piwik no script img

Mietenkrise in BerlinTeurer als erlaubt

Der neue Mietspiegel zeigt: Die Mieten steigen unaufhörlich. Deutsche Wohnen & Co enteignen veröffentlicht Rechner gegen Abzocke und trommelt für Mietendemo.

Die Aussichten für Berlins Mie­te­r*in­nen sind düster Foto: Dirk Sattler/imago

Berlin taz | „Ganz Berlin zahlt zu viel Miete. Kannst du deine senken?“, steht in gelber Schrift auf lila Hintergrund auf der Webseite des neuen Mietenchecks von Deutsche Wohnen & Co. enteignen. Nur wenige Klicks und Fragen zu Größe, Kosten und Lage der Wohnung weiter weiß man, ob der Vermieter illegal zu viel verlangt und man per Mietpreisbremse dagegen vorgehen kann.

Das ist gar nicht so selten: Ein Mietencheck in der taz-Redaktion ergibt: Viele derjenigen, für die die Mietpreisbremse gilt, zahlen vermutlich zu viel. Ein Beispiel: 800 Euro kalt für eine 80 Quadratmeter Wohnung in Kreuzberg. Das mag Wohnungssuchenden günstig vorkommen, in Wirklichkeit ist sie teurer als erlaubt: „Du könntest potenziell 216,70 bis 386,59 Euro an Miete pro Monat sparen“, so das Ergebnis des Rechners.

Das ist allerdings nur eine vorläufige Einschätzung. Für eine verlässliche Prognose muss man nochmal 50 bis 60 weitere Fragen beantworten. „Das dauert so 10 bis 15, maximal 20 Minuten“, sagt Jonas Brinkhoff, der den Mietencheck entwickelt hat, am Donnerstag bei der Vorstellung des Onlinerechners. Hierbei werde der Datenschutz groß geschrieben, betont er.

Doch gibt es so etwas nicht schon? Nein, sagt Brinkhoff. So gelte der Rechner des Senats nicht für ältere Mietverträge und kommerzielle Angebote wie Conny seien kostenpflichtig. Außerdem habe man versucht, das Ganze so verständlich wie möglich zu gestalten und man kann den Mietencheck auch auf Englisch machen. Bald sollen Türkisch und weitere Sprachen folgen. Den Mietvertrag und am besten noch einen Zollstock braucht man trotzdem. Am Ende gibt es eine ausführliche Auswertung, mit der man zur Mie­te­r*in­nen­be­ra­tung oder direkt zum Anwalt gehen kann.

Mietspiegel ist Grundlage für Mieterhöhungen

Grundlage des Rechners ist der Mietspiegel. Der aktuelle wurde von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen ebenfalls am Donnerstag vorgestellt. Der Mietspiegel basiert auf Miet- und Ausstattungsdaten für rund 16.000 Wohnungen in der Hauptstadt und gilt für zwei Jahre.

Der Mittelwert ortsüblicher Vergleichsmieten für das Jahr 2024 liegt bei 7,21 Euro nettokalt pro Quadratmeter. Im Jahr zuvor lag er bei 7,16, wobei dies kein qualifizierter Mietspiegel war, also der mithilfe wissenschaftlicher Methoden erhoben wurde. Der letzte qualifizierte Mietspiegel stammt aus dem Jahr 2019 und beträgt 6,72 Euro pro Quadratmeter.

Empfohlener externer Inhalt

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen:

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung

„Erkennbar ist, dass insgesamt das Mietniveau im Mietspiegel 2024 moderat ist“, sagt Bausenator Christian Gaebler (SPD) bei der Vorstellung. Auch die CDU zeigt sich zufrieden und spricht ebenfalls von „moderaten Mietpreissteigerungen“.

Doch auch wenn die Erhöhung „moderat“ ausfällt, seit Jahren kennt der Mietspiegel nur eine Richtung: Nach oben. Das hat Konsequenzen. Denn mit dem Mietspiegel können nicht nur Mie­te­r*in­nen sehen, ob ihre Miete überhöht ist, sondern er ist die Grundlage für Vermieter*innen, wie viel sie die Miete legal anheben können.

Opposition fordert Maßnahmen für Mie­te­r*in­nen­schutz

„Der Mietspiegel gibt keinen Anlass zur Entwarnung“, sagt dann auch Niklas Schenker, Sprecher für Mieten und Wohnen der Linken. Dass der Mietenanstieg nicht höher ausgefallen ist, liege an den regulierten Mieten bei den Landeseigenen Wohnungsunternehmen. „Je mehr öffentliche Wohnungen, desto mietpreisdämpfender der Effekt für ganz Berlin. Rekommunalisierung und Vergesellschaftung sind der beste Mieterschutz.“

Für die Grünen ist der neue Mietspiegel ein Beleg, „auf welch hohem Niveau die Belastung durch Mietsteigerungen der vergangenen Jahre ist“, so die Sprecherin für Wohnen und Mieten, Katrin Schmidberger. Sie fordert vom Senat mehr Maßnahmen für den Mieter*innenschutz.

Der Bausenator winkt jedoch ab. „Das was wir in Berlin an Mietbegrenzungsmöglichkeiten umsetzen können, haben wir ausgeschöpft“, so Gaebler.

Mietbremse hat zahlreiche Schlupflöcher

Das dürften die Ak­ti­vis­t*in­nen von Deutsche Wohnen & Co enteignen anders sehen. Für sie ist der Mietspiegel in Wirklichkeit ein „Mieterhöhungsspiegel“. Und doch sind Mietspiegel und Mietpreisbremse die einzigen Instrumente, die geblieben sind, um Mieten zu senken.

Das ist ein eklatantes Versagen der Politik, die Rechnung zahlen die Mieter*innen

Manuel Katzer, Deutsche Wohnen & Co. enteignen

Nach dem juristischen Scheitern des Vorkaufsrechts und des Mietendeckels in Berlin hat die Bundesregierung keine Anstrengungen unternommen, diese Mieterschutzinstrumente auf Bundesebene wiederherzustellen. „Das ist ein eklatantes Versagen der Politik, die Rechnung zahlen die Mieter*innen“, so Sprecher Manuel Katzer. Und das im wahrsten Sinne des Wortes.

Ein weiteres Problem am Mietspiegel: Er ist kompliziert und es gibt zahlreiche Ausnahmen. Das zeigt sich auch bei der taz-Umfrage: Für viele in der Redaktion ist er nicht anwendbar, weil ihr Mietvertrag zu alt ist, also vor dem 31. Mai 2015 abgeschlossen wurde.

Auch bei möblierten Zimmern, Neubauwohnungen und nach umfassender Sanierung greift er nicht. Die Kollegin aus Neukölln mit der hohen Miete und dem neuen Dachstuhl hat also Pech gehabt.

Demo gegen Mietenwahnsinn am Samstag

So hilfreich der Rechner für die einzelnen auch ist, die Mietenkrise wird er nicht lösen. „Das einzige Mittel dagegen ist die Vergesellschaftung. Doch bis es so weit ist, suchen wir nach pragmatischen Lösungen, die Mie­te­r*in­nenn helfen“, sagt Justus Henze von Deutsche Wohnen & Co enteignen. Die müssten sich nur organisieren, schließlich sind sie die große Mehrheit: Über 80 Prozent der Ber­li­ne­r*in­nen leben laut Senat in einer Mietwohnung.

Das Mobilisierungspotenzial für die Demonstration gegen Mietenwahnsinn, Verdrängung und Wohnungsnot am Samstag ist also groß. Über 200 Initiativen und Gewerkschaften haben sich zusammengetan und fordern einen bundesweiten Mietendeckel, die Umsetzung des Enteignungs-Volksentscheids und das Verbot von Eigenbedarfskündigungen und Zwangsräumungen.

Start ist um 14 Uhr am Potsdamer Platz, einem eindrücklichen „Beispiel für verfehlte Stadtentwicklungspolitik“, so Bündnissprecher Jonas Schelling.

Das könnte bald auch für das Tempelhofer Feld gelten, wo die Demo ebenfalls vorbeiziehen soll. „Das Feld gibt es nur noch, weil die Ber­li­ne­r*in­nen sich gegen die Bebauungsfantasien wehren“, so Schelling. „Wir können die Stadt verändern, dafür müssen wir uns zusammentun“, ist er sicher. Denn: „Dass Mieten steigen, ist kein Naturgesetz. Und sie steigen auch nicht, sie werden erhöht.“

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

11 Kommentare

 / 
  • taz: *Teurer als erlaubt - Der neue Mietspiegel zeigt: Die Mieten steigen unaufhörlich. Deutsche Wohnen & Co enteignen veröffentlicht Rechner gegen Abzocke und trommelt für Mietendemo.*

    Und die Politik macht immer noch nichts dagegen, sondern stellt sich bei "Deutsche Wohnen & Co enteignen" auch noch schützend vor die gierigen Miethaie. Artikel 15. des Grundgesetzes muss endlich diese Zustände beenden. Für wen sind unsere Volksvertreter eigentlich da; für uns Bürger oder für ein paar gierige Abzocker, die den Hals nicht voll genug bekommen? Nun ja, wenn man sich einige politische Parteien so anschaut, dann muss man diese Frage eigentlich gar nicht stellen.

  • Mehreres stimmt wohl zugleich.



    Ließe man die Kinder wieder draußen spielen statt Sinnersatz Auto, würde man auch häufiger kluge Zusammennutzungen verfolgen, hätten wir nicht diese hochgeschossenen Quadratmeterzahlen pro Person.

    Ein getrennter Mietmarkt Alt und Neu kann es für eine optimale Verteilung ferner nicht sein oder werden.

    Wer nichts macht und nur überhöht absahnen will oder teuer gentrifiziert, hat sich die Nullsympathie verdient. Andere die Sympathie.

    Zur Not hilft die Klagemöglichkeit, um Exzesse etwas einzuhegen.

  • Hallo was ist da los mit diesem Mietspiegel???



    Der neue Mietspiegel erhöht meine Miete um 13 % 🙁 nicht 0,7 % wie der SPD-Senator behauptet 🙁



    Ich wohne mittlere Wohnlage, Baujahr bis 1918, Heizung und Bad, also ganz der Durchschnitt garnichts besonderes...

  • Wer für 7,50€ vermietet zahlt drauf, egal wo.



    Die Kaufpreise und Instandhaltungskosten sind regelrecht explodiert.



    Selbst 10€ pro m2 ist für Berlin in bezug auf die Kaufpreise deutlich zu niedrig.

    Wer eine Wohnung oder Haus kauft und die Nettokaltmiete x 30 rechnet hat schon verloren.



    Wenn man dann noch die fälligen Steuern und Instandhaltungskosten dazurechnet,



    der kann nur geerbt oder im Lotto gewonnen haben.

    • @Philipp205:

      Die Kaufpreise explodieren doch, weil man mit dem Haus dann weiter Kohle machen kann. Ob durch überhöhte Mieten oder Weiterverkauf. Was senkt also die Kaufpreise? Wenig Möglichkeiten, mit den Häusern Rendite zu machen.



      Beste Gewinne erzielt man ja übrigens durch hohe Mieten und gleichzeitig nichts instandhalten. Gestiegene Instandhaltungskosten sind also nicht wirklich der Grund für steigende Mieten.

      • @blutorange:

        "Die Kaufpreise explodieren doch, weil man mit dem Haus dann weiter Kohle machen kann."



        Die Kaufpreise sind vor allem wegen der Nullzinspolitik der EZB samt damit induzierter Inflation explodiert: Flucht in Betongold...

    • @Philipp205:

      Wer so einen Bedarf hat sollte lieber ins Casino gehen. Wohnungen sind kein Spekulationsobjekt, Wer einer fertig gebaute ausfinanzierte Wohung ankauft, vermietet und dafür einen Bankkredit mit Zinsen aufnimmt zahlt drauf, und das ist auch richtig so!

      • @stadtlandmensch:

        Nein ist es nicht, deswegen macht es keiner und ja dann ist eben für manche eben nicht mehr möglich in Berlin zu leben. Oder man gibt gewisse Positionen auf, damit wirklich im großen Stil gebaut wird.

  • Der Mietspiegel belegt, dass die Lage in Berlin vollkommen entspannt ist.

    • @DiMa:

      Und kühles Wetter belegt, dass es keine Erderwärmung gibt und alles bestens ist.

    • @DiMa:

      Die Beurteilung der Lage ist eine Frage der Perspektive, für den größten Teil der Berliner Bevölkerung ist die Lage angespannt bis gruselig!



      Wer über ein hohes Einkommen oder Vermögen verfügt, mag das anders sehen, dann ist die Lage und das Leben immer entspannt. Check your privilegies!