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Frankreich nach der WahlKein Geld für teure Experimente

Ob links, Mitte oder rechts: Die künftige französische Regierung hat nur wenig Spielraum für Reformen. Frankreich ist hochverschuldet.

Ex-EZB-Präsident Jean-Claude Trichet hält die Wahlprogramme der NFP und des RN für gefährlich Foto: Thomas Lohnes/epa

Paris taz | Frankreich ist das Sorgenkind der Euro-Buchhaltungsprüfer. Gegen das Land läuft ein Verfahren wegen seines exzessiven Haushaltsdefizits. Bis zum 20. September muss die Regierung einen glaubwürdigen Plan mit Einsparungen vorlegen – ansonsten drohen Sanktionen. Die wiederum könnten die finanzielle Misere weiter verschärfen.

Ein paar Zahlen verdeutlichen, wie sehr sich die Lage nach der Covid-Epidemie verschlimmert hat: Die öffentliche Verschuldung betrug am Ende des ersten Quartals 2024 3,1 Billionen Euro, das entspricht 111 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Das Haushaltsdefizit sollte gemäß Budgetentwurf von 5,5 bis Ende des Jahres auf 5,1 Prozent des BIP gesenkt werden. Doch davon ist Frankreich weit entfernt.

Emmanuel Macrons Regierung mit Premierminister Gabriel Attal von der Partei Ensemble hatte für die kommenden Jahre Einsparungen der öffentlichen Ausgaben um 30 Milliarden Euro versprochen, um bis 2027 das Haushaltsdefizit auf die von der EU geforderte Grenzmarke von 3 Prozent zu senken.

Dieser Plan ist mit Ausrufung der Neuwahlen bereits Makulatur: Ensemble versprach im Wahlkampf, auf eine Reform des Arbeitslosengeldes zu verzichten. Diese hatte schärfere Bedingungen für den Anspruch auf Leistungen bedeutet und – freilich zu Lasten der Arbeitslosen – schon in diesem Jahr zu den Kostensenkungen beigetragen. Die Reform hätte in diesem Monat in Kraft treten sollen. Doch das ist nun passé.

Politische Instabilität verunsichert die Finanzmärkte

Auch links und rechts von Ensemble waren die Wahlversprechen üppiger als die Staatskasse. Der frühere EZB-Präsident Jean-Claude Trichet sagte dazu: „Die Programme der Neuen Volksfront (NFP) und des Rassem­blement National (RN) sind für mich beide aus wirtschaftlicher und finanzieller Sicht sehr gefährlich.“ Die Ausgangslage sei keineswegs vergleichbar mit 1981, als der neugewählte sozialistische Präsident François Mitterrand eine Reihe von Sozialreformen (Pensionsalter 60, fünf Wochen Urlaub) beschloss. Damals betrug der BIP-Anteil der Staatsschuld bloß 21 Prozent, nicht 111 Prozent wie heute.

Mit den sozialpolitischen Vorschlägen des NFP würde laut Trichet das französische Defizit in drei Jahren um 100 Milliarden zunehmen. Allein die vom RN angekündigte Senkung der Mehrwertsteuer für Energie und Nahrungsmittel würde die Staatskasse 20 Milliarden Euro kosten. „Weder der NFP noch das RN scheinen den Ernst der aktuellen Situation zu verstehen“, meint Ex-EZB und Nationalbankchef im Magazin Le Point.

Die Aussicht auf eine politische Instabilität verunsichert bereits die Finanzmärkte. Ohne die Perspektiven allzu schwarz malen zu wollen, könnte Frankreich bei den Investoren und Geldgebern weniger attraktiv werden, in der Folge würden die Zinssätze steigen und damit die Verschuldung teurer werden, was die Einhaltung der Maastricht-Kriterien weiter erschwert.

Für die heutige EZB-Vorsitzende Christine Lagarde könnte sich daher ein Dilemma ergeben, weil Sanktionen die finanzielle Gesundung Frankreichs hinauszögern könnten. Wie sie reagieren würde, falls mit einer neuen Regierung in Paris die Haushaltsdisziplin in Vergessenheit geraten sollte, lässt sie offen: „Die EZB wird tun, was sie tun muss. Unsere Aufgabe ist es, für die Preisstabilität zu sorgen, und diese hängt wiederum von der Stabilität der Finanzen ab.“

Falls indes eine politische Krise in Frankreich die Finanzmärkte in Panik versetzt, wäre rasch die ganze Eurozone betroffen und die EZB zum Eingreifen gezwungen. Diese unerfreuliche Ausgangslage könnte die Wahlsieger dazu veranlassen, allzu kostspielige Versprechen auf später zu verschieben oder aber das Angebot, die Regierungsverantwortung zu übernehmen, dann doch lieber gleich abzulehnen.

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22 Kommentare

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  • @MACHIAVELLI

    Drum: *VERMÖGENSSTEUER*!

    (sorry, dass ich etwas laut geworden bin :)

  • Frau Lagarde wird ihr Frankreich schon nicht hängen lassen. Schuldenabbau kann auch eine Währungsreform bringen. Frau Lagarde hat dies, zumindest was die Geldentwertung angeht, schon auf der Agenda. Mal sehen ob sie es schafft.

  • Frankreich ist nicht hochverschuldet, die Schuldenquote Japans liegt bei 260% die USA bei 130%. Europa muss endlich diesen Austeritätsschwachsinn überwinden. Wie genau beeinflusst die Schuldenquote eines Landes die Volkswirtschaft?

    Kann denn die Quote nicht auch durch Steigerung des BIPs gesenkt werden, sprich sinnvolle Schulden zur Senkung der Quote?

    Ich verstehe nicht weshalb es nicht mal ein linkes Medium schafft über diesen künstlich erzeugten Tellerrand zu blicken.

    • @Oliver Grimm:

      Japan ist eine spezielle Situation und Japan hat jahrelang faktisch kein Wachstum gesehen. Die USA haben die Weltleitwährung auch eine andere Situation.

      "Wie genau beeinflusst die Schuldenquote eines Landes die Volkswirtschaft?" Irgendwann kann sich der Staat nicht mehr weiter verschulden oder muss statt Leistungen zu liefern nur noch Zinsen zahlen das schadet dann der Wirtschaft.

      "Kann denn die Quote nicht auch durch Steigerung des BIPs gesenkt werden, sprich sinnvolle Schulden zur Senkung der Quote?" Das wäre die Idee aber eigentlich bräuchten wir weniger Wachstum wegen dem Klimawandel und in einer alternden Gesellschaft ist Wachstum auch schwieriger.

  • Macron hat ja auch die Vermögenssteuer abgeschafft.

    Nur so.

  • Von der TAZ wuerde ich mir eine differenzierte Berichterstattung wünschen.

    Leider nehmen derzeit deutsche Medien den Diskurs der neoliberalen und faschistischen Parteien auf - das Programm der Front Populaire sei zu teuer. Dabei ist die Front Populaire die einzige Fraktion die sowohl Einnahmen als Ausgaben in Betracht zieht und ihr Programm berechnet hat. (www.nouveaufrontpopulaire.fr/ "Financement du Programme")

    Finanztransaktionssteuern, Exit-Tax, Reichensteuer und eine bessere Differenzierung der Steuerklassen sind keine Zaubermittel, sondern seit Jahrzehnten klar berechnete Mittel um das Einkommen zu erhöhen. Deshalb war es auch möglich sie in dem kurzen Wahlkampf sofort ins Programm aufzunehmen.

    Von Macron wurde die Reichensteuer abgeschafft und die Frankreich ist derzeit einer der letzten Gegner der europaeischen Finanztransaktionssteuer.

    Aber es ist ja auch einfacher laut zu schreien, dass die Finanzmärkte in Panik geraten als nachzurecherchieren aufgrund von welchen Ausgaben und verfehlten Einnahmen die öffentliche Verschuldung unter Macron so drastisch gestiegen ist!

    Die geplante Kürzung des Arbeitslosengeldes wäre übrigens die 4.(!) seit 2017...

  • Frankreich ist Deutschland nur 10 Jahre voraus. Die Zinsen und Tilgungen werden jeden politischen Spielraum einschränken.

    • @Franz Tom:

      Eher nicht:



      "Noch 2008 waren Frankreich und Deutschland bezogen auf das Bruttoinlandsprodukt (BIP) mit 69 und 66 Prozent ähnlich hoch verschuldet. Seither läuft die Entwicklung auseinander. Während die Verschuldung Deutschlands relativ zur Wirtschaftsleistung unverändert blieb, stieg sie in Frankreich deutlich auf 112 Prozent wie der IWF vorrechnet."



      Quelle handelsblatt.com

  • "Kein Geld für Experimente" bedeutet ja genau, lass uns die Rechte doch nächste Wahl an die Regierung holen.

    Geld Investitionen und Ausgaben sind nötig, mit mehr Last auf den Schultern der Hochvermögenden und -einkommen. Macrons Neoliberalismus jedenfalls ist eine Sackgasse.

  • Das ist immer toll! Der neoliberale Kapitalismus verteilt Steuergeschenke ohne Ende an Reiche und Großkonzerne, leert so die Staatskasse, und dann sollen wieder Mittelklasse, Arbeitnehmer, Arme, Arbeitslose, Rentner, Kranke die Zeche zahlen. Unter der Regierung Macron wuchsen dieSchulden um 1000 Milliarden Euro!



    Entgegen der Überschrift ist sehr wohl Geld da für teure Experimente, aber immer nur neoliberale.

  • Es scheint ja fast so, als ob eine Schuldenbremse ( und sich an Sie zu halten) doch eine gute Idee ist, um französische Zustände zu verhindern. Das Land ist wortwörtlich gelähmt.



    Frankreich zahlt alleine 57 Miliarden (sic!) Zinsen dieses Jahr



    (www.tagesschau.de/...sdefizit-100.html)



    Da lobe ich mir doch die vielgescholtene deutsche Haushaltsdisziplin, die uns die Möglicheit gibt langfristig und nachhaltig handlungsfähig zu bleiben.

    • @Sybille Bergi:

      Sie verstehen aber schon, dass die Zinsen quasi 1:1 wieder direkt in die Wirtschaft zurück fließen? Also nein: 57 Milliarden Euro Zinszahlungen sind kein Problem. - Bitte nicht immer von der Größe einer Zahl erschrecken lassen.

      • @yonas:

        In welche Wirtschaft?



        Die Zinsen fließen vor allem an diverse Unternehmen der Finanzindustrie, die die Staatsankeihen kaufen - Banken, Versicherungen, Fonds (Blackrock & Co.🤑)

    • @Sybille Bergi:

      Ketzerei!

  • Sauber dargestellt von Herrn Balmer. Was nicht geht, hatte Frau Truss in ihrer 4 wöchigen Show in Downing Street 10 bereits vorgeführt. Wenn die Finanzmärkte deinem Programm nicht trauen hast du ein Riesenproblem.



    Übrigens zeigt das auch das Grundsatzdilemma hierzulande und EU weit auf. Abhängigkeit vom Kapitalmarkt sind eben auch brandgefährlich. Keine Ahnung warum so leichtfertig mit Aufnahme neuer Schulden, sorry, Sondervermögen umgegangen wird. Es muss andere Lösungen geben. Ideen gibt's genug.

  • Frankreich bietet extrem reichen Menschen auch Steuermodelle an, die sich nicht rechnen, die zu Lasten der Bevölkerung gehen. Und Marcon hat nie vorgehabt, die Finanzen zu verbessern, sondern er wollte ein wenig refomieren und möglichst alles andere so belassen wie es ist. Damit ist er aber gescheitert.

    Es ist an der Zeit, den französischen Staat besser zu finanzieren und das durchzuspielen, was es an Möglichkeiten gibt. Das wurde im Parlament auch ausgiebig von Links getan, es werden Milliarden einfach verschenkt, meist an extrem reiche und privilegierte Kreise vergeben. Ich kann mich bei der Rentenreform noch daran erinnern, wie wenig die Regierungsbank ihr Projekt verteidigen konnte, weil es so ungerecht und unverständlich war. Natürlich werden rechte Kreise jetzt so tun, als ob das Land vor dem Kollaps steht, als wenn das Chaos droht.

    In Wirklichkeit verteidigen die aber die Interessen von bestimmten Klassen. Und die leben gut mit einer gigantischen verschwendung und Privilegierung von Reichen, Kapitalbesitzern und großen Unternehmern. Unter normalen Bedingungen will keiner von denen mehr Staatseinnahmen, im Gegenteil, wenn sie regieren, ist ihnen das egal.

  • 4G
    48798 (Profil gelöscht)

    Die Austeritätspolitik und deren Manifestation nationalen Schuldengrenzen sind in Europa das Werk der deutschen Neoliberalen.



    Wohin die führt kann in Deutschland jeder beobachten: Armut, Obdachlosigkeit, Wohnungsnot, Tafeln, verrottete Infrastruktur, schlechte Schulen, dysfunktionale Verwaltung, fehlender ÖPNV

    Wenn Länder hier einen anderen Weg beschreiten haben sie meine Hochachtung.

    • @48798 (Profil gelöscht):

      Stimmt! Sauberes Trinkwasser gibt es auch nicht mehr.

    • @48798 (Profil gelöscht):

      Am Ende steht Argentinien. Sie können sich schon mal ansehen, in welche Richtung das geht.

    • @48798 (Profil gelöscht):

      Eine Verschuldung ohne Grenze verdient Ihre Hochachtung? Dann kommt irgendwann die Insolvenz.

  • Ich weiß schon was als nächstes gefordert wird, dann soll halt die EZB das ganze finanzieren durch Geld drucken. Wenn dann die Inflation hochschießt sind die bösen Banken oder Spekulanten Schuld.

  • Der Staat hoch verschuldet



    und die Reichen noch reicher werden lassen. Das wurde so gedreht als ob die einfachen Leute durch ihre "unverschämten Forderungen" den Staat in die Schulden getrieben haben, deshalb Erhöhung des Rentenalters und andere Einschnitte.



    Da wundert es doch niemand dass Macron derart in Bedrängnis geraten ist.



    In Deutschland ist das nicht anders!



    Die Frage bleibt doch: wie erhöht man die Leistungsfähigkeit einer Gesellschaft?



    Durch Kürzungen in der Bildung und Einschränkungen im Sozialbereich sicher nicht!



    Umgekehrt wird ein Schuh daraus.



    Im Kapitalismus muss jenen, die ihr Kapital verloren haben, Kapital zugeführt werden.



    Und Kapital ist alles das was nicht nur ein Unternehmen, sondern jeden einzelnen für den Markt wertvoll werden lässt. Und jener leistet viel, der nicht zum bedingungslosen Lohnsklaven degradiert wird, sondern ein Ziel und Nutzen in seinem Engagement sieht. Das scheint in der Politik nur schwer begreifbar zu sein? Dort lebt man scheinbar überwiegend noch im 19ten Jahrhundert. Die Zeiten des Produzierens und Verkaufen in die Welt der "Bedürftigen" geht zu Ende, die produzieren zunehmend selbst.