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Einsatz westlicher Waffen in RusslandStrategischer Balanceakt

Tanja Tricarico
Kommentar von Tanja Tricarico

Was die Ukraine braucht, sind schnelle Entscheidungen. Dass sich selbst angekündigte Waffenlieferungen verzögern, ist fatal für die Verteidigung.

Ein ukrainischer Soldat installiert den Zünder einer Artilleriegranate, bevor er mit einer von den USA gelieferten Haubitze schießt Foto: Evgeniy Maloletka,ap/dpa

N un ist sie da. Die Angst vor der Eskalation. Und die Furchtspirale wird sich in den kommenden Tagen wohl noch mächtig weiterdrehen. Washington und Berlin erlauben der Ukraine, mit westlichen Waffen russisches Territorium anzugreifen. Natürlich begrenzt – so etwa im hart umkämpften Gebiet um die Millionenstadt Charkiw unweit der russischen Grenze. Und selbstredend soll das ganze nur im Rahmen des Völkerrechts stattfinden. Eine Eskalation soll in jedem Fall vermieden werden.

Während Frankreich und Großbritannien bereits in der Vergangenheit schlagkräftiges Gerät schickten – zum Beispiel Marschflugkörper vom französischen Typ Scalp und vom britischen Typ Storm Shadow –, zögerte vor allem die Bundesregierung. In der Taurus-Diskussion ist es derzeit still. Aber es dauerte Wochen, bis Bundeskanzler Olaf Scholz sich mit einem Nein eindeutig positionierte.

Ganz zu schweigen von einem Einsatz nationaler Bodentruppen, den Frankreichs Präsident Emmanuel Macron ins Spiel brachte, wenngleich in verklausulierter und vager Form. Doch der Vorstoß sorgte für einen Debattenstrudel, der von der eigentlichen Problematik ablenkte. Nämlich dem simplen Fakt, dass die Verbündeten der Ukraine ihre Zusagen militärischen Geräts zwar vollmundig verkündet haben, aber die Lieferungen an die Front auf sich warten lassen.

Selbst die tschechische Initiative, mehrere Hunderttausend Schuss für die Artillerie an die Ukraine zu schicken, schleppt sich dahin. Geld ist offenbar da – auch Deutschland hat einen Großteil zugesagt –, allein der Schritt von der Theo­rie in die Praxis lässt in der gewünschten Dimension auf sich warten. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg drängte in dieser Woche die Nato-Länder, den Einsatz westlicher Waffen auf russischem Territorium zu erlauben.

Keine Zeit für Verzögerungen

Und noch bevor sich die Zögerlichkeitsdebatte ordentlich breitmachen konnte, reagierten die USA und Deutschland. Offenbar hat man aus dem Kommunikationsdebakel vergangener Hickhacksituationen gelernt. Natürlich muss jede Entscheidung abgewogen werden – aber diese Abwägung gehört hinter verschlossene Türen.

Angesichts der dramatischen Lage in der Ukraine – und des bedingungslosen Versprechens –, dem Land, das sich verzweifelt gegen die russische Invasion wehrt, braucht es schnelle Abstimmungen, eine klare Haltung und gemeinsame Entscheidungen. Jegliche Verzögerung ist letztlich auch ein gefundenes Fressen für die Ak­teur:in­nen an den extremen politischen Rändern, die einen Frieden fordern, der die Ukraine zwingen würde, auf eigenes Territorium zu verzichten.

Das würde ganz unmittelbar Diktator Wladimir Putin in die Hände spielen. Er ist Meister in der hybriden Kriegsführung und nutzt jede Schwäche der Verbündeten.

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Tanja Tricarico
Ressort ausland
Schreibt seit 2016 für die taz. Themen: Außen- und Sicherheitspolitik, Entwicklungszusammenarbeit, früher auch Digitalisierung. Seit März 2024 im Ressort ausland der taz, zuständig für EU, Nato und UN. Davor Ressortleiterin Inland, sowie mehrere Jahre auch Themenchefin im Regie-Ressort. Privat im Einsatz für www.geschichte-hat-zukunft.org
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18 Kommentare

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  • "und des bedingungslosen Versprechens "

    Das darf man nicht überbewerten - letztendlich geht es um knallharte Geopolitik. Aus US-Sicht geht darum, dass die Ukraine nicht verliert es jedoch auch zu keiner Eskalation mit Russland kommt. Nüchtern betrachtet muss man sagen, dass diese Strategie bisher auch gut aufgeht.



    Dass das ein Trauerspiel für die betroffenen Menschen ist steht auf einem anderen Blatt.



    Eine Drohne Niederlage von Russland und ein Zusammenbrechen von Russland oder eine nukleare Eskalation würde jedoch weit mehr Opfer erfordern.



    Abgesehen von einer diplomatischen Lösung gibt es keine verantwortliche Alternative zur jetzigen Us-strategie



    - schade, dass hier bei uns in Europa so wenig Interesse daran besteht sich mit der Us-strategie genauer auseinanderzusetzen und lieber von irgendeinem "Sieg" fabuliert wird.

    • @Alexander Schulz:

      Der stabilste Frieden wäre wohl der wiedererreichte Status Quo Ante und dann kann man auch 'einfrieren' à la Korea. Entscheiden müssen es aber immer die Beteiligten selbst.

      Die USA kann an einem Dauerkrieg auch kein Interesse haben, weil zu viel auf einmal Taiwan gefährdet. Dafür haben sie gerade sogar Israel zur Vernunft bringen wollen.

  • Die fitnesstudio- und trinkgestählten Sylter Schnösel könnten ja dort aktive Resozialisierung betreiben, als Freiwillige.

    Ernsthaft sind Handlungen wertvoller als warme Worte und sollte man das machen, was man für sinnvoll und rechtmäßig hält, nicht das, womit man kurzfristig Wahlen glaubt zu gewinnen.

    Konkret kann das heißen, dass man der Ukraine ermöglicht, die nahen Flugplätze, Flugzeuge und Munitionsdepots der Angreifer zu zerstören, um die Angriffe zu erschweren.

  • Genau so wie im Artikel beschrieben ist es : Lebensrettende Sofortmaßnahmen sind etwas anderes. Wir diskutieren das dritte Jahr und müssen uns doch hoffentlich nicht in die Karten sehen lassen , wenn endlich etwas Konkretes zu Wege kommt um diesen Alptraum zu beenden.

  • Wir sind schon längst im Krieg. Selbst wenn dieser morgen vorbei sein würde, wären wir wieder zumindest im kalten Krieg mit neuen Maurern. Denn es gibt, zumindest im Westen keine Strategie, wie man die Russen aus den besetzten Gebieten herausdrängen kann. Und es gibt auch überhaupt keine Strategie, wie man in Zukunft mit Russland auskommen will. Wahrscheinlich muss, denn es ist und bleibt ein Nachbar.

    Inzwischen haben wir es geschafft, die Mehrzahl der Russen hinter Putin zu vereinen. Wie es weiter geht - wer weiß das schon

  • Hier wird etwas verdreht: Nicht der Frieden würde die Ukraine zwingen, auf Territorien zu verzichten. Sondern die Realität auf dem Schlachtfeld. Seit Oktober 2022- also seit die Russen wirklich mobilisiert haben- geht es für die Ukrainer fast nur rückwärts, die Gegenoffensive scheiterte brachial.



    Russland kann Land halten, ob es das anerkannt macht oder nicht, kann ihnen egal sein. So lange sie die Kontrolle haben, ist es de facto Russland, ob der Westen das Land auf Ukraine-Landkarten einzeichnet oder nicht.



    Und wenn man JETZT Frieden schließt, dann hat die Ukrainer WENIGER Land verloren, als wenn man in zwei Jahren Frieden schließt. Bis dahin dürfte sehr viel MEHR LAND verloren gehen UND es sind weniger Leben verloren.

    • @Kartöfellchen:

      Wenn man jetzt Frieden schließt, gibt Russland sich also zufrieden und wird nie wieder versuchen, den Rest der Ukraine oder andere Länder zu erobern?

      Sie machen immer den Fehler, der russischen Regierung so etwas wie Rationalität und ein prinzipielles Interesse an Frieden und guten Beziehungen zum Westen zu unterstellen.

      Russland würde aus so einem Frieden mal wieder lernen, dass Krieg sich lohnt. Am Ende hat es mehr Territorium und mehr Untertanen. Der Blutzoll, den das russische Volk dafür zahlen muss, ist dem Kreml vollkommen egal.

      Und dann wird eben mal ausprobiert, ob man sich nicht doch noch einen Teil des Baltikums oder sogar alle drei baltischen Staaten einverleiben kann. Irgendwer im Westen wird schon um des lieben Friedens Willen nachgeben…

      • @Suryo:

        Putin hat 20 Jahre lang jedes Risiko gescheut. Bei der Ukraine hat er sich komplett kalkuliert. Unwahrscheinlich, dass er nochmal so einen Fehler macht.



        Die US-Strategie ist deutlich - es besteht weder ein Interesse an einer nuklearen Eskalation noch an einem auseinderbrechen von Russland. Die Alternative zu einer diplomatischen Lösung ist also ein "weiter so" wie bisher. Okay, die Ukraine verliert so nicht, aber der Blutzoll ist sehr hoch.

        • @Alexander Schulz:

          Russland könnte noch heute den Krieg beenden. Aber es WILL KRIEG.

          Warum begreifen Sie das einfach nicht? Das ist nicht einfach ein „Fehler.“

    • @Kartöfellchen:

      Ein wichtiger Punkt dürfte Gesichtsverlust sein. Da hat sich inzwischen eine Eigendynamik entwickelt und rationale Überlegungen spielen nur noch bedingt eine Rolle.

      • @Alexander Schulz:

        Russland kann schon aus wirtschaftlichen Gründen keinen Frieden mehr schließen, dazu kommt das das russische Militär dann alle die Freiwilligen und Eingezogenen entlassen müsste und auf einen Schlag massiv schrumpfen würde. Für Putin ist Krieg weiterführen und hoffen das es irgendwie gut ausgeht die bessere Option als Frieden. Er hat zuviel investiert als das er aus der Sache rauskommt, entweder er gewinnt alles oder er hat verloren.

    • @Kartöfellchen:

      Glauben Sie ernsthaft, ein solcher Frieden wäre dann mehr wert, als z. B. die Vereinbarungen im Budapester Memorandum von 1994?

      Siehe hier:



      de.wikipedia.org/w...apester_Memorandum

      Ich kanns nicht glauben. Warum sollte Putin/Russland sich an irgendetwas halten, wenn man mit Gewalt bekommen kann, was man will?

  • Die tschechische Initiative hat offenbar zur Folge, dass alle möglichen Waffenarsenale jetzt bei steigenden Preisen ausverkauft werden.

    www.n-tv.de/politi...ticle24980312.html

    Wenn schon die Europäer so blöd sind, so hilft es doch hoffentlich den Afrikanern, wenn deren Warlords jetzt mit Kursgewinn ihre Waffen an unsere europäischen Warlords zurückgeben können.

    Pardon, ohne Sarkasmus geht es nicht mehr.

  • Dass solche Abstimmungen hinter verschlossenen Türen stattfinden sollen, halte ich für fatal und darüber hinaus nicht besonders demokratisch. Sowas führt zur Entfremdung der breiten Bevölkerung von politischen Entscheidungsprozessen, was die laufende Faschisierung nut befeuert.



    Der öffentliche Diskurs darum muss dazu gehören - und das denke ich, obwohl ich der Meinung bin, dass die Ukraine die Systeme und Freigaben bekommen soll, die sie braucht, um diesen elenden Krieg schnell genug zu beenden.

    • @Piratenpunk:

      So sehr ich mir das auch wünschen würde so problematisch ist dies.



      Die Gegenseite fände es sicherlich super toll wenn sie alles ohne Aufwand öffentlich verfolgen könnte was diskutiert wird. Dann lässt sich die Strategie maßgeschneidert auf die Lieferengpässe und Schwachpunkte der Ukraine anpassen.

    • @Piratenpunk:

      Transparenz kann von den falschen Zuhörern aber auch schnell ausgenutzt werden. das sollte nicht vergessen werden.

    • @Piratenpunk:

      Ja, ich finde auch, dass wir Putin unbedingt durch Bundestagsdrucksachen über Strategie, Taktik und rote Linien informieren sollten. Wegen Parlamentsheer und so. Schließlich hat er ja Probleme mit seiner militärischen Spezialoperation.

    • @Piratenpunk:

      Ich bin ganz der gegenteiligen Meinung. Gerade diese Prozesse sollten geheim bleiben. Nicht wegen der einheimischen Bevölkerung, sondern wegen Russland. Es ist doch völlig absurd, den Gegner Monate im Voraus zu informieren, was man vorhat.