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Vor Stichwahl in FrankreichHoffen auf republikanische Disziplin

207 Kandidaten, die für die Stichwahl in Frankreich qualifiziert wären, haben verzichtet. Sie wollen damit einen Sieg der extremen Rechten verhindern.

„Bardella, wir wollen dich nicht“, steht an der Wand, aber das sehen in Frankreich nicht alle so Foto: Aurelien Morissard/ap

Paris taz | Man kann es Solidarität der Demokraten nennen oder auch opportunistische Schadenbegrenzung: die Abwehrfront der Linksparteien mit Zentrums- und gemäßigten Rechtsparteien gegen die extreme Rechte, die von ihnen als tödliche Gefahr für die parlamentarische Demokratie, und somit als gemeinsamer Feind, betrachtet und bekämpft wird.

In Frankreich sind solche Wahlabsprachen unter der Bezeichnung „republikanische Disziplin“ bekannt. Sie steht vor den Stichwahlen am kommenden Sonntag für den Verzicht auf die Teilnahme an der Finalrunde bei den Parlamentswahlen.

In dieser Weise hatten 2002 – als bei den Präsidentschaftswahlen mit Jean-Marie Le Pen erstmals ein Kandidat des Front National zur Stichwahl gegen den Amtsinhaber Jacques Chirac antreten konnte – die Wäh­le­r*in­nen der ausgeschiedenen Linken (fast) geschlossen gegen den Rechtsextremisten für Chirac gestimmt. Und in derselben Weise 2017 und 2022 für Emmanuel Macron gegen Marine Le Pen.

In diesen drei Präzedenzfällen war jeweils die Aussicht eines Siegs der extremen Rechten ziemlich gering oder fast gleich null. Und trotzdem fiel es den linken Parteiführungen leicht, ihre Wahlempfehlung zugunsten der politischen Gegner Chirac und Macron zu geben.

Heute ist der Wahlsieg des Rassemblement National (RN) von Marine Le Pen nicht nur möglich, sondern höchstwahrscheinlich. Noch am Abend der ersten Runde am vergangenen Sonntag hatten die linken Parteien des Nouveau Front Populaire (Neue Volksfront) ohne zu zögern angekündigt, dass sie ihre für die Stichwahlen qualifizierten Kandidaten überall dort zugunsten von Macronisten, Konservativen und Zentrumsdemokraten zurückziehen, wo ein RN-Kandidat dank der Konkurrenz durch schlechter platzierte linke Gegnern gewinnen könnte. In 89 von 91 betroffenen Wahlkreisen hat die Volksfront auf die Teilnahme verzichtet.

Die Konservativen von Les Républicains dagegen fühlen sich nicht dazu verpflichtet. Für sie gilt eher die Devise „weder extrem rechts noch links“, da sie beide Gegner als Extreme offenbar auf dieselbe Stufe stellen. Nur in zwei Situationen, wo die Linke klar bessere Chancen hat, haben sich LR-Kandidaten zurückgezogen.

Macron hofft auf breite nationale Einheit

Präsident Macron hatte sich zum Fiasko, das ihm die vorzeitigen Neuwahlen beschert hatten, zunächst nicht geäußert. Und das, obwohl in Frankreich immer noch alle wissen wollten, was er mit seiner abrupten Entscheidung, nach dem Ergebnis der Europawahlen die Nationalversammlung aufzulösen, bezweckt hatte.

Angesichts der Aussicht, dass aufgrund der Ergebnisse am letzten Sonntag die extreme Rechte sogar eine absolute Mehrheit erreichen könnte, rang er sich dann aber doch zu einer kurzen Erklärung durch. Macron drückte den Wunsch aus, dass eine breite nationale Einheit der wirklich demokratischen Kräfte der Republik zustande kommen müsse. Doch wer sollte mit wem zusammenkommen? Das konkretisierte der Präsident nicht.

„Von Fall zu Fall“ wollten prominente Macronisten wie der frühere Premierminister Édouard Philippe diese Sache regeln. Er selber unterstützt in seinem Wahlkreis gegen die RN-Kandidatur einen Kommunisten in der Stichwahl. Andere wie der noch amtierende Regierungschef Gabriel Attal waren eher dafür, bei den Wahlabsprachen zugunsten von Linken nicht zwischen Sozialisten, Kommunisten, Grünen und vor allem La France insoumise (LFI) zu unterscheiden.

Vor allem die Vorstellung, eigene Kandidaturen im Interesse der linken Partei LFI zurückziehen zu müssen, die von rechts und auch in der politischen Mitte sowie von Sozialdemokraten als „linksextrem“ bezeichnet wird, bereitete den Macronisten sichtlich Magenkrämpfe. Am Ende haben sie sich doch in mehreren Fällen dazu durchgerungen und nur in vier Wahlkreisen ihre Kandidaturen aufrechterhalten. Sie hoffen damit, den beim Vormarsch der extremen Rechten absehbaren Schaden in Grenzen zu halten.

Dank diesem „disziplinierten“ Verzicht ergeben sich nun nur noch 92 statt ursprünglich 299 Dreieckwahlen (mit drei Finalisten) und noch zwei statt fünf Vierecke (mit vier Bewerbern). Diese veränderte Wahlgeometrie hat zur Folge, dass die Aussichten des RN, eine absolute Mehrheit zu erhalten, bedeutend kleiner werden.

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17 Kommentare

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  • Zitat '„Von Fall zu Fall“ wollten prominente Macronisten wie der frühere Premierminister Édouard Philippe diese Sache regeln. Er selber unterstützt in seinem Wahlkreis gegen die RN-Kandidatur einen Kommunisten in der Stichwahl.'



    In deutsche Verhältnisse übersetzt (natürlich nicht 100 % vergleichbar) würde dies bedeuten, dass ein/e FDP Politiker/in zur Wahl eines Kandidaten/in des linken Flügels der „Die Linke“ aufruft. Völlig undenkbar hier.



    Dass Frankreichs Politiker – wenn es hart auf hart kommt – Anstand und Stabilität höher werten als reinen politischen Opportunismus, kann man aus deutscher Sicht wirklich nur beneiden.

  • Der Zauberbegriff um daraus eine saubere Sache zu machen heißt "Konsensieren", die Mehrheitswahl ist einfach nicht mehr zeitgemäß.

  • Hoffen wir auf den republikanischen Geist unsere Nachbarn !



    Mir ist die deutsche Diskussion manchmal zu überheblich ,so als ob wir schon immer die aufrichtigsten Demokraten gwesen wären, aber Faschismus und Stalinismus waren in Frankreich nicht an der Macht aber sehr wohl in zwei deutschen Staaten !

    • @Barthelmes Peter:

      ""....Faschismus und Stalinismus waren in Frankreich nicht an der Macht.""



      ==



      Das faschistische Vichy - Regime war in SüdFrankreich während WWII sehr wohl an der Macht - während der Norden von deutschen Nazis besetzt war.

      Das Rassemblement National (RN) von Marine Le Pen ist die Partei, die vom Vater Jean-Marie Le Pen als Front National (FN) gegründet wurde. Jean-Marie Le Pen verherrlichte das deutsche Nasziregime und wurde mehrere Male dafür rechtskräftig verurteilt.

      • @zartbitter:

        Vichy ist wohl kaum mit Stalins Gulags und deutschen KZs in Verbindung zu setzen , aber die Kollaboration mit den Nazis war verheerend, dennoch haben in Frankreich mehr Juden überlebt als in jedem anderen westeuropäischen Staat.

        • @Barthelmes Peter:

          Im März 1942 startete der erste Zug mit jüdischen Deportierten vom KZ Royallieu bei Compiègne ins Vernichtungslager Auschwitz. Insgesamt wurden 75.721 Menschen mit 79 Zügen deportiert. Nur 2500 konnten 1945 befreit werden; die übrigen wurden ermordett.

          Die Hauptverantwortung trägt das deutsche Naziregime - den anderen Teil der Verantwortung trägt das Vichy-Regime mit dem Regierungschef Pierre Laval und dem Präsidenten Philippe Pétain.

          Die Deportation von Juden aus Frankreich unter Mithilfe der französischen Polizei war im Land selbst lange unbekannt - und rief nach Bekanntwerden Entsetzen hervor.

          Die Anzahl der ermordetetn Juden aus Frankreich gehört zu den höchsten Mordraten in Westeuropa.

          www.bpb.de/fsd/cen...uden_nach_land.php

  • Das Wahlsystem ist ein großer Murks, nur in den USA ist es noch schlimmer, weil es keinen zweiten Wahlgang gibt.

    Sicher ist das deutsche Wahlsystem nicht ideal, aber es erlaubt der Gesellschaft deutlich besser, sich neu auszurichten.

  • Die Frage ist ja, ob sich die Wähler so verschieden lassen, wie die Parteistrategen das vorstellen.



    Für viele bürgerliche Wähler ist der offene Antisemitismus und die Migrationspolitik des Linksbündnisses abschreckendes als der RN.



    Und viele linke Wähler verachten Macron und seine Helfer viel zu sehr, um sie jemals zu wählen.

    • @Don Geraldo:

      Antisemitismus ist nicht, wenn man mit der Besatzungspolitik Israels nicht einverstanden ist. Es geht also vielmehr um eine Stilfrage.

      Auf der anderen Seite buhlt der RN um Vertreter der jüdischen Gemeinschaft um präsentabel zu wirken. Dabei ist der RN absolut vom Rassismus als Wahlmotivation abhängig. Im Fernsehen Kreide fressen, aber wenn auf einem Marktplatz jemand über Schwarze als nicht echte Franzosen herzieht, nicken sie natürlich (in der Hoffnung, daß keine Kamera läuft). Ohne Rassismus läuft da nix.

  • Hätten Sie nicht bitte für deutsche Leser das Wahlverfahren etwas besser erklären können? Für mich impliziert der Begriff "Stichwahl" eine Wahl zwischen genau zwei Kandidaten, nicht mehr. Mir scheint der Begriff hier ganz einfach falsch gewählt. Wenn ich versuche, zu verstehen, dann scheint es ganz einfach ein zweiter Wahlgang zu sein, für dessen Ausgang es nicht mehr auf eine absolute Mehrheit ankommt. Stimmt das so oder wie ist es richtig? Ohne mehr Information und Erklärung beleibt der Artikel für mich unverständlich.

    • @Axel Berger:

      Um in die Stichwahl zu kommen, müssen sie entweder zu den beiden Kandidaten mit den meisten Stimmen gehören oder mindestens 12,5 % der Stimmberechtigten sie gewählt haben, bei der üblichen Wahlbeteilung von ca. 60 % also rund 20 % der abgegebenen Stimmen.

    • @Axel Berger:

      Ja, es stimmt so, wie Sie es vermuten. Wir sprechen von "1er tour" und "2d tour", also von "Wahlrunden", wobei zum 2. Wahlgang prinzipiell alle zugelassen sind, die mehr als 12,5 % im ersten erreicht haben. Stichwahl" ist im Deutschen tatsächlich etwas missverständlich.

  • Ein Verhalten, wie es sich für standhafte Demokraten gehört. Sehr gut. Hoffentlich wird dieses Bemühen auch vom Wähler honoriert und so mit Erfolg gekrönt.

  • Das ist im Grunde nichts anderes als wenn ich meine Erststimme dem Kandidaten gebe, den ich nicht ganz so doof finde wie den Kandidaten der Gegenseite, auch wenn beide nicht der Partei entsprechen, die ich mit Zweitstimme wähle...

  • Man könnte es auch Koalition der Verlierer nennen. In jedem Fall sind diese Verzichte leider eine demokratische Bankrotterklärung, denn der Wähler wird um Optionen und um die Möglichkeit der Repräsentanz seiner politischen Einstellung gebracht.

    • @insLot:

      ""Man könnte es auch Koalition der Verlierer nennen""



      ==



      Sicher?

      Statt mit "discipline républicaine" versuchen sie es in Ihren Überlegungen nal mit dem ""Prinzip Churchill"". Als es soweit war nannte er es nicht republikanische Disziplin sondern "" Er würde mit dem ""Teufel paktieren"" um gegen die deutschen Nazis zu kämpfen. Zu diesem Zeitpunkt war Europa in der Hand der Nazis - und UK der einzige militärische Gegner Hitlers.

      Nur so nebenbei - Churchill hat gewonnen - weil er mit der Sowjetunion einen Pakt abgeschlossen hat - die USA kamen erst später.

      Wie würden Sie entscheiden? -

    • @insLot:

      Da haben Sie natürlich recht, aber diese "discipline républicaine" haben wir hierzulande ja auch, gerade im Osten, wenn es darum geht AfD-Kandidaten zu verhindern. Und nach den Herbstwahlen werden vielleicht noch ganz andere Verrenkungen notwendig sein....