gümüşay ist nicht neu. Die Autorin und Journalistin Sineb El Masrar kritisierte Gümüşay bereits 2016 in ihrem Buch „Emanzipation im Islam“ für ihre Teilnahme an islampolitischen, muslimbrüderschafts-nahen Veranstaltungen sowie ihre Nähe zur legalistischen Organisation Milli Görüş (IGMG). Auch ich übte Kritik, angesichts früherer Pro-Erdoğan-Postings auf Gümüşays Facebookseite und der Nichtthematisierung ihrer Sozialisation bei der AKP-nahen Milli Görüş. Vor zwei Jahren fragte ich sie – bewusst via Facebook – wie ihre Arbeit feministisch sein kann, wenn sie parallel dazu islampolitische, queer- und frauen- und minderheiten-feindliche Strukturen der Milli Görüş ausschweigt und durch aktive, interne Teilnahme unterstützt. Eine Positionierung auf diese Kritik blieb bisher aus. Gesprächsangebote wurden ignoriert, Gelegenheiten von kritischen Fragen vermieden. Die Kritik steht seither unbeachtet im feministischen Raum.

Ein weiteres Problem besteht darin, dass das Thema der Rolle der Frau und Queerness im politischen Islam tatsächlich eine Leerstelle des jungen, weißen, intersektional ausgerichteten Feminismus in Deutschland darstellt. Es wird partout nicht behandelt. Das Kopftuch beispielsweise wurde nur in puncto Entscheidungsfreiheit der Trägerin und Befürwortung des (selbstverständlichen) Selbstbestimmungsrechts der Frau für oder gegen das Kopftuch thematisiert.

Die Vielfalt unterschied­licher Bedeutungsvarianten des Kopftuchs bleibt somit tabu. Etwa diejenigen Frauen, denen das Kopftuch gegen ihren Willen familiär aufgedrückt wird, oder jene, die es aus Überzeugung abgelegt haben. Es wird lediglich die Bedeutungs­variante des Kopftuchs als Zeichen der Emanzipation hervorgehoben, nur wie dies konkret aussehen soll, das bleibt unangesprochen. Ebenso wie Abhandlungen zur Geschlechtertrennung, zur Rolle der Frau in islampolitischen Strukturen, das damit einhergehende binäre, komplementäre Geschlechterverhältnis oder die Vermeidung des Handschüttelns gegenüber dem anderen Geschlecht.

Namen von islamischen Fe­mi­nist*innen fielen zwar in den letzten Jahren im deutsch-­feministischen Kontext vereinzelt, Inhalte des Hauptkampfes islamischer Feminist*innen gegen den politischen Islam, etwa die Hinterfragung androzentrischer Lesarten des Korans, wurden nie einbezogen. Der Begriff „muslimischer“ oder „islamischer Feminismus“ funktionierte bisher als inhaltsleeres Etikett. Dazu haben auch Medien beigetragen.

Wie politische Akteur*innen in Moscheeverbänden teilweise frauen- und minderheitenfeindliche Strukturen aktiv unterstützen, wird weder thematisiert noch kritisch betrachtet. Dabei wäre genau dies die Aufgabe von intersektionalen und antirassistisch orientierten Feminist*innen. Diese Kritik schließt eine Solidarisierung mit Minderheiten ja nicht per se aus, im Gegenteil. Im Sinne der Intersektionalität könnten sie, dieselben Feminist*innen, sich zum einen gegen antimuslimischen Rassismus, zum anderen aber auch gegen Rassismus gegenüber religiösen Minderheiten, wie etwa gegen Kurd*innen, Alevit*innen, Yesid*innen stark machen. Denn ihre Ausgrenzung geht mit reak­tionären Islam-Auslegungen einher und hat fatale Folgen. Und zwar nicht nur in der Türkei, sondern auch hier in Deutschland.

Der Punkt der Mehrfachdiskriminierung sollte im feministisch-intersektionalen Sinne alle Frauen des muslimischen Spektrums sichtbar machen und nicht nur Vertreter*innen eines bestimmten Islam. Bestehende Grenzen sollten durch feministische Diskussionen aufgebrochen und fehlende Solidarität gefördert werden. Jegliche Emanzipationsprozesse müssen sichtbar werden, ob von konservativen Muslim*innen mit und ohne Kopftuch, muslimischen Konvertit*innen, Kopftuchträger*innen, die sich bewusst von islampolitischen Verbänden distanzieren, oder Kopftuchträger*innen, die sich so freizügig kleiden und leben, dass sie dadurch aus Communities ausgeschlossen werden. Ebenso säkulare Muslim*innen, Alevit*innen, Kurd*innen, Atheist*innen und geflüchtete Muslimin*innen – all diese Frauen bleiben im Diskurs bisher unsichtbar.

Die fehlenden Kenntnisse weißer, nichtmuslimischer, intersektional orientierter Feminist*innen in puncto Diversität des Islam sowie das Aufschieben einer differenzierten Kritik am islampolitischen Patriarchat, begünstigen nicht nur den Raum für die pauschalisierende Kritik der Zweite-Welle-Feminist*innen, sondern werfen langfristig auch ein schlechtes Licht auf die wertvollen Inhalte und die bisher geleistete, harte Arbeit von intersektionalen, antirassistischen Feminismen. Und nicht nur das: derartige Lücken bieten Rechtspopulist*innen ebenso Argumentationsspielraum, die antifeministische Lager verstärkt und die postfeministische Bewegung zunehmend schwächt. Zudem könnte diese Art von Nichtbenennung als eine neue Form ignoranter, weißer Bevormundung ausgelegt werden, welche den Islam wie eine Art feministische Folklore für eigene Zwecke missbraucht.

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ist promovierte Sprach-, Islam- und Genderforscherin. Sie führte eine sozialwissenschaftliche Studie zur Bedeutung des Kopftuchs durch. Als Rapperin ist sie unter dem Namen Lady Bitch Ray bekannt.

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